Читать книгу Das Proust-ABC - Ulrike Sprenger - Страница 17
Andrée
ОглавлениеIn den ersten Skizzen zum Roman hieß Albertine noch so, später wird eine Andrée dann Anführerin der kleinen Bande junger Mädchen, die dem Erzähler in ►Balbec begegnet. Gleich bei ihrem ersten Auftreten führt sie ein übermütiges Akrobatenstück vor, das die Mädchen als gesellschaftliche und sexuelle Aufrührerinnen darstellt und jene Probleme vorwegnimmt, die später der Erzähler mit der unbändigen Albertine haben wird. Andrée setzt mit einem Sprung über einen alten Bankier hinweg, der sich auf der Mole sonnt, und setzt sich mit dieser Geste stellvertretend für die anderen Mädchen über alle Regeln hinweg: über die Ehrfurcht vor ►Alter, Reichtum und Macht und über die guten Sitten, die es verbieten, den weiblichen Körper so zur Schau zu stellen.
Nachdem der Erzähler Albertine aus der kleinen Bande zu seiner Geliebten erkoren hat, wird Andrée zu seiner Rivalin und immer wieder Anlass seiner obsessiven ►Eifersucht. Erste Quelle dieser Eifersucht ist der Tanz im Casino von Incarville, wo Cottard den Erzähler darauf aufmerksam macht, dass Andrée und Albertine sehr eng tanzen und ihre Brüste aneinander reiben; das hier gesäte Misstrauen beginnt zu gedeihen und bringt den Erzähler dazu, auch ursprünglich unverdächtige Szenen als Beweise für ein Verhältnis zwischen den Mädchen zu deuten. Wie bei allen anderen hetero- oder homosexuellen Verhältnissen, derer er Albertine verdächtigt, erfahren wir nie zweifelsfrei, ob Andrée und Albertine tatsächlich mehr als nur Freundschaft verbindet. Nicht die lesbischen Neigungen der Freundinnen sind das eigentliche Thema, sondern die Unmöglichkeit, die wirkliche Identität eines geliebten Menschen vollständig zu erfassen, und die andauernde Qual, die diese Unmöglichkeit dem Liebenden beschert. Andrée verkörpert diese grundsätzliche Qual, die das Liebesverhältnis des Erzählers zu Albertine ständig begleitet, so dass nach deren Tod der Name Andrée zum Synonym der Liebe zu Albertine werden kann. Andrée wird zur besten Erinnerung an Albertine – nicht weil sie deren Freundin war, sondern weil sie den Erzähler an jenes quälende Gefühl erinnert, dass ein Verhältnis zu Albertine bestimmt hat. In einer für den Roman charakteristischen Wiederholung von Personenkonstellationen macht Proust Andrée zuletzt zur besten Freundin von ►Gilberte, einer weiteren verlorenen * Liebe des Erzählers.