Читать книгу Hella Hell - Unni Drougge - Страница 14

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Der Scheidungskrieg zwischen Hole und Hell spielte sich gleichzeitig mit der Kuwaitkrise am Übergang zwischen den Achtzigern und den Neunzigern ab. Ich behielt meine Anteile an der Werbeagentur Gasolin, die zwei Jahre später, nach dem Wirtschaftszusammenbruch, von einem internationalen Konzern geschluckt wurde. Die Bilanz blieb stabil und verschaffte mir ein jährliches Einkommen, von dem ich recht gut leben konnte, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Henrys weitere Studien in Sachen Lammfleisch führten zu einer neuen Ehe, zum gleichen Zeitpunkt, als der internationale Konzern sich zu Wort meldete, woraufhin er seine Aktienanteile für eine ansehnliche Summe verkaufte, um mit seiner dreißig Jahre jüngeren, kaum sexuell mündig gewordenen Braut nach Seattle überzusiedeln.

Das alles erfuhr ich über Umwege: Henry und ich hatten keinerlei Kontakt mehr, und ich ließ mich schließlich in London nieder, um peinlichen Fragen über meine gekenterte Ehe zu entgehen. Jahre später erfuhr ich voller inniger Schadenfreude, daß das junge Model, das Henry geheiratet hatte, ihm ein Kind mit Down Syndrom geboren hatte. Er schickte jeden Monat Geld für Lola, was dann aber aufhörte, als die trendige kleine Plattenfirma, in die er sein gesamtes Kapital investiert hatte, ihre Künstler an die multinationalen Gesellschaften verlor und Konkurs anmelden mußte.

Damals hatte ein neuer Musikstil namens Grunge gerade seinen Höhepunkt erreicht, und Kurt Cobain erschoß sich mit einem Schrotgewehr. Die Grungemode paßte einer verbissenen Schlümmelphantastin wie Hella Hell wie angegossen. Die langhaarigen Wichte in ihren zerfetzten Jeans und Turnschuhen blendeten mich mit ihrem betörenden und allgegenwärtigen Smash. Aber etwas dämpfte meine Lust, mir die lockenden Leckerbissen zu angeln. Während mehrerer Jahre nach dem schändlichen Ende meiner Ehe lebte ich wie im Tran. Meine seelische Armut oder eher Impotenz zeigte sich in einem immer wiederkehrenden Traum: Ich befand mich in einem Flugzeug, das zum Start ansetzte. Aber es kam nicht höher als bis zu den Hausdächern und mußte dann auf einer öden Wiese mit verwelktem Gras eine Notlandung machen. Für diesen düsteren Traum gibt es nur eine mögliche Deutung.

In London kam ich zu nichts, und ich wollte das auch gar nicht, weil ich die Engländer abweisend und vorurteilsbeladen fand. Sie verachteten alleinstehende Mütter. Ich hielt einige Gastvorträge, war jedoch nicht in Form, weder geistig noch in irgendeiner anderen Hinsicht. Unerklärliche Anfälle von Freßsucht legten sich um mein schmales Knochengerüst wie speckige Jahresringe. Vergebliche Versuche, mein Fett durch kostspielige Raubzüge durch die Bond Street zu tarnen, erlitten Schiffbruch, sowie ein Spiegel mir meine Niederlage vor Augen hielt.

Lola hatte sich zu einer eigensinnigen und unerträglichen Göre entwickelt, weshalb ich sie in ein nahegelegenes, angesehenes Internat steckte. Das Wochenende verbrachten wir dann in unserer Mietwohnung am Sloan Square.

Im Nachhinein schreibe ich die Schuld an meiner mehrjährigen Gefangenschaft in diesen mentalen Katakomben einem antidepressiven Heilmittel namens Anafranil zu, mit dem meine Mutter das Valium ersetzt hatte (Valium galt inzwischen als Droge). Bei einem Besuch 1995 auf Ibiza hatte ich diese abstumpfenden Pillen glücklicherweise vergessen und ließ mich deshalb mit einem um einiges hilfreicheren Medikament versorgen, nämlich mit Ecstasy. Meine mentalen Sperren lösten sich auf, die Kanäle wurden durchgespült, und ich fuhr meine Antennen wieder aus. Lola besuchte Freunde an der französischen Riviera, und der Sommer auf Ibiza erlebte meine Wiedergeburt. Die Fettablagerungen wurden von den Schweißströmen weggeschwemmt, die ich zu den nächtlichen Technorhythmen im siedenden Barleben produzierte. Ich ging jetzt auf die vierzig zu und stellte mit euphorischem Erstaunen fest, daß meine Anziehungskraft auf junge Knaben ein Niveau erreicht hatte, von dem ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Die Schlümmel wurden zu mir hingezogen wie Spermien zu einem Ei, und ich amüsierte mich wie eine Königin.

