Читать книгу Hella Hell - Unni Drougge - Страница 15
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ОглавлениеZu dieser Zeit hatte ich nur noch einen einzigen Freund, nämlich einen schwulen Junggesellen namens Klas. Die Bars und Kneipen der Gays wurden zu meinen Tränken, und ich lernte dabei zwei Lesben in meinem eigenen elenden Alter kennen. Sie waren die amtliche Partnerschaft eingegangen, und die eine hatte sich künstlich befruchten lassen und war jetzt hochschwanger. Trotzdem kippte sie gern ein Glas oder auch drei, und eines Nachts überschritt ich im Lesbenclub Cunt selbst die Menge berauschender Getränke, die mein schmächtiger Körper vertragen konnte. Plötzlich hatte ich das Gefühl, von zahllosen unwiderstehlichen langhaarigen Schlümmeln umgeben zu sein (Lesben pflegen ja oft einen jugendlich maskulinen Stil), und ich verließ das Lokal mit einer Person, mit der ich ziemlich viel getanzt hatte. Die laute Musik hatte ein Gespräch unmöglich gemacht, und deshalb geriet ich aus der Fassung, als ich feststellte, daß zu diesem Körper, den ich in meinem freundlichen Rausch für den eines Knaben gehalten hatte, eine helle Frauenstimme gehörte. Um ihre Erwartungen nicht zu Schutt und Asche werden zu lassen, ging ich dann doch mit ihr in ihr Zimmer mit Kochnische in der Skånegata, und ich bedauerte selbst zutiefst, daß ich nicht auf junge Damen stand, denn eine solche Neigung war doch mehr akzeptiert als meine subversiven päderastischen Neigungen. Die Nachwehen dieser Nacht, die alle außer mir als wahnsinnig lustig beschrieben, brachten mich dann näher an Regina heran, die schwangere Lesbe, die meine nächtliche Bekanntschaft gut zu kennen schien, und wir rissen Witze über meine schwerwiegende Fehleinschätzung, da sie in lesbischen Kreisen als waschechte Baby Doll-Dyke galt. Glauben Sie nun aber nicht, ich hätte Regina in mein tragisches Schicksal eingeweiht. Noli me tangere! Unsere Freundschaft fand eher auf praktischer Ebene statt, da Regina mich darum bat, gegen Bezahlung natürlich, die Zeitschrift zu gestalten, die die Lesben- und Schwulenbewegung jeden Monat mit Hilfe eines wohlwollenden staatlichen Zuschusses herausgab. Ich nahm an, weil ich gerade keine anderen Aufträge hatte. Meine Arbeit in der Agentur, an der ich noch immer einen Anteil besaß, war nicht mehr gefragt, seit mein literarischer Skandal allgemein bekannt geworden war. Das Büro mußte mich auch nicht beschäftigen, da ich auf Beraterinnenbasis dort gearbeitet hatte. Also saß ich jetzt in einem Atelier im Erdgeschoß an der von Abgasen gesättigten Hornsgata und layoutete eine Zeitschrift mit engem Budget. Aus einem umworbenen Werbegenie, das in Angeboten fast ertrank, war ich nun zu einer verjagten Stadtratte geworden, die in den dilettantischen und unterfinanzierten Downmarket-Gefilden umherstromerte.
Ich weiß kaum noch, wie ich während dieser betrüblichen Phase die Tage herumgebracht habe. Meine Tochter Lola rief meistens an, um mehr Taschengeld zu verlangen, während ich allen Grund zu dem Verdacht hatte, daß sie es für Make-up ausgeben wollte. Meine Mutter meldete sich bisweilen, um sich von meinem Wohlergehen zu überzeugen und Lolas Sommerferien zu planen.
Mein sinkender Kurs hatte also die Talsohle erreicht, als Regina mich zur Taufe einlud. Regina hatte einen gesunden Knaben geboren, der nun den Namen Fabian erhalten sollte.
