Читать книгу Hella Hell - Unni Drougge - Страница 16

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Seit dem Augenblick, als er sich aus den dunklen Regionen gelöst hatte, bildete Jocke das blendende Licht, das bei allen meinen weiteren Unternehmungen zu meinem Leitstern werden sollte. Er war alles, was ich wollte, alles, was ich immer gewollt hatte, und alles, was ich jemals brauchen würde. Deshalb erarbeitete ich einen Plan, der mein zukünftiges Glück sichern sollte. Um meine Gedanken zu ordnen, hielt ich es für angebracht, das angestrebte Szenario in ein zu diesem Zweck angeschafftes Buch mit schwarzen Seidenseiten einzutragen, die mit einem roten Drachen in Relief geschmückt waren. Nichts durfte schiefgehen, wenn es um die Vollendung der Eroberung meines Lebens ging. Ich war, was Liebe betrifft, einfach nur noch ausgehungert. Sicher meinen Sie jetzt, ich hätte eine Therapie versuchen müssen. Aber das hatte ich bereits getan. Ich hatte während einiger Sitzungen zu beschreiben versucht, was mich zu der geschmeidigen und unversehrten Schönheit der Teenieterrains hinzog, doch der Therapeut, ein bebrillter Mann mittleren Alters (mit roten Jeans!), zeigte keinerlei Verständnis für meine unglückselige Neigung und wollte alles mit Angst vor Alter und körperlichem Verfall erklären. Als sei das das Hauptproblem! Als ob ich neben meiner manischen Fixierung auf eine gewisse Art von jungen Knaben nun auch noch mit den Gesetzen der Schwerkraft belemmert werden müßte! Ich hatte inzwischen bereits zwei plastische Operationen hinter mir und hielt schon seit einiger Zeit streng eine Kotzdiät ein, und diese Probleme waren eine Art Nebenbeschäftigung, was ich diesem einfältigen Gehirnklempner auch kurz beipuhlte, ehe ich mich mit beherrschtem Zorn und auf Nimmerwiedersehen von seiner Analytikercouch erhob.

Ich war nicht nur von der Psychiatrie enttäuscht. Die kulturelle und gesellschaftliche Diskussion hatte eine Massenhysterie aufgepeitscht, die in Bezug auf Pädophilie bis zum Orkan angeschwollen war. Die Treibjagd auf mich und meine Unglücksbrüder und -schwestern ließ deshalb reaktionären Tendenzen in der Kunstszene und nazistischen Korinthenkackern freien Lauf in ihrem Ansinnen, eine wegweisende Ausstellung in einem unserer angesehensten Museen zu sabotieren, nur weil eins der Bilder ein paar nackte Teenieknaben mit Erektionen darstellte. Mein umstrittenes Buch hatte, passend zum Zeitgeist, einen Stein vor meine Öffnung gerollt. Was einem lichtscheuen Frauenzimmer, zu dem ich widerwillig geworden war, nun noch übrig blieb, war, im Trüben zu fischen. Aber wenn ich meinen Kontakt zu der redseligen Regina intensivierte, würde ich Jockes Gesellschaft bei vollem Tageslicht genießen können. Und darauf baute mein Plan auf. Die sexuelle Seite würde ich dann später in Angriff nehmen.

Egal. Als ich an diesem Abend also Jocke in die Regina’sche und Inger’sche Residenz zurückbrachte, hatte Reginas Konsum an berauschenden Getränken bereits Spitzenniveau erreicht, weshalb ihre zur Feier der Taufe aufgebauschte Frisur auf ihr normales Niveau zusammengefallen war. Jockes glattes Gesicht verzog sich, als er seine Mutter in diesem Zustand vorfand, und als sie den Mund öffnete, um ihn für sein Verschwinden zur Ordnung zu rufen, verschwand er in seinem Zimmer und knallte die Tür. Bei diesem Lärm fuhr der Kleine an Reginas Brust zusammen, obwohl er beim Stillen doch schon eine erhebliche Dosis Alkohol konsumiert haben mußte, er schnaubte und machte sich für eine Runde wildes Geschrei bereit. Regina verfluchte ihren älteren Sohn und gab dem Säugling einen Schluck von ihrer angereicherten Muttermilch. Danach überhäufte sie mich mit Dankesbezeugungen, weil ich ihren verlorenen Sohn heimgeholt hatte, und murmelte etwas davon, daß das »Soziale« im Notfall Extraeltern für ein Problemkind bezahlte. Jocke braucht keine Extraeltern, dachte ich. Er braucht eine kluge, reife Frau.

