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Nach Hiobs übereiltem Dahinscheiden wurde ich in die Jugendpsychiatrie eingewiesen, wo die Diagnose Depression gestellt wurde (meine Mutter sprach lieber von Schulmüdigkeit). Nach meiner Entlassung wurde ich umgehend zum Apfelsinenpflücken in einen israelischen Kibbuz geschickt. Ein Aufenthalt in einem Kibbuz galt damals als nützliche Erfahrung und empfehlenswerter Milieuwechsel. Obwohl viele Linksintellektuelle dem Staat Israel kritisch gegenüberstanden, entsprach die Idee des Kibbuzlebens doch ihren sozialistischen Träumen.

Die Therapeutin meinte, ich hätte meine Trauer um Hiob verarbeitet, doch ich hatte Hiob einfach nur in mein Unterbewußtsein verbannt, wo er ungestört herumspuken konnte. In dem Jahr, das ich in Israel verbrachte, verlustierte ich mich neurotisch und zwanghaft mit jungen Hippieknaben, die es aus allen wohlhabenden Ecken der Welt dorthin verschlagen hatte. Ich lernte South-African-Steve, Brazil-Gabriel, Brit-Rod, Swiss-Pascal, American-Henry, Australian-Dave und so weiter und so fort kennen.

Bei meiner Ankunft war ich in einem Kibbuz in der Negev-Wüste einquartiert worden, aber wie die meisten neugierigen Jugendlichen packte ich meine Habseligkeiten und setzte mich ans Rote Meer ab, wo das Hippieleben mit seinen illegal errichteten Barackenorten im verminten Sinai-Gebiet lockte. Als eingefleischte Individualistin hatte ich das starre, kleinkarierte Kibbuzleben bald satt bekommen. Jetzt aber ließ ich mich zwischen Korallenriffs, Cafés und Cannabispfeifchen sorglos umhertreiben. Eine meiner Wohnungen bestand aus einem würfelförmigen, leeren und rostigen Riesentank, der durch ein rundes Loch im Dach zugänglich war, von dem aus man sich dann an einem Seil nach unten ließ. Im Sommer war es in diesem Container unerträglich heiß, weshalb ich mich am Strand niederließ. Ab und zu verdingte ich mich in einer der vielen Bars von Eilat für einen Lauselohn als Kellnerin oder Küchenhilfe, und ich verbrachte einen Monat ohne irgendwelche Unterbrechungen unter Beduinen und Beatniks an der Ostküste der Sinai-Halbinsel, bis der Spätherbst eintraf. Dann lernte ich zu meinem Glück Daniel kennen, the big dark gay, der einfach alle kannte. Meine Bekanntschaft mit Daniel erwies sich, als der Winter ins Gelobte Land kam, als für mich reservierte Rettungsleine.

Ich arbeitete bis spät in der Nacht im Papa Paris, einer beliebten Bar am Marktplatz, die einem kleinen französischsprechenden fetten Juden gehörte. Eines Abends hatte ich South-African-Steve schon einige Biere serviert, und die hatten ihm Mut gemacht, seiner Enttäuschung über mich freien Lauf zu lassen. Er war der erste Junge nach Hiob gewesen, dem ich den Zutritt zu meiner seitdem eifrig frequentierten Venusgrotte gestattet hatte, und er hatte seither immer wieder voller Staunen von meinen sexuellen Eroberungen auf diesem mit Knabenpracht gedeckten Büfett gehört. Nach South-African-Steve hatte ich mich selten mit nur einer Beute pro Tag zufriedengegeben. Es kam vor, daß ich zwischen Morgengrauen und Abenddämmerung vier verschiedene Jünglinge vernaschte. Einige verliebten sich ein wenig in mich, doch ich eilte weiter, gejagt von einer brennenden Sehnsucht, dem unstillbaren Drang nach immer neuen Knabendelikatessen. Aber an diesem Abend beugte South-African-Steve sich über den Tresen, schob mir seine hübsche Larve entgegen und flüsterte: »Very soon you will be raped, Hella.«

Ich fand seine durch Drohungen getarnte Verbitterung albern und antwortete mit einem Schnauben. Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß dies alles sich in den siebziger Jahren abspielte, also ehe tödliche Krankheiten sich als Trittbrettfahrerinnen an die Körperflüssigkeiten zu heften begannen. Es war eine Zeit, in der die sexuelle Freiheit wie ein heiliges Mantra gepriesen wurde. Sie erinnern sich doch sicher an die Maxime make love, not babies.