Der Spiegel hatte mir in letzter Zeit den Krieg erklärt, und ich zupfte gereizt an meinem weißen Hosenanzug und stellte fest, daß die Jahre vorüber waren, in denen Grundierungscreme, Tarncreme, Make-up und Puder mein Aussehen verjüngt hatten. Jetzt dagegen schienen die kosmetischen Präparate sich an den unvorteilhaftesten Stellen zu sammeln, zum Beispiel in den Falten, statt sie anzufüllen und zu glätten. Aber ich wollte jetzt ja zu einer Taufe, nicht zu einer Schönheitsfoto-Session, deshalb ging ich leicht verspätet, leicht geschminkt und leicht parfümiert los. Ein Frühlingsregen strömte herab, ich mußte wieder nach Hause, um meinen Schirm zu holen, was mich noch mehr verspätete, und deshalb schlich ich mich leise durch die Kirchentür und blieb ganz hinten stehen.
Regina stand in einem weißen Kleid, das ihren breiten Hintern sehr schmeichelnd umgab, vor dem Altar. Ihre sonst kurzgeschorenen mausgrauen Haare waren jetzt zu Locken gelegt, und die Frisur war so sorgfältig geföhnt und toupiert worden, daß die Haarenden geschwungen auf Reginas Schultern lagen. Inger, ihre Lebensgefährtin, stand mit dem Baby im Arm daneben, stolz und froh wie ein frischgebackener Vater. Das Gelaber des Pastors war ein Störelement von agitatorischen Floskeln über die späte, aber willkommene Akzeptanz der Tatsache, daß auch Homosexuelle ein Recht auf die Bildung von Familien hatten. Zwei hartgeschminkte Transsexuelle in den hinteren Reihen fingen während dieser endlosen Betrachtungen an zu kichern und zu tuscheln, denn die Ausführungen waren absolut überflüssig in dieser vorurteilslosen Gesellschaft aus alternden Schwulen, gutmütigen Verwandten und kurzgeschorenen jungen Lesben mit gepiercten Lippen, Nasen, Augenbrauen und Zungen. Dann wurde das Kind endlich auf den Namen Fabian Alexander getauft, der Choral »In deiner treuen Hut, o Herr« wurde gemurmelt, ein Junge (viel zu jung, höchstens zehn) sang »Wer segelt denn wohl ohne Wind«, und die Menge strömte dem Ausgang entgegen. Ich hatte eigentlich das Taufgelage bei Regina zu Hause überspringen wollen, mußte aber in der Kirche bleiben, bis ich meine Philippe Starck-Vase überreicht hatte. Als Regina und Inger vor einer Empore Aufstellung nahmen und alle sofort den Finger in die winzige Hand des Kindes schieben wollten, um dessen Greifreflex zu testen, kam aus dem Dunkeln ein Jüngling zum Vorschein. Er hatte sich offenbar hinter der Treppe versteckt, die zur Empore hochführte, und jetzt sah ich nur noch ihn. Die feierlichen Klänge der Kirchenorgel hüllten ihn ein, und er zwinkerte mir zu.
Die Offenbarung war ein jeanstragender Junge, dessen Schlüsselkette in langem Bogen über seinen mit seltener Vollkommenheit modelliertem Oberschenkel hing. Es war ein weizenblonder Bube mit Pagenfrisur, der eine hellgrüne Jacke trug, unter der sich zwei leicht gewölbte Brüste und ein T-Shirt mit Kizz-Emblem zeigten. Ein Teenieschlingel mit niedlicher Stupsnase, glatten himbeerroten Lippen und gesenktem Blick. Bis er die hingerissene Schmuddeltante Hella Hell entdeckte, deren Katzenaugen ihn auszogen, ja, ihm die Kleider vom Leib rissen. Worauf sein schwarzgerahmter Blick sich wie eine Welle über mich ergoß und wir beide lächelten, indem wir einen Mundwinkel hoben. Smash!, jubelte eine Stimme in mir. Dieser waschechte Joy Boy war dermaßen formvollendet, daß unser Schöpfer seinen Stab bestimmt einige zusätzliche Male geschwungen hatte, während er heimlich kicherte und sich auf die explosive Wirkung freute, die sein Produkt auf die hypersensible Hella Hell ausüben würde. Das Produkt bekam in jeder Hinsicht die höchste Punktzahl! (Ach, möge das deutliche Bild, das ich von Jocke noch behalten habe, niemals verbleichen!)
Regina unterbrach den wortlosen Dialog, in den der Junge und ich bereits vertieft waren.
»Ach, wie gut«, rief sie. »Jetzt lernst du endlich Jocke kennen.«
Ich riß mich los aus der blauen Lagune, in der ich mich verloren hatte, und schaute Regina verwirrt an. Jocke, Jokke ... Regina hatte diesen Namen nebenbei einmal erwähnt, wie den eines Nachbarn oder eines homosexuellen Freundes.