Ehe ich Reginas und Ingers Wohnung verließ, schaute ich bei Jocke herein, Jocke lag auf seiner zebragestreiften Tagesdecke, in einer Haltung, die seine braune Cordhose so wunderschön seinen Hintern umschließen ließ, daß mir fast die Tränen gekommen wären. Da lag er so einfach, ohne etwas von seiner Schönheit zu ahnen, und las einen Comic. Ich hob den Daumen und zwinkerte ihm kurz zu, dann versprach ich, mich bereits am nächsten Tag wieder bei ihm zu melden.

Am folgenden Tag quälte ich mich mit Regina und dem Kinderwagen durch einen Nachmittag im Park, bei dem sie sich ununterbrochen über ihre ausgebliebene Theaterkarriere beklagte, ein Ausbleiben, das offenbar ihre persönliche Tragödie ausmachte. Schuld an dem ganzen Debakel war ihrer Aussage nach einzig und allein Jocke, oder genauer gesagt, sein Vater, den sie als »Mitbetroffenen« bezeichnete. Regina streute mit illustriertenpsychologischen Ausdrücken um sich, als erwarte sie, daraus einen üppigen Acker erwachsen zu sehen, obwohl diese Ausdrücke an sich so sinnlos waren wie Konfetti. Daß ich ihrem Gefasel trotzdem sekundierte, versetzte Regina in lyrische Stimmung, und immer wieder rief sie, wie weitsichtig und rational ich doch sei. Deshalb lud sie mich nach Beendigung dieses watschelnden Spaziergangs zu sich zum Kaffee ein und bedauerte mit schrägem Lächeln, daß wir einander erst jetzt kennengelernt hatten. Meine Antwort lag auf der Hand, aber der verheißene Kaffee brachte Regina doch in eine vorteilhafte Lage. Ich hoffte natürlich, daß Jocke zu Hause sein würde.

Das war er. Er übte Gitarre, als ich in sein Zimmer schaute. Er hatte einen glasigen Blick, und als ich meine dunkle Oakley aufsetzte, lächelte er matt, aber einladend. Der kleine Schelm!

Regina deckte den Tisch auf dem Balkon, der Blick auf einen offenen Platz mit Sandkasten und Rutschbahn hatte. Ab und zu wurde die laue Nachmittagsluft von Kindergeschrei zerrissen, und der kleine Fabian lauschte den kollegialen Geräuschen voller Interesse. Dann war Zeit zum Stillen. Inger, die gerade von der Arbeit gekommen war (sie arbeitete beim Landesverband für sexuelle Gleichberechtigung als Webmasterin), übernahm die Kaffeeherstellung und leerte den Mülleimer, der den charakteristischen Geruch von Kleinkinderkacke absonderte.

Jocke griff gierig bei dem Gebäck zu, das vom Taufgelage noch übrig war, und mir ging auf, daß er Hasch geraucht hatte, weil sich in der Folge solchen Genusses oft ein absoluter Heißhunger auf Süßes einstellt. Ich lächelte ihn an, und er begriff, daß ich seinen Zustand durchschaut hatte. Regina griff den Faden wieder auf, der durch die Stillpause abgerissen war, kaute auf einem Rosinenbrötchen herum und versuchte die unfaßbare Tatsache zu erklären, daß eine lesbische Freundin zum heterosexuellen Lebensstil zurückgekehrt war. Regina verdrehte ihre blaßgrauen, ungeschminkten Augen, aber glücklicherweise verfügte Inger über die Selbsterkenntnis, die ihrer Frau fehlte, und wies daraufhin, daß sie beide doch nach einem klassischen heterosexuellen Muster lebten. Jocke hatte es sich sicher längst angewöhnt, sich aus solchen Gesprächen auszuklinken, denn er drehte Kügelchen aus den Innereien eines Brötchens und schleuderte sie mit aller Kraft auf die kleinen Vögel auf dem Nachbarbalkon. Worauf seine Mutter mit einer wütenden Zurechtweisung auf ihn losging, die auf sein Geschlecht anspielte, und in der ihrem oralen Schließmuskel Ausdrücke wie »gewaltgeile Chauvimanieren« entwichen. Hoffentlich wird der Junge von diesen katastrophal fehlgeleiteten Erziehungsversuchen nicht verdorben, dachte ich. Nach diesem kleinen Zwischenspiel, das ich zu meiner Beunruhigung für Alltagskost in der Familie Ström (Reginas Name) – Fors (Ingers Name) hielt, bedankte ich mich für den Kaffee und versuchte, Blickkontakt zu Jocke aufzunehmen. Was mir leider nicht gelang. Er ließ lustlos die Arme über das Balkongeländer hängen, und mein Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen. Sicher schämte er sich unendlich über das taktlose Verhalten seiner Mutter.