An diesem Abend also hatte ich mich mit einem jungen Niederländer mit olivenfarbener Haut und üppigen gelbbeigen Locken verabredet. Er gehörte zum Schönsten, das ich je gesehen hatte, und er ließ sich bereitwillig von meinem Interesse einfangen. Deshalb gab er mir die Adresse eines halbfertigen Hauses im Zentrum von Eilat, wo er immer übernachtete. Doch als ich die Baustelle erreichte, war dort alles leer, weshalb ich meinen Schlafsack in einem Zimmer aufrollte, in dem auf dem Boden eine Luftmatratze lag. Ich nahm also an, daß ich das Nachtquartier des schönen Niederländers gefunden hatte. Die eben erst eingesetzten Fensterscheiben waren mit großen Kreuzen bemalt worden, damit niemand aus alter Gewohnheit versuchte, dort einzusteigen. Ich schlief fast sofort ein, nachdem ich eine Zigarette geraucht hatte, um die Moskitos zu vertreiben. Ich wurde davon geweckt, daß mir der Atem ausging. Auf mir und meinem Schlafsack lag das Biest, ein dunkler Typ mit leuchtenden Augäpfeln, der sich hart gegen mich preßte. Er keuchte wie nach einem Marathonlauf, und er war groß und breit und stank bestialisch. Über mir hing eine wahre Knoblauchwolke, die Abgase ausspuckte, und dieser Primat versuchte also – und das war das Schlimmste –, er versuchte doch tatsächlich, mich zu küssen. Mein erster Versuch, um Hilfe zu rufen, wurde davon erstickt, daß er seine grotesk dicken und behaarten Hände um meinen Hals legte und dermaßen zudrückte, daß vor meinen Augen bereits der Tod tanzte. Ich ließ meinen ganzen Körper so schlapp wie möglich werden. Vergewaltigung ist immer noch besser als Ersticken. Er zog die Sache mit seinem heiseren feuchten Keuchen durch und erdreistete sich sogar, mir seine widerliche Viehzunge in den Mund zu stecken. Aber ich war bereit! Als die Atemzüge des Grobians anfingen, eine höchst unpassende Ähnlichkeit mit dem aufzuweisen, was ich als näherrückenden männlichen Höhepunkt kennengelernt hatte, bohrte ich energisch meine Zähne in diese harte Zunge, die so groß war wie ein komplettes Filetsteak, biß sogar ein Stück ab, riß es mit den Zähnen heraus (meine Kieferpartie war immer schon kräftig, und ich kann mit dem Mund die meisten Handgriffe durchführen), und sein heiseres Gebrüll wäre vermutlich noch in Ägypten zu hören gewesen, wenn das nicht die frischeingesetzten Fenster verhindert hätten. Mit Müh und Not konnte ich meinen Kopf befreien, ohne daß mein Skalp in seiner Faust hängenblieb, die fast meinen gesamten Hinterkopf umklammert hielt. Mit dem ekelhaften Fleischfetzen im Mund, dessen beißendscharfes Blut in meinen Hals sickerte, konnte ich entkommen. Ich rannte und rannte, bis ich den einzigen Club erreichte, der so spät noch geöffnet hatte. Ich hatte den Zungenkadaver inzwischen in meine Hand gespuckt, und nun steuerte ich einen Tisch an, an dem Männer und Frauen saßen. Unter ihnen auch der große, starke Daniel mit seinem Afrolook und seinen dicken goldenen Ohrringen. Ich hustete Blut, brach zusammen und erklärte meine prekäre Situation.

Am nächsten Morgen kämmten Daniel und der örtliche Mafiaboß mit mir im Schlepptau ganz Eilat nach dem Verbrecher durch.

Muß ich noch erwähnen, daß mir meine nemesis divina gewährt wurde? Wir fanden den Vergewaltiger, der, in sich zusammengesunken tief im Dunkeln einer schäbigen Bierkneipe, längst nicht mehr so überdimensional wirkte. Daniel hatte eine Zigarette im Mund, als er auf den Übeltäter zuging. Der zitterte am ganzen Leib und versuchte es mit Ausflüchten, die er in seiner nunmehr nuschelnden und kaum verständlichen Zunge vorbrachte. Nach einer Salve von funkensprühenden arabischen Flüchen, mit denen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, alle in Israel um sich warfen, drückte Daniel seine Zigarette auf der Wange des Delinquenten aus. Die einzige Regung, die sich in dessen Gesicht zeigte, waren Fieberschauer. Vielleicht hätte er mit seiner amputierten Zunge lieber ein Krankenhaus aufsuchen sollen.

Während meiner restlichen Zeit in Israel schlief ich jede Nacht neben Daniel. Er wurde der erste in einer langen Reihe schwuler Seelenfreunde.

Erwachsene Homosexuelle waren für mich von nun an ein niemals bewußt begonnenes, aber nichts destotrotz bewußt abgeschlossenes Kapitel. (Mit einer Ausnahme, auf die ich später noch zurückkommen werde).

Ansonsten verflogen meine Jugendjahre in alle Himmelsrichtungen wie eine Schar verängstigter Sperlinge mitsamt dem einen oder anderen Kanarienvogel, doch auch diese kleinen gelben Farbtupfer verloren bald ihre Leuchtkraft.

Hella Hell

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