»Jaaa«, sagte sie jetzt. »Also, mein Sohn.« Dann drehte sie sich zu Jocke um, stellte mich vor und erzählte, was ich so machte. In diesem Fall freute ich mich über Reginas enge Perspektive, denn sie sagte nur, ich sei AD bei ihrem Homoblatt, das ihm natürlich bekannt war. Meine dubiose Karriere als Skandal- und Kultautorin erwähnte sie dagegen mit keinem Wort. Jocke streckte die Hand aus, und ich wagte kaum, sie zu berühren, so peinlich war mir die Sturzflut aus Handschweiß, die ich zweifellos von mir geben würde.
»Ich wußte ja gar nicht, daß du schon ein Kind hast«, brachte ich als Entschuldigung für meine Verwirrung vor. (Wenn dieses halbwüchsige Kind eine Tochter gewesen wäre und kein absolut perfekter Schlümmel, dann hätte ich natürlich in Rekordzeit wieder zu mir gefunden.) Aber Regina schöpfte keinen Argwohn.
»Ach herrje! Ich war mir ganz sicher, daß du das wüßtest. Aber das kann ja daran liegen, daß er im letzten Jahr bei seinem Vater in Hudiksvall gewohnt hat. Das ist doch jetzt ein Jahr, Jocke, oder?« fragte sie ihren Sohn.
Er nickte und bohrte eine Welpenfaust in seine Hosentasche, was mir eine Vorahnung davon gab, was sich noch dort unten befand, und diese Ausbeulung verdrängte alle anderen Gedanken, als wir in redseliger Prozession zu Reginas und Ingers Wohnung bei Slussen zogen. Während des kurzen Weges versuchte ich, mich mit dem schlaksigen und hochaufgeschossenen Schelm zu unterhalten, der mit den Händen in der Tasche in seinen achtlos gebundenen Doc Martens neben mir dahinlatschte.
»Wie ist es denn so in Hudiksvall?« fragte ich angespannt, während ich mir den Kopf darüber zerbrach, was es wohl für ein Gefühl sein würde, die Zähne in seine festen Hinterbacken zu schlagen.
»Ach, eben so«, antwortete er. (Ich muß übrigens auch von seiner Stimme erzählen. Stellen Sie sich einen Sprung in eine Sandgrube vor. Oder eher von einer hohen Sanddüne in glatten weißen Sand. Das Geräusch, das bei der Reibung mit dem Sand entsteht. Das war die Qualität von Jockes Stimme.)
»Wie das denn?« fragte ich mit echtem Interesse, ich wollte alles über die Innenwelt dieses von Gott gesandten Wunders wissen.
»Ähh«, sagte er und bedachte mich mit einem blauen Knabenblick. »Keine Bräute und kein Spaß.«
»Gibt’s mit Bräuten denn mehr Spaß?« Ich lachte ein wenig beleidigt, aber auch erleichtert, da ein echter Schlümmel immer offen ist für die geschlechtlichen Verlockungen, und da die Erfahrung, die er auf diesem Gebiet offenbar schon gesammelt hatte, darauf hindeutete, daß er sexuell mündig war. Er hatte meinen scharfen und eindringlichen Blick richtig erfaßt, denn er antwortete mit einem halben Lächeln:
»Jaa. Wenn sie wissen, was Sache ist ...«
Hier wurde die Konversation, die zweifellos die Sperren zwischen mir und einem echten Joy Boy auflösen könnte, leider abgebrochen. Wir standen nämlich bereits auf der Schwelle zum angekündigten Kaffeeklatsch mit Reginas und Ingers Angehörigen.
Als der Grund meines Hierseins sich in die inneren Gemächer der Wohnung verzog und mich der Gesellschaft der Erwachsenen überließ, fing ein zottiger Vogel mit ausgebreiteten Schwingen an, in meiner Brust umherzuflattern. Mein Herzrhythmus steigerte sich, ich konnte nicht mehr schlucken, und meine Wangen glühten. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine solche Panik erlebt zu haben, aber von diesem Moment an hatte sie in meiner Brust Wurzeln geschlagen und fand nur noch Ruhe, wenn mein Geliebter sich in meiner unmittelbaren Nähe befand.