Göttin sei Dank war es unverschämt leicht, Reginas Vertrauen zu gewinnen. Gemeinplätze und leeres Gewäsch reichten dazu völlig aus. Ihre Lebensanschauung bestand aus einem zerkochten Mus aus Simone de Beauvoir, dem Dalai Lama und populärwissenschaftlicher amerikanischer Psychosoße. Das Ganze wurde dann gewürzt mit einigen glitzernden Körnchen Gaydisco. Und mußte mit ansehnlichen Mengen billigen weißen Weins hinuntergespült werden.

Nein, jetzt war es an der Zeit, meinem schönen Plan neue Gleitmittel zuzuführen und meine weiteren Gedanken in mein schwarzes Tagebuch einzutragen. Ich tunkte die Feder in die Tinte und fing an zu schreiben.

Moment 1.

Begreift Regina, diese Riesenvagina, wie ihr feministischer Terror einen Sohn im Teeniealter beeinflussen muß? Jockes Psyche kann aufs übelste deformiert werden, wenn er sich in seinem kleinen Kinderzimmer zu seiner schäbigen E-Gitarre und seiner Sammlung von Platten der männlichen Rock-Desperados verkriechen muß. Ich muß ihn retten, ihm dabei helfen, dieser mit Schleimhäuten tapezierten Wohnung zu entkommen, in der die quasi-intellektuellen Floskeln herumschwirren wie resistente Bakterienherde.

Wie um alles in der Welt soll ich das Leid mitansehen können, das mein Joy Boy in dieser Umgebung aushalten muß, wo keine Rücksicht auf seine Bedürfnisse genommen wird? Geduld ist schwer.

Halte durch, bald werde ich dich retten, mein dreizehnjähriger Sahnepudding.

Das schrieb ich in einer Art wütenden Hochstimmung. Danach klappte ich das schwarze Buch sorgsam zu und verschloß es mit der roten Seidenschnur.

Damit war das Terrain besetzt, und mein Plan trieb wie ein Floß über einen unendlichen Ozean aus Möglichkeiten. Ich stand hier vor meiner wahren Lebensaufgabe. Und glauben Sie mir – ich hatte niemals böse Absichten! Der Plan, den ich für Jocke inszenierte, war mein letzter Versuch, mit behutsamer Hand den Schabernack, den das Schicksal mit mir trieb und vor dem ich bisher demütig den Nacken gesenkt hatte, in den Griff zu bekommen. Wenn es eine Sekte für Menschen mit meinem Charakterfehler gegeben hätte, einen Verband wie die Anonymen Alkoholiker, dann hätte diese Gemeinschaft eine treue Anhängerin gefunden, Hella Hell nämlich. Verstehen Sie, wie einsam ich mich fühlte? Und daß ich zu der Zeit, in der sich das alles zutrug, viel zu oft ein Wasserglas mit Wodka Kurant vollkippen mußte, wenn die Brecher der Erkenntnis sich über mein Gewissen ergossen, obwohl ich sonst doch nie auch nur das kleinste Alkoholproblem gehabt hatte?

Damals wie heute saß ich an meinem Schreibtisch und feuchtete meinen Hals mit einem nach schwarzen Johannisbeeren schmeckenden Elixier, auch wenn es heute aus übertrieben gesüßtem Saft besteht, dem einzigen Geschmack, der an die Vergangenheit erinnert, deren Puzzlestücke ich ohne die Assoziationen, die dieser Geschmack mir gibt, nicht zusammenlegen kann.

Es war Abend, und die Dämmerung jagte die Großstadtbevölkerung aus ihren ereignislosen Häusern ins schäumende Leben der Straßencafés.