Die schwedische Hauptstadt erlebte deshalb im Herbst eine Hella Hell, die als fit for fight durchgehen konnte. Die Agentur, deren Teilhaberin ich war, warf nicht mehr ganz so hohe Gewinne ab, und da ich während meiner jahrelangen Depression keine anderen Einkünfte gehabt hatte, beschloß ich, im Büro eine Arbeitsecke einzurichten, wo ich mich als CD niederlassen konnte, als Creative Director. Diese Stellung gestattete es mir, kritisch und wählerisch die Spreu vom Weizen zu scheiden, während andere die Grobarbeit verrichten mußten. Von meiner Seite wurde nur ein geringer Einsatz gefordert, während ich die berufliche Stimulans erfuhr, die mir so lange gefehlt hatte. Beispielsweise konnte ich mit dem Gewicht meiner fast vierzig Jahre unliebsame Elemente ganz einfach wegschicken. Meine depressive Periode hatte den temperamentvollen Teil der Hella Hell gedämpft, aber jetzt staunten die Leute angesichts der Pyrotechnik, die unter Ibizas wohltuender Sonne an der Luft getrocknet war. Wer die charmante und energische, aber dennoch leise und korrekte Hella trug, war der Komet aus der Hölle, ein bombastisches Echo, eine lodernde Flamme, deren Feuerflöhe meine Umgebung bald zu achten lernte. Erst jetzt wagte ich, die Schwingen meiner Begabung zu öffnen und die Landschaft unter mir zu betrachten. Dort lief das Kanonenfutter umher und spielte mit Kieselsteinen und hatte keine Ahnung von der schwindelerregenden Höhe und dem Tempo, die meine Gehirnkapazität kennzeichneten.

Für den Arbeitsplatz arbeitete ich eine Terrorstrategie aus. Das gefürchtete Codewort war »Zum Franziskaner«. Wenn ein Projektmitarbeiter oder Praktikant meine Ansprüche an Takt, Ton oder Leistung nicht erfüllen konnte, lud ich den Betreffenden zum Mittagessen in der nahegelegenen Wirtschaft »Zum Franziskaner« ein. Im Klartext hieß das: »Du bist gefeuert!« was ich dann beim Essen auch ganz nüchtern mitteilte, nach einer üppigen Bestellung, bei der der hauseigene Kräuterschnaps die Mahlzeit eröffnete. Schon bald war der Franziskaner zum Damoklesschwert geworden, das die Lampe des Fleißes noch lange nach Ende der regulären Arbeitszeit brennen ließ. Das steigerte die Einkünfte der Agentur noch, und wir mußten neue Leute einstellen. Der Mensch ist faul und kann immer mehr leisten, was sich hiermit gezeigt hatte. Wann immer ich ein Essen im Franziskaner vorschlug, jagte ein nervöses Flüstern durch die großen luftigen Räume. Ich hatte mir eine überaus angenehme Stellung verschafft und fand es nur gut, daß sich niemand zu nah an mich heranwagte. Ich thronte dort in einsamer Majestät.