Als ich dann vor meiner Kaffeetasse, die ich aus Angst vor einem Herzanfall nicht umzurühren wagte, und einem Muffin dasaß, versuchte ich, Reginas Mutter zuzulächeln, deren Wortschwall ich nicht einmal zur Hälfte begriffen hatte. Vermutlich hatte es sich nur um unwichtiges Gerede zum Thema Kinder gehandelt. Ich konnte meinen Blick auf keins der kauenden und redenden Gesichter konzentrieren, die einfach so in der Luft zu hängen schienen. Ich hatte schon Angst, sie könnten sich um mich zusammendrängen, um mich in meinem freien Fall genauer in Augenschein zu nehmen und dabei die sündhaften Phantasien zu entdecken, die tief in mir umherkrochen. Seltsamerweise war mir noch kein Horn auf der Stirn gewachsen.
Während meine Blicke sich auf Reginas und Ingers uneinheitliche, stillose und in Bezug auf alle ästhetischen Grundlagen geradezu ketzerische Einrichtung richteten, fand in meinem siedenden Herzen eine fieberhafte Denkarbeit statt. Als ich den Mahagonisekretär betrachtete, der mit karierten und getupften Vasen voller Plastikblumen zugestellt war, beschloß ich, zur Toilette zu gehen und mich dabei in der Zimmertür zu irren, bis ich ihn gefunden hätte. Aber als mein Blick auf zwei afrikanische Masken von der Sorte fiel, wie Reisende sie gern aus exotischen und übermäßig ausgebeuteten Reisegegenden mitbringen, riß ich mich zusammen. Denn was hätte ich als nächstes tun sollen? Ich mußte ihm eine Falle stellen, das Interesse des Kleinen erwecken und nicht die wohlmeinende erwachsene Dame spielen, die nette Fragen stellt und nette, aber wortkarge Antworten erhält. Neben den Grimassen schneidenden Masken aus Afrika stand ein schiefes Bücherregal mit den obligatorischen gerahmten Fotos. Sofort entdeckte ich ein Farbbild des Jungen als kleinem Knaben. Warum war er zum Papa nach Hudiksvall verbannt worden? Vielleicht könnte ich ihm eine Unterkunft in meiner standesgemäßen Hundertvierzigquadratmeter-Wohnung anbieten, die ich aus meinen goldenen Zeiten behalten hatte? Dieser Gedanke feuerte mich dermaßen an, daß sich mir die Haare sträubten, aber sie blieben dann an dem dilettantisch gemalten Bild an der mir gegenüberliegenden Wand hängen. Nein, bremste ich mich. So ein Vorschlag könnte den Jungen verscheuchen, denn dann würde er ahnen, was ich zwischen den Zeilen zu lesen wünschte. Er würde sich als angehender Gigolo sehen, und Beziehungen zu Gigolos waren noch nie Hella Hells Stil.
Das Stimmengewirr zwischen den übermäßig dekorierten Wohnzimmerwänden legte sich nicht, wurde jedoch von der artfremden Einmischung gestört, die Jockes Gestalt hier nun einmal darstellte. Er stand in der Tür und gab Regina zu verstehen, daß er ausgehen wolle.
»Du weißt, wann du zu Hause zu sein hast«, sagte Regina gereizt, und ich sah, wie er den Kopf einzog, ehe er durch die Wohnungstür schlüpfte. Fang ihn dir, rief eine Stimme in mir. Mir wurde fast schlecht bei dem Gedanken, auch nur noch eine einzige weitere Sekunde in dieser plappernden Gesellschaft verbringen zu müssen, weshalb ich ohne nachzudenken aufsprang und davonstürzte. Der Fahrstuhl war bereits mit seiner kostbaren Last auf dem Weg nach unten, und ich mußte mich zusammenreißen, um nicht im wahrsten Sinne des Wortes die Treppe hinunterzustürzen. Ich hätte doch keine Entschuldigung vorbringen können, wenn ich einfach über ihn hergefallen wäre.
Als ich die Straße erreichte, war er spurlos verschwunden, und ich schlenderte unentschlossen zur Götgata, um mir ein Taxi zu suchen.
Zu Hause beschloß ich, später am Abend Regina anzurufen und zu fragen, ob ich bei ihr mein teures Feuerzeug vergessen hätte. Ich könnte dann auch eine Entschuldigung für meinen übereilten und nicht angekündigten Aufbruch vorbringen.