Sollte ich in die Nacht hinaus wandern und mich auf einen Barhocker setzen, um mich von redseligen Herren von Mitte fünfzig umwerben zu lassen? Lachen und mir scheinbar interessiert ihre revidierte Lebensphilosophie anhören, nachdem sie nach ihrer ersten und ihrer zweiten gescheiterten Ehe endlich zu der Erkenntnis gekommen waren, daß es zwischen Männern und Frauen eben doch einen Unterschied gibt? Sollte ich zustimmen und lachen? Oder widersprechen und lachen? Mir noch mehr Unsinn anhören und mich zu einem weiteren Glas einladen lassen? Und dazu gezwungen werden, für den Gesprächszusammenhang völlig belanglose Details wie Namen und Beruf preiszugeben?

Diese düsteren Aussichten wurden von einem ebenso düsteren Regenguß unterbrochen, der gegen das Dach über meiner großflächigen Loftwohnung prasselte. Was Jocke wohl gerade machte?

Ich beschloß, Regina anzurufen. Es klingelte dreimal, dann meldete sich eine weiche und zugleich rauhe dreizehn Jahre alte Stimme, und ich war einfach außer mir.

»Aber hallo«, sagte ich dann. »Hier ist Hella.«

»Wie schön«, sagte Jocke, und ich hörte ihn lachen.

»Bist du allein?«

»Ja. Muttern und Inger fressen bei zwei Schwulen.«

»Und warum bist du nicht mitgegangen?«

»Hatte keine Lust.«

In meinem fieberhaften Gedankenwirbel kam es zu einem Stocken. Sollte ich Jocke einladen? Aber wie sollte ich das Regina gegenüber begründen? Ich faßte einen Entschluß. Ich würde ihr ganz einfach die Verantwortung für den kleinen Tunichtgut abnehmen, so lange sie von dem Baby dermaßen in Anspruch genommen war.

»Wozu hast du denn Lust?« fragte ich mit verspielter Stimme und betonte das Wort Lust.

»Weiß nicht«, sagte er (allerdings mit dieser wunderbaren jugendlichen Schlaffheit, die es sich wie »weinich« anhören ließ). »Spaß haben«, fügte er dann hinzu.

»Und wie geht das?«

»Was denn?« Jetzt schien er verwirrt zu sein.

»Spaß haben?«

»Dazu braucht man Kohle«, murmelte er mit einer Stimme, die plötzlich einen leisen Beiklang von verletzter Männlichkeit hatte.

»Kriegst du denn kein Taschengeld?« fragte ich und versuchte, mich so förmlich und geschäftlich anzuhören, wie ich nur konnte, damit er sich dem triefenden Geschlechtswesen Hella Hell gegenüber nicht wie ein Kind vorkäme.

Er lachte kurz.

»Ich kriege das Kindergeld von achtzehnhundert im Monat. Aber mein Taschengeld ist schon alle.«

»Dein Haschengeld?« scherzte ich, und er hatte verstanden.

»Genau.«

»Und wozu brauchst du sonst noch Geld?«

»Weinich«, antwortete er zögernd. »Bier ... Gitarrensaiten ... Miete für den Übungsraum ... coole Klamotten ... ich weinich. Mit Kohle lassen sich doch immer alle möglichen Löcher stopfen.«

»In Löcher läßt sich vieles stopfen«, erwiderte ich vielsagend. »Das ganze Leben ist doch ein klaffendes Loch, oder etwa nicht?«

»Ja, zum Teufel«, Jocke kicherte. Danach schien er Anlauf zu nehmen, ehe er fragte. »Wie lange kennst du meine Alte schon?«

»Ungefähr ein Jahr. Aber wir hatten bisher nur beruflich miteinander zu tun. Angefreundet haben wir uns erst in letzter Zeit.«

Der frühreife Teenie wollte weiterkommen, denn jetzt nahm er abermals Anlauf.

»Äääh, wie soll ich das sagen ... also ... fährst du auch auf Frauen ab?«

»Aber Herzchen!« rief ich. »Das mußt du doch begriffen haben!«

Er seufzte enttäuscht und verstummte. Göttin, bald hatte ich ihn!

»Begriffen, daß das nicht der Fall ist«, hakte ich mit lautem Lachen nach, in das er brav sein kleines heiseres Kichern mischte.

