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1. Schuldverhältnis
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Voraussetzung hierfür ist zunächst das Vorliegen eines Schuldverhältnisses. Dieses könnte in einem Leihvertrag i. S. v. § 598 BGB liegen, den A und B über die unentgeltliche Überlassung des Oldtimers geschlossen haben. Möglicherweise handelt es sich bei der Abrede zwischen A und B über die Gebrauchsüberlassung aber auch um ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis, das keine rechtsgeschäftliche Bindungswirkung entfaltet. Entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung von einem Gefälligkeitsvertrag ist der Rechtsbindungswille.
Zur Feststellung des Rechtsbindungswillens sind alle Erklärungen und das weitere Verhalten der Beteiligten aus der Sicht eines objektiven Beobachters nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verständig zu würdigen, vgl. §§ 133, 157 BGB. Diese Normen sind nicht nur für die Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen maßgebend, sondern auch für die Frage, ob überhaupt ein Rechtsgeschäft vorliegt.
Vgl. zur Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont vor allem Fall 5 „Speisekarte“.
Zu berücksichtigen sind die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung des Vorgangs und die Interessenlage. Dazu gehören insb. die Art, der Grund und der Zweck der Gefälligkeit. Anhaltspunkte für den Rechtsbindungswillen bieten gewöhnlich ein erkennbar hoher Wert einer anvertrauten Sache, erhebliche Aufwendungen einer der Parteien oder die Gefahr beträchtlicher Schäden.[1]
Für den Rechtsbindungswillen – d. h. gegen ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis – sprechen im vorliegenden Fall:
• | der beträchtliche Wert des überlassenen VW-Cabriolets, |
• | die besondere Bedeutung der Gebrauchsüberlassung für A, der sogar versuchte, das Kfz käuflich zu erwerben, |
• | die relativ lange Dauer der Überlassung, |
• | die lange Fahrtstrecke, |
• | die Relevanz der Verkehrssicherheit des überlassenen Kfz. |
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Allerdings gibt es nicht nur die strenge Unterscheidung zwischen Vertrag und völlig unverbindlichem Gefälligkeitsverhältnis. Dazwischen haben Rechtsprechung und Lehre das Institut des Gefälligkeitsverhältnisses mit rechtlichem Gehalt gesetzt.
Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtlichem Gehalt stellen rechtsgeschäftsähnliche Sonderverbindungen dar, die als Schuldverhältnisse nach § 280 I BGB einzuordnen sind.[2] Es ist seit langem anerkannt, dass diese Gefälligkeitsverhältnisse zwar keinen Anspruch auf eine Leistung begründen, aber Schutzpflichten auslösen können, deren Verletzung den Schuldner schadensersatzpflichtig macht.[3] Diese Grundsätze sind auf die Rechtslage nach der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 übertragbar. Ob solche „Schuldverhältnisse ohne primäre Leistungspflicht“ als eine eigenständige Kategorie anzusehen sind oder schlicht der Anwendung des § 311 II Nr. 3 BGB („ähnliche geschäftliche Kontakte“) unterfallen, wird weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung einheitlich beurteilt.[4] Diese Probleme der rechtsdogmatischen Einordnung sind jedoch im Wesentlichen terminologischer Art. Für die Anwendbarkeit des § 280 I BGB ist sie in der Regel unerheblich und kann in Klausuren oft dahinstehen. So ist es auch hier, weil im Ergebnis ohnehin ein (Leih-)Vertrag zu bejahen ist.
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Aufgrund der Bedeutung der Überlassung des Wagens für A, seinen hohen Wert, die lange Dauer der Überlassung, der Fahrtstrecke und der Relevanz der Verkehrssicherheit erscheint es kaum vertretbar, von einem Gefälligkeitsverhältnis ohne rechtlichem Gehalt auszugehen. Bei verständiger Würdigung der Interessenlage beider Parteien ist auch ein Gefälligkeitsverhältnis mit rechtlichem Gehalt nicht vorzugswürdig. Von Bedeutung sind nicht nur Sorgfaltspflichten. A hat ein veritables Leistungsinteresse, das nur dann geschützt ist, wenn eine vertragliche Bindung vorliegt. A muss sich auf die Zusage des B verlassen können, um die Teilnahme an einer 14-tägigen Rundfahrt, die ihn bis nach Wien und Rom führen wird, hinreichend zu planen (Hotelreservierungen, Urlaubsplanung als Arbeitnehmer usw.). Der dem A äußerst wichtige Zweck der Vereinbarung könnte bei Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses einseitig durch B vereitelt werden. Dieser könnte jederzeit nach freiem Belieben die Überlassung des Fahrzeugs beenden oder verkürzen. Eine jederzeitige Rückforderung ist dem Verleiher nach dem Recht des Leihvertrags dagegen verwehrt. Das ergibt sich in aller Deutlichkeit aus §§ 604, 605 BGB, die dem Ausgleich der Interessen von Verleiher und Entleiher dienen. Nach § 604 III BGB darf der Verleiher die Sache nur dann jederzeit zurückfordern, wenn „die Dauer der Leihe weder bestimmt noch aus dem Zwecke zu entnehmen ist“. Nach § 604 II 1 BGB ist die Sache zurückzugeben, „nachdem der Entleiher den sich aus dem Zweck der Leihe ergebenden Gebrauch gemacht hat“. Nach Satz 2 darf der Verleiher „die Sache schon vorher zurückfordern, wenn so viel Zeit verstrichen ist, dass der Entleiher den Gebrauch hätte machen können“. Gemäß § 605 BGB darf der Verleiher die Leihe nur dann kündigen, wenn er „infolge eines nicht vorhergesehenen Umstands der verliehenen Sache bedarf“ (Ziffer 1), oder der Entleiher einen vertragswidrigen Gebrauch von der Sache macht (Ziffer 2) oder verstirbt (Ziffer 3).
Diese Vorschriften bieten Maßstäbe für die interessengerechte Auslegung der von A und B getroffenen Vereinbarung. Die Bejahung eines Leihvertrags ist im Ergebnis klar vorzugswürdig.