Die Zeit schlich dahin. Als ich zur Begleitung von drei Wodka Kurant meine Aufzeichnungen und Textentwürfe zu meinem neuen Buch ansah (eine Verteidigungsrede für das uneingeschränkte ästhetische Recht, gegen allgemein akzeptierte Normen zu verstoßen), griff meine Hand wie von selbst zum Telefon und wählte Reginas Nummer.
»Ach, hallo«, sagte sie mit vor Muttermilch triefender Stimme. »Tut mir leid, daß ich mich nicht um dich kümmern konnte, aber du weißt ja, hier war soviel Verwandtschaft, daß ...«
»Ich wollte eigentlich selbst um Entschuldigung bitten«, fiel ich ihr ins Wort. »Aber mein Magen hat offenbar ein ziemlich rohes Steak nicht so recht vertragen, deshalb hab ich mich nicht so ganz wohlgefühlt.«
»Ja, davor sollte man sich um diese Jahreszeit hüten, du hast ja keine Ahnung, wie Inger und ich um die Wette gekotzt haben, als wir das Europride-Festival in Kopenhagen besucht und in der Hitze irgendwas Falsches gegessen hatten. Trink einen Gammeldansk, das hilft. Äaaai! Fabian beißt!«
»Aber das hast du doch sicher alles schon mal erlebt, mit deinem anderen Sohn«, sagte ich, um auf diese Weise das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken.
»Jocke? Der war als Baby so bescheiden und ruhig, daß ich mir fast schon Sorgen gemacht habe. Er hat nur gegessen und geschlafen und war ansonsten mit dem Leben zufrieden.« An dieser Stelle seufzte Regina, und ich schlug natürlich sofort zu.
»Warum seufzt du?«
»Ach, wenn es nur so geblieben wäre. Jetzt ist er total unmöglich. Und deshalb muß er bei seinem Trottel von Vater wohnen. Aber das ist auch keine Lösung, ich meine, sein Alter hat doch Probleme mit ... Sag mal, hab ich dir wirklich nicht von Matti erzählt?«
»Nein, leider nicht«, sagte ich und legte soviel Interesse in meine Stimme, daß ich meine ohnehin schon großartige schauspielerische Begabung noch übertraf. »Wäre vielleicht an der Zeit, das mal zu tun.«
»Meine Güte, so besonders war das auch wieder nicht«, murmelte Regina. »Matti hab ich kennengelernt, als ich noch nicht aus dem Schrank hervorgekommen war und mit den falschen Männern herumhing, du weißt schon, mit Halbgangstern und Psychopathen. Matti war heroinabhängig, dieser Arsch. Aber das ist mir erst nach Jockes Geburt aufgegangen. Vorher hatte ich nur gemerkt, daß irgendwo die Scheiße lief, weil er manchmal tagelang verschwunden war. Aber eines Morgens hab ich Matti im Badezimmer mit einer Nadel im Arm entdeckt, er hatte vergessen, die Tür abzuschließen. Und zugleich mußte ich feststellen, daß er für das Zeug unsere gesamten Ersparnisse verbraucht hatte. Also flog er raus. Aber jetzt ist er seit einigen Jahren clean, das behauptet er zumindest. Ich weiß nicht, was ich glauben soll, aber er arbeitet in einem Therapiezentrum für Drogensüchtige, und da darf man sicher selbst nicht fixen. Glaubst du, es ist falsch, Jocke bei ihm wohnen zu lassen?«
»Kommt sicher auf Jocke an«, sagte ich und konnte meinen dringenden Wunsch, mehr über diesen Wunderknaben zu erfahren, sehr gut verstecken.
»Dem ist es einfach scheißegal, was ich sage! (Hier schlug Reginas Stimme ins Falsett um.) Er sitzt bloß auf seinem Zimmer und spritzt Laken und Tapeten voll. (Mmmm, dachte ich. Köstlicher Nektar wird da vergeudet!) Wenn er sich nicht draußen rumtreibt.«
»Rumtreibt?«
»Ja, wie jetzt. Er ist so gegen vier verschwunden und hat sich noch nicht wieder sehen lassen. Er ist genau wie sein Herr Papa. Matti hat schon mit zwölf Jahren so angefangen. Und Jocke ist doch erst dreizehn. Ja, ich meine, er wird am zwanzigsten Juni vierzehn, aber trotzdem ...«
Dreizehn?! Diese Zahl jagte durch meine Gehörgänge in meinen gierigen Unterleib, der seinerseits eine Welle der Schuldgefühle zum Sitz meines Gewissens hochspülte. Mein Gesicht glühte.
