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Mein Bruder

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Meinen Bruder lernte ich erst kennen, als ich schon sieben Jahre alt war.

Mit Hilfe der Erzieher bauten die älteren Kinder ein Wasserbecken. Beim Bau des Beckens standen wir Kleinen in einer Reihe und reichten Steine weiter. Wir nannten es nur Planschbecken, zum Schwimmen war es zu flach, doch zum Baden reichte es. Es hatte die Form eines abgerundeten Dreiecks. Der Wassereinlauf befand sich in der Mitte des Beckens, an der tiefsten Stelle. Vom Schutzgeländer des Wassereinlaufs machten die Jungen Hechtsprünge. Wir Mädchen hatten keine Chance, auf das Geländer zu kommen, weil wir von den Jungs gestukt*** wurden.

Auf diesem Geländer sah ich zum ersten Mal meinen Bruder. Mit einer Freundin lag ich auf der Decke, und wir beobachteten neidisch die Jungen.

Plötzlich sagte ein Mädchen aus einer anderen Gruppe zu mir: »Der gerade da oben steht, ist dein Bruder.«

»Was«, rief ich erstaunt, »mein Bruder?«

Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nichts von einem Bruder. In mir erwachte die Erinnerung an eine Kinderschwester, die mich oft auf ihren Schoß nahm und mir von einer Schwester erzählte, die ich noch habe. Später dachte ich, ich hätte alles nur geträumt.

Den Jungen schaute ich mir genauer an, er machte einen tollen Hechtsprung. Angeber, dachte ich.

Neugierig hielt ich es nicht länger auf der Decke aus und lief zu ihm ins Wasser.

»Wie heißt du?«, fragte ich.

Er sah mich verdutzt an und sagte: »Warum willst du das wissen?«

»Weil ich vielleicht deine Schwester bin«, antwortete ich.

»Ich heiße Dieter B.«, rief er aufgeregt.

»Und ich Ursula B.«

Wir hatten tatsächlich denselben Nachnamen. Nun fragte er: »Wie lange bist du schon im Heim?«

»Schon immer«, sagte ich.

Wir gingen zur Decke, unterwegs erzählte er mir, dass er in vielen verschiedenen Heimen gewesen war, bis man in seiner Akte entdeckte, dass er noch eine Schwester in Berlin hatte. So brachten sie ihn hierher, in mein Heim.

Endlich war ich nicht mehr ganz allein. Obwohl mein Bruder in einer anderen Gruppe wohnte, fühlte ich mich den anderen Kindern gegenüber sicherer. Die Geschwister