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Alkohol

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Angesichts der Tatsache, dass Proust im Laufe seines Lebens fast jede Art der zu seiner Zeit gängigen Drogen ausprobierte und in den letzten Lebensjahren seinen Schlaf-Wach-Rhythmus nur noch künstlich durch die wechselnde Einnahme von Beruhigungs- und Aufputschmitteln steuerte, verwundert die unbedeutende Rolle, die der Alkohol sowohl in seinem Leben als auch in seinem Werk spielt. Proust trinkt gerne kaltes Bier, das er sich aus dem Ritz kommen lässt, aber mehr des Geschmackes als des Rausches wegen. Im Roman ist der Alkoholgenuss immer mit Schmerz und Schuld verbunden: Wenn der Großvater trinkt, macht sich die ►Großmutter verzweifelt zu einem ihrer langen Spaziergänge in den Garten auf, und obwohl es der Arzt aus medizinischen Gründen empfohlen hat, leidet sie, wenn ihr Enkel Bier trinkt. Es kommen wenige, vom Erzähler als eher unangenehm dargestellte Alkoholräusche vor: einmal, als er auf dem Weg nach Balbec sein verordnetes Bier zu sich nimmt, woraufhin das Blau des Fensterrollos und die glänzenden Knöpfe des Schaffners ihn hypnotisieren; mehrfach betrinkt er sich später bei seinen Ausflügen mit Saint-Loup. Während dieser mit Rahel beschäftigt ist, sieht Marcel sich als einsamen Trinker, ein zufälliger Blick in die Spiegel des Séparés offenbart ihm ein unendlich vervielfältigtes, hässliches und fremdes Bild seiner selbst, ein »widerwärtiges Ich«. Albertine wird zwar nach dem Genuss einer Flasche Cidre äußerst anschmiegsam, aber angesichts ihrer sonstigen Sprödigkeit und Launenhaftigkeit ihm gegenüber kann der Erzähler diesen Sinneswandel unter Alkoholeinfluss nur mit gemischten Gefühlen genießen.

Hinter der negativen Rolle des Alkohols verbirgt sich Prousts Strategie, dem Erlebnis der unwillkürlichen ►Erinnerung ihren wichtigen und einzigartigen Status als gewinnbringende, zur Offenbarung führende Rauscherfahrung im Roman zu erhalten und sie nicht neben einer durch Alkohol herbeigeführten Euphorie verblassen zu lassen. Im Gegensatz zur unwillkürlichen Erinnerung führt nämlich vom Alkoholrausch kein Weg zur Erkenntnis der Vergangenheit und damit auch kein Weg zum künftigen ►Roman, der die verlorene ►Zeit wieder einfangen will. Die »vom Rausch übersteigerten Empfindungen« stehen unter dem »flüchtigen und machtvollen Einfluss des Augenblicks«: »ich war in die Gegenwart eingeschlossen wie Helden, wie Berauschte; vorübergehend verfinstert, warf meine Vergangenheit nicht mehr jenen Schatten ihrer selbst vor mich, den wir die Zukunft nennen; da ich meinem Leben nicht mehr die Verwirklichung der Träume dieser Vergangenheit als Ziel setzte, sondern die Seligkeit der gegenwärtigen Minute, sah ich auch nicht mehr über diese hinaus.« Im Unterschied zu Baudelaire und anderen Zeitgenossen, die provokant die sündhafte Droge an die Stelle göttlicher Inspiration setzen, sieht Proust die subjektive Wahrnehmung als Mittel der Offenbarung.

Das Proust-ABC

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