»Er ist erst dreizehn?«
»Ja, leider«, seufzte Regina. »Aber er ist verdammt früh entwickelt, das hat er auch von Matti. Und ich muß mich doch um den kleinen Fabian kümmern, ich bringe es nicht über mich, in der Stadt herumzurennen und meinen großen Bengel zu suchen. Und Inger tut das auch nicht. Sie ist mit Jocke eigentlich noch nie gut ausgekommen. Aber er soll den Sommer über bei uns in der Stadt bleiben, Matti arbeitet dann auf einem Gut in Frankreich, wo Drogensüchtige aus ganz Europa behandelt werden. Jetzt aber spiele ich wirklich mit dem Gedanken, Jocke doch noch hinzuschicken. Ich dachte zuerst, der Umgang mit all den Junkies und Haschern könnte gefährlich für ihn sein. Was meinst du?«
»Ich glaube, da hast du ganz recht, Regina«, sagte ich eilig. Sie durfte doch den frischentdeckten Silberstreifen an meinem Horizont nicht wegschicken, und deshalb fügte ich hinzu: »Wenn es zu schwierig für dich wird, bin ich ja auch noch da. Ja, ich habe in diesem Sommer wirklich nichts Besseres vor, Lola ist bei ihrer Großmutter in Schonen, und ich will an meinem neuen Buch arbeiten.«
»Ich möchte bloß wissen, wo er jetzt gerade steckt«, knurrte Regina, wurde aber sofort von einem wütenden Säuglingsschrei übertönt, dem eine Beratung zwischen Regina und Inger folgte. Ich wartete, bis das Babygeplärr verklungen war, dann bot ich noch einmal meine Hilfe an.
»Du Arme, ich höre ja, was bei euch los ist«, sagte ich mit fester, mütterlicher Stimme. »Weißt du was, ich kann doch versuchen, deinen jungen Ausreißer zu finden.«
»Ja, wenn du das über dich bringen würdest«, sagte Regina. »Der ist bestimmt irgendwo in Söder. Aber lauf dir bloß nicht die Beine aus dem Bauch.«
Ich wäre um den Äquator gelaufen, um diesen kleinen Honigbolzen aufzuspüren, dachte ich, als ich mich Södermalm mit langen, energischen Schritten näherte. Dort suchte ich dann methodisch die Jugendpiste ab und schaute in allerlei dunkle Kellerlöcher. Was jedoch ohne Erfolg blieb. Mein letzter Anlaufplatz in der Gegend war eine Bierhalle namens Kvarnan, wo ich mich am Tresen niederließ und das ganze Lokal im Griff hatte. Es herrschte schon ziemliches Gedränge, und ich mußte Fragen beantworten, deren Einfältigkeitsgrad sich jede halbe Stunde mit sich selbst multiplizierte. Grobe, untersetzte Zwanzigjährige mit dünnem Bartwuchs dominierten das Bild, sicherlich vor allem deshalb, weil ich mich in einer klassischen Arbeiterkneipe befand, wo die Jungstiere einen nostalgischen Workingclass hero-Look pflegten. Was mich fast schon wütend machte.
Wie aufs Stichwort stimmte dann die Mehrzahl der mit Bier zugedröhnten Männchen ein Trinklied an, dessen Schunkeltakt mich fast dazu veranlaßt hätte, meine Barrunde abzubrechen. Nicht, daß ich etwas gegen Animalisches an sich einzuwenden gehabt hätte. Aber schnöde Herdenmentalität hat mich eben schon immer abgestoßen.
Als das Schunkelgebrüll des Affenstamms verebbt war, vermutlich zusammen mit dem Bier in ihren Gläsern, glaubte ich, am Eingang ein Licht zu erahnen. Und richtig, da stand Jocke, wie ein Kokainrausch mitten in dem dunklen Biersuff. Sein klarer Blick ließ das Lokal erstrahlen, und ich bahnte mir einen Weg zu ihm. Als er meine in Leder gekleidete Offenbarung entdeckte und mich dann sogar erkannte, leuchteten in seinem Blick zwei Sterne auf. Später habe ich dann keine Anstrengung mehr gescheut, um diese Sterne noch einmal aufleuchten zu sehen.
»Du hier?« fragte er überrascht.
Ich überlegte. Er durfte mich nicht als von Muttern ausgesandte Spionin betrachten. Aber auch nicht als Frau mittleren Alters, die scharf auf Lammfleisch war (leider waren auch solche in diesem Lokal zugegen). Deshalb antwortete ich rasch:
»Ja, klar (hier legte ich ein seltenes Funkeln in meinen Blick). Das hier ist ja nicht gerade mein Salon, aber ich kam gerade hier vorbei und wollte mal reinschauen. Die versnobten Bars am Stureplan hab ich nämlich satt. Hier ist es doch gut und billig. Möchtest du übrigens etwas trinken?«
»Ein Bier wäre gar nicht schlecht«, erwiderte er und schaute mich mit leicht gesenktem Kopf an.
»Warte hier, dann wird das sofort erledigt«, befahl ich mit nur einem winzigen Hauch meiner reifen Autorität und steuerte den Tresen an, wo ich energisch meiner strengen Stimme Vortritt vor dem wehenden Wald aus Geldscheinen verschaffte, die vergeblich versuchten, die Aufmerksamkeit des Barmannes zu erregen. Gleich darauf stand ich wieder an der Tür, doch Jocke war einige Meter weiter ins Lokal gegangen und schäkerte dort mit einem mageren, langhaarigen Mädchen – nein, Göttin sei Dank, es war ein junger Knabe. Ein überaus niedliches Exemplar, weshalb ich mich sofort an seine Seite begab. Jocke strahlte, als ich ihm das Glas reichte, und er stellte mir seinen Freund vor.
»Das ist Patrik«, sagte er.
»Hallo, Patrik«, grüßte ich mit sanfter und doch leicht schroffer Stimme. Patrik betrachtete mich von der Seite her, weshalb ich mich in eine herausfordernde Positur begab.
»Wir haben gerade eine Rockband gegründet«, erklärte Jocke und trank so gierig sein Bier, daß der Schaum ihm an der Oberlippe klebte und ich den heftigen Impuls unterdrücken mußte, ihn langsam und sorgfältig abzulecken. Patrik hob sein Glas, wie um mir zuzuprosten, und ich reduzierte eilig meinen Wodka on the rocks.
»Mit anderen Worten, du willst in Stockholm bleiben und nicht zurück nach Hudiksvall«, erklärte ich und gab mir alle Mühe, meine Stimme nicht allzu hoffnungsvoll klingen zu lassen.
»Ja, wenn meine Alte das erlaubt«, seufzte Jocke. Schaute er mich dabei nicht ein wenig flehend an? Nein, Hella mußte energisch auf die Bremsen treten. Play it cool before you blow the whole damn thing, sagte ich mir.
»Wenn wir erst unseren Plattenvertrag haben, dann kann deine Mutter sich eins scheißen«, plapperte Patrik, und die beiden Jungs grinsten dermaßen selbstzufrieden, wie nur kleine Knaben das können, und ihr Optimismus war so deutlich von teen spirit geprägt, vom stereotypen Heldenmut der Action-Filme, daß alle Zärtlichkeit in mir zu einer Gaswolke wurde, in die ich diese beiden Wichte gern eingehüllt hätte. Vor allem Jocke, meinen Zuckerknubbel.
Während Patrik zum Tresen navigierte, um sich weitere Erfrischungen zu besorgen, konnte ich mit meinen umfassenden Kenntnissen der Rockartisten brillieren, die sich als Jockes wichtigste Inspirationsquelle erwiesen, und die glücklicherweise früher auch meine Lieblinge gewesen waren. Es handelte sich um Bands wie The Stooges, MC5, The Seeds, 13 Floor Elevator, New York Dolls, Hawkwind, The Cramps und andere, und damit hatte ich den Stammbaum innerhalb der Rockmusik genannt, zu dem auch Jocke im absteigenden Glied gehören wollte. Sein Interesse und seine Achtung stiegen um einiges, was mich sehr freute.
»Weißt du, daß sie eine Platte von den Monks hat«, fragte Jocke den zurückkehrenden Patrik, der mich sofort mit einem beeindruckten Blick beglückte. Danach hob Jocke seinen goldblonden Kopf in meine Richtung und flüsterte:
»Hast du was zu rauchen dabei?«
Kein Cannabis auf der ganzen Welt könnte sich mit dem berauschenden Duft messen, den Jockes Hals und Haar verströmten. Aaah, dieser wilde unparfümierte Geruch von Wind, Schweiß, Hautablagerungen, Staub und einer undefinierbaren Süße versetzte mich auf ein versunkenes Atlantis, das mir jetzt wieder vor Augen schwebt. Und neben diesem Duft brachte noch eine weitere Zugabe die Luft, meine frischerworbene Lebensluft, zum Zittern: Er hatte eine Schwäche für illegale Drogen! Diese Erkenntnis gebar einen Plan, ich wollte jedoch noch warten, ehe ich zur Tat schritt.
»Ich brauche nur mit den Fingern zu schnippen, mein Herzchen, und schon hast du alles, was du dir wünschen kannst«, erwiderte ich und richtete meine grünen Katzenaugen auf ihn. »Aber heute abend wollen wir uns solche Ausschweifungen doch verkneifen, was würde denn sonst deine Mutter sagen?«
»Die braucht das doch nicht zu erfahren«, sagte er mit verschwörerischem Lächeln. »Wie alt bist du eigentlich?« fügte er hinzu und ließ seinen Blick auf meiner feschen Designerbrust ruhen, die sich aufsässig unter meiner enganliegenden Jacke aufrichtete.
»Alt genug, um deine Mutter zu sein«, erwiderte ich ohne Umschweife und wahrheitsgemäß, aber auch mit dem Gehalt an Erotik, der die Hormonproduktion der munteren Welpen in Schwung bringt.
»Das glaub ich nicht«, lachte er und ließ seinen Blick prüfend meine teenieschlanken Oberschenkel hinabgleiten.
»Ach was«, sagte ich und legte den Kopf schräg. »Aber ist Alter denn eigentlich so wichtig?«
»Nein, natürlich nicht«, beteuerte er eifrig. »Ich meine, ich hab immer schon starke, zähe Mädels mit großen ... ich meine ... großen, also ... ach, wie soll ich das bloß sagen ...«
»Großen Schwänzen?« rutschte es aus mir heraus. Zum Glück nahm er das gelassen hin und prustete los.
»Ja, vielleicht«, sagte er.
»Hast du denn so große Erfahrungen mit dieser Sorte?« fragte ich kühn, jetzt, wo das Eis gebrochen war.
»Ach, so viele Möglichkeiten haben sich noch nicht geboten«, gestand er ein und senkte den Kopf auf diese unterwürfige Weise, die ich immer so bezaubernd und absolut aufreizend fand. Wenn ich zu Jockes Vokabular greifen wollte, dann hätte ich vermutlich etwas von »ich war halb drin« oder »fast auf M« aus mir herausgedrückt, und deshalb entschied ich, den Abend mit diesem halben Sieg für beendet zu erklären.
»Suck the big one, junior! Ich glaube, wir gehen jetzt zu deiner Mama nach Hause«, mahnte ich energisch (es kommt nie gut an, um diese Tageszeit den Aufbruch aus einer munteren Gastwirtschaft vorzuschlagen). Sein enttäuschtes Gesicht konnte ich bald wieder aufhellen. Ohne ihm Verdacht einzuflößen, meine ich. Ich zwinkerte ihm ganz kurz zu. »Ich glaube nämlich«, schnurrte ich dann, »daß du und ich unsere Kräfte für einen Kneipenzug aufsparen sollten, der erst dann enden wird, wenn alle deine Bedürfnisse erfüllt sind – und ich weiß, wovon ich rede, ich bin ja schon länger auf der Piste. Und«, fügte ich mit einem Nicken in Richtung Patrik hinzu, »du kannst gern deine Rockband mitbringen.« Jetzt strahlte Jocke und schien mir durchaus zu Willen sein zu wollen. »Das kriegen wir schon gebacken«, fügte ich hinzu und nahm mir die Freiheit, meine Hand um seine märchenhaften Oberarmmuskeln zu schließen, während er routinemäßig seine Strahler durch das Lokal schweifen ließ, um sich davon zu überzeugen, daß ihm dort nichts entging. Wir verließen die Kneipe und spazierten in Richtung Slussen weiter. Der hungrige kleine Wolf wollte aber noch einen Hamburger. Bei ihm zu Hause wurde nur vegetarische Kost serviert – welche Tortur für einen Schlümmel!