»Mmm. Du bist bestimmt verheiratet und der ganze Scheiß.«

»Seh ich so aus? Bin ich fett? Blaß? Schlecht angezogen? Langweilig?«

»Nein, wirklich nicht.«

»Na also. So werden Frauen nämlich, wenn sie eine feste Beziehung haben.«

Ai, da war ich in eine Sackgasse geraten. Rasch ruderte ich zurück: »Wenn sie sich mit einem öden Kerl abschleppen müssen, meine ich.«

»Dazu wird ja wohl keine gezwungen«, wandte Jocke ein.

»Doch. Von der Angst vor Einsamkeit. Selbst das noch so öde Reihenhausleben ist den meisten lieber, als daß sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und als Herzensreiterinnen das blutige Schlachtfeld der Leidenschaft überqueren müssen, um die himmlischen Oasen zu erlangen.«

»Meine Fresse, hast du das in irgendeinem Buch gelesen, oder was?« frage Jocke erstaunt.

»Hör doch auf«, sagte ich mit leisem Wiehern. »Das war bloß ein Klischee.«

»Herzensreiterinnen, was heißt das wohl auf Englisch?« überlegte Jocke.

»Heartrider, würde ich vorschlagen«, sagte ich.

»So werde ich ein Stück nennen. Oder Rider of my heart.«

»Wie heißt eure Band?«

»Rex.«

»Wie der König?«

»Ja, aber man kann das auch auf Englisch schreiben.«

»Aha, du meinst Wracks – wrecks?«

»Ja.«

»Clever.«

»Naja.«

»Und wie läuft die Sache?«

»Wir haben gerade erst angefangen. Aber wir haben schon acht saugute Stücke.«

»Und bald werdet ihr die Welt erobern.«

»Blödsinn.«

»Aber sicher doch.«

»Wir brauchen einen Manager.«

»Ich kenne jede Menge Leute, ich kann mich mal umhören.«

»Spitze! Mit dir zu quatschen ist echt cool

Jetzt mußte ich eine Testkarte auswerfen, das war klar. Feststellen, ob das Eis trug.

»Komm mit ins Kino. Ich lad dich natürlich ein«, fügte ich rasch hinzu und suchte den passenden Jargon. »Dann können wir hinterher was picken gehen, du hast doch bestimmt noch nichts gegessen.«

»Ich hab eine Quiche in die Mikro geschoben«, teilte er mit. »Was denn fürn Film?«

»Ein romantisches Liebesdrama aus dem neunzehnten Jahrhundert.«

Jockes Schweigen schrie mir fast ins Ohr, als ich ein grobes Lachen hören ließ (ich kann unerhört vulgär lachen, wenn ich will).

»Wofür hältst du mich, Herzchen«, fragte ich dann. »Ich meine natürlich eine saftige, blutige Actionkiste. Gefolgt von einem ebenso saftigen, blutigen Steak.«

»Mmm. Wann denn?«

»Ich hol dich in einer halben Stunde ab. Dann ist deine Mama doch sicher noch nicht zu Hause?«

»Nein, nicht, wenn sie zum Essen Wein trinkt, und das tut sie bestimmt«, antwortete Jocke mürrisch.

»Dann bis gleich«, endete ich mit gedämpftem Vogelzwitschern im dunklen Schwalbennest meiner Stimme.

Überlegen Sie sich jetzt mal, wie eine Frau von vierzig, die sich gerade mit einem Jungen von dreizehn verabredet hat, sich über ihre Bikinilinie und über die Falten in ihrem Gesicht Gedanken macht! Sie muß in einem großen Spiegel ihre Figur studieren, muß sich drehen, sich bücken, hin- und her laufen und sich dreimal umziehen. Sie kann mit dem Gedanken an allerlei Schönheitsoperationen spielen und versuchen, sich selbst mit den Augen eines jungen Betrachters zu sehen. Sie kann ziemlich zufrieden sein. Aber sie kann sich niemals für fünfundzwanzig ausgeben. Hella Hells schlanker Leib, ihre recht glatte Haut und ihre vollen, gepflegten Haare mochten täuschen, ihr Blick jedoch entlarvte sie. Ihr Blick zeigte den exquisiten Diamanten der Intelligenz, den das Außenseiterinnentum so vieler Jahre so scharf geschliffen hatte, daß diese Schärfe Unbehagen vermitteln und außerdem von einem unangenehmen Alter künden konnte. Deshalb setzte Hella Hell ihre Sonnenbrille auf, bevor sie kurz in einer Bar in der Lästmakargata vorbeischaute, wo sie den Wirt gut kannte.

Hella Hell

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