Doch dann kam Robban, ein frisch ausgeschlüpfter Schüler von RMI-Berghs, der für drei Monate auf Probe eingestellt wurde. Er war einwandfrei kein Schlümmel, mit seiner groben Haut und seinem zerknickten Nasenbein. Außerdem hatte er üppigen Bartwuchs und Haare auf der Brust, die hemmungslos aus seinem wenig zugeknöpften Hemd hervorlugten, das ich ihm in brüskem Ton zu schließen befahl. Aus irgendeinem Grund hatte er in einem schwachen Moment die Musterung bestanden und sollte bei der Herstellung der Programme für das Hultfredsfestival helfen. Ich glaube, Robban wurde diese Gunst aus purer Zeitnot zuteil, aus keinem anderen Grund. Bald sollte sich herausstellen, daß dieser kräftig gebaute Trottel in jeder Hinsicht ein Reinfall war. Er rief zu den unmöglichsten Zeitpunkten seine Kumpel an und verbreitete sich lauthals über seine unappetitlichen Unternehmungen des Vorabends sowie über seine Pläne für den kommenden Abend. Wer keine Ahnung hatte, wurde scheißwichtig darüber belehrt, in welchem Büro er arbeitete, und wieder und wieder lieferte er die freche Lüge, er allein sei verantwortlich für den Entwurf des Hultfredprogrammes. Er ging mir dermaßen auf die Nerven (einmal legte er sogar seine schmutzigen Stiefel auf den Tisch, während er seine prahlerischen Telefonsalven abfeuerte), daß es nicht reichen würde, einfach nur mit ihm zum Franziskaner zu gehen. Ich schmiedete statt dessen den finsteren Plan, seine Lüge zu barer Münze werden zu lassen und ihm das gesamte Hultfredsprojekt zu übertragen, mit einem Drucktermin, den nicht einmal der erfahrenste Layouter ohne Plackerei rund um die Uhr schaffen könnte. Natürlich riskierte ich dabei, selbst am Ende ranklotzen zu müssen, bis mir die Augen aus dem Kopf fielen, aber mein sadistischer Wunsch, diesem jungen Büffel eins auf die Finger zu geben, wog schwerer. Wir verabredeten, daß ich am folgenden Samstagmorgen für ihn das Büro aufschließen würde, damit er zu einer ihm besonders unlieben Zeit losackern könnte (eigene Schlüssel waren ihm natürlich nicht anvertraut worden). Und richtig, es kam, wie ich erwartet hatte: Um neun Uhr trommelte ich wütend auf meinem Schreibtisch herum. Er war nicht gekommen. Um zehn packte mich langsam die Wut über seine Gleichgültigkeit – kapierte dieser Halbirre denn nicht, mit wem er es zu tun hatte? Und was es bedeutete, bei dieser Person in Ungnade zu fallen?

Um siebzehn Minuten nach zehn wurde die Tür von einem muskulösen durchtrainierten Oberarm aufgerissen, und zwei Sekunden darauf stand Robban in der Öffnung, mit Bartstoppeln und rotunterlaufenem Blick, der erschrocken seine Chefin musterte, in deren Mundstück die dritte Zigarette dieses Tages glühte. »V-v-verzeihung«, stotterte er nervös und kam mit gesenktem Kopf auf mich zu, während ich in meinem taillierten Pradakostüm auf der Tischkante saß. Er leierte noch eine Entschuldigung herunter, die zusammen mit seiner Fahne sein spätes Erscheinen erklärte. Ich blies ihm Rauch ins Gesicht, ohne eine Miene zu verziehen. »Raus«, sagte ich dann. Mein Tonfall war so energisch und so beherrscht wie in dem Moment, in dem der Chirurg das Skalpell auf der Haut ansetzt. »Raus«, sagte ich noch einmal, diesmal spitzer.

Worauf Robban sich lächerlich machte, indem er vor mir auf die Knie fiel und seine behaarten Pranken faltete, während er eine lange wimmernde Tirade aus »Bitte, bitte, Verzeihung, Verzeihung, bitte, bitte, Verzeihung, Verzeihung« abspulte, bis ich auf die Tür zeigte und meinen einsilbigen Befehl noch einmal wiederholte. Noch eine gejammerte Litanei, noch ein »Raus«, und dann brach der Trottel in Tränen aus. Seine Schultern unter seinem T-Shirt zitterten, und seine Pfoten umklammerten verzweifelt meine Waden, während er mich aus feuchten Augen ansah, und ich weiß nicht, ob es das Glitzern seiner Tränen war oder die aufdringliche Hitze seiner Nähe, jedenfalls hatte ich plötzlich vor mir einen Joy Boy, der sein Gesicht gegen meinen Schoß preßte, noch immer auf den Knien, und dessen Schulterpartie sich auf diese typische Weise bewegte, die meine empfindsamen Sinne besiegte, und im selben Moment darauf küßten wir uns mit einer physischen Urkraft, die in einem himmlischen Creszendo mündete.

Gleich nach diesem Akt jedoch wurde Robban seine gerechte Strafe zuteil. Er schlurfte mit gesenktem Kopf hinaus, nachdem ich ihm erklärt hatte, daß seine Nachlässigkeit auf dem Niveau, zu dem wir ihn hier erhoben hatten, unverzeihlich sei. Aber ich weiß bis heute nicht, ob das richtig von mir war, denn als er gegangen war, sah ich mir seine Arbeit an, und die war so gut und zeugte von einer dermaßen bemerkenswerten Kreativität, daß ich meine berüchtigten Essen im Franziskaner aufgab, da ich das Beil nicht mehr mit derselben Überzeugung fallen lassen konnte. Nicht einmal das achtzehnjährige Mikrogehirn Sharon wurde per Mittagessen verabschiedet, obwohl sie in einem Fotostudio eine Wand hatte herausreißen lassen, um ein Auto hineinfahren zu können, statt das Auto draußen zu fotografieren. Sharon war dermaßen zurückgeblieben, daß sie beim Lesen die Lippen bewegte, und sie lernte niemals den Umgang mit Faxgerät oder Espressomaschine, vom Internet ganz zu schweigen. Trotzdem schaffte sie es, Faxgerät, Espressomaschine und den Computer, mit dem sie sich vertraut machen sollte, auf Dauer zu ruinieren. Sie war in Schweden geboren, hatte aber eine englische Mutter. Mir war es deshalb ein Rätsel, warum ihre Englischkenntnisse ebenso unterentwickelt waren wie ihre übrigen Fähigkeiten. Es gab da jedoch eine Ausnahme, wie ich später erfahren sollte. Das Wohlwollen, das ihr im Büro, wo von zehn Angestellten acht Männer waren, entgegengebracht wurde, entsprach ihrem Wohlwollen, wenn es darum ging, ihre X-Beine zu spreizen. Doch obwohl diese zerbrechliche Person keine materiellen Belohnungen für ihren anstrengenden Einsatz forderte, war sie in ihrer unbeschreiblich elefantenhaften Ungeschicklichkeit doch so teuer im Betrieb, daß ihr Schicksal im Büro besiegelt war. Wenn auch ohne Mittagessen im Franziskaner.

Robban und Sharon haben mich beide auf ihre Weise beeinflußt. Robban dämpfte meinen Hang zu übereilten Entscheidungen, während Sharon in mir die Sorge entfachte, daß meine Tochter, die nun bald das Teenageralter erreicht hatte, ihr ähneln könnte.

Ich brachte Lola deshalb sofort im Internat Sigtuna unter, obwohl das ein Vermögen kostete. Ihre präpubertären Zustände waren eine Belastung geworden, vor allem, da sie unheilbar eifersüchtig war und mir deshalb die nächtlichen Ausschweifungen verwehrte, die mir doch so gut getan hätten. Wenn ich mich ein einzelnes Mal abendlichen Vergnügungen hingab, wurde ich einem inquisitorischen Verhör unterzogen und hatte erst Ruhe, wenn ich beteuerte, daß ich in keuscher Enthaltsamkeit lebte. Sie unterstellte mir dermaßen sündhafte Angewohnheiten, daß mich ihre frühreife sexuelle Vorstellungskraft zum Erröten brachte, weshalb ich als gute und verantwortungsbewußte Mutter hinfort sogar Illustrierte aus meinem Haus verbannte und den Fernseher mit einem Schloß versah. Im Internat, wie ich zu meiner Erleichterung erfuhr, war das Fernsehen auf ein Minimum reduziert, und viel Freizeit blieb auch nicht für die Lektüre von Mädchenbüchern und anderen erogen orientierten Beschäftigungen. Jeden Monat schickte ich ihr erbauliche internationale Zeitschriften wie D, The Face, Arena, i-D, Wall Paper, Vogue, Vanity Fair und Tatler. Lola sprach seit unserer Zeit in London ja sehr gut Englisch und konnte sich deshalb auch an den Artikeln erfreuen, statt sich nur von den geschmackvollen Bildern inspirieren zu lassen. Zu meiner Bestürzung traf im Oktober ein Brief von empörten Eltern von Lolas Schulkameradinnen ein, die behaupteten, diese angesehenen und absolut tonangebenden Magazine demoralisierten die Schulmädchen, da sie Bilder und Texte enthielten, die allgemein mit verabscheuenswerten Dingen assoziiert wurden, zum Beispiel mit Drogenmißbrauch und Prostitution. Dieser engstirnige und reaktionäre Ausfall der stumpfsinnigen Elternvertretung gab den Startschuß zu dem Buch, das ich während der dunklen Jahreszeit in diesem unaufgeklärten nördlichen Land zu Papier brachte.

Ich gab dem Buch den Titel »Bitte, einen Knaben« (oder auf Englisch: »Mad about a Boy«). Zutiefst konzentriert stellte ich meine Beobachtungen in der Welt der Mode und der Werbung dar und kam zu dem Schluß, daß der junge Knabe ganz einfach für den ästhetisch höchsten Rang in der Modeindustrie prädestiniert sei, und daß alle Ideale danach gestaltet würden. Ich glaubte auch, belegen zu können, warum der schöne Jüngling in so vielen Kulturen den Maßstab für die menschliche Vollendung bildet. Ich war so kühn, meine Darlegungen mit einer reichhaltigen Auswahl an Bildern zu illustrieren, was meine Verleger eher skeptisch begrüßten, nicht zuletzt aus Kostengründen. Ich bot an, einen Teil von meinem Kapital zuzuschießen, um dieses Buch drucken zu lassen, so, wie es meiner Vision entsprach – ich brannte geradezu für dieses Projekt. Es kam mich in mehrerer Hinsicht teuer zu stehen und riß außerdem ein bedenklich großes Loch in meine Tasche. Das Buch erregte großes Aufsehen. Die Feministinnen fanden es frauenfeindlich, andere kulturelle Lager warfen mir vor, Jugendverherrlichung und Jugendausbeutung das Wort zu reden. Lobenswerte Vereinigungen, die Übergriffe gegen Kinder verhindern sollten, nannten mein Werk einen groben Flirt mit Kinderpornographie. Die Sache wurde auch nicht besser dadurch, daß ich zwei von Donald Maders künstlerisch sensiblen und sinnlichen Knabenbildern aufgenommen hatte. Aber mir wurde auch Unterstützung zuteil, vor allem von homosexuellen Gruppierungen und jüngeren Rockmusikern. Ich wurde in gewissen Kreisen zum Kult, dafür wurde ich aus dem Establishment jedoch hinausgeekelt. Die kleine Erstauflage war bald vergriffen, aber der Verlag hatte kalte Füße bekommen und wollte nicht nachdrucken. Ich wurde sogar gezwungen, aus dem Aufsichtsrat der Firma auszuscheiden, in der ich doch Teilhaberin war, da der Name Hella Hell jetzt als rufschädigend galt. Habent sua fata libelli!

Ich halte es für eine Folge von Dummheit, nicht zwischen Sache und Person unterscheiden zu können, aber andererseits: Was Hella Hell im Grunde getan hatte, war, auf den Kampfplatz zurückzukehren, um sich dem Streit zu stellen. Wie Narren, Drogensüchtige, Kriminelle und andere Steppenwölfe wollte ich im tiefsten Herzen verurteilt, eingesperrt, angekettet und unschädlich gemacht werden.

Lola zog inzwischen Freundinnen, Geld und ihre Großmutter ihrer eigenen Mutter vor, und zwar in genau dieser Reihenfolge. Großzügig, wie ich war, ließ ich sie laufen, und wir hielten Kontakt per Telefon, wodurch ich immerhin wußte, daß sie in Bezug auf Drogen oder Jungen nicht auf Dummheiten verfiel. Genau wie andere Teenies schämte sie sich ihrer Eltern und bombardierte mich mit ihren Ansichten über mein berüchtigtes Buch. Künstlerisch kreative Menschen müssen damit rechnen, von ihren Zeitgenossen mißverstanden und vor allem von ihren Kindern zeitlebens abgelehnt zu werden. Der Tod ist normalerweise der mildernde Umstand, der zuletzt den Haß auflöst und die Familienbande aufs Neue schmiedet. Aber so weit sind wir noch nicht, und der Gedanke an den Tod ist für mich so entsetzlich, daß ich sofort Antikörper dagegen suchen muß, während ich diesen absolut wahren Bericht zu Papier bringe, der dem menschlichen Trümmerhaufen Hella Hell zu Genugtuung verhelfen soll.

Mein Name war jetzt bekannt – oder totgeschwiegen, wenn man so will –, und wenn ich auch nur in Sichtweite eines siebzehnjährigen Johnnies gesichtet würde, dann hätten alle endgültig gewußt, was ich doch für ein perverses altes Frauenzimmer war. Ein hoher Zaun war zwischen mir und allen Joy Boys im ganzen Land errichtet worden.

Ich stand wie ein frierendes, hungriges Bettlerkind bei den Roskilde- und Hultfredsfestivals vor dem Zaun und wagte nicht, mich unter die übermütigen Welpen zu mischen, die munter durch den Lehm kullerten und ihre nackten Brüste und ihre neuen Tätowierungen vorzeigten. Ich kippte ein eiliges Bier in einer der Kneipen, wo die jungen Leute um mich herumwuselten. Ich kaufte Handtaschen und T-Shirts der Marken Stüssy und Catfish ein, die ich danach Lola vermachte, nur um einen Blick auf die Jungs zu erhaschen, die in den entsprechenden Boutiquen herumhingen. Immer hinter meiner Sonnenbrille verborgen, glitt ich umher wie ein Gespenst, wie eine entwöhnte Heroinistin, die um die Drogenszene herumschleicht, um sich zu vergewissern, daß die Drogen immerhin noch existieren.

Hella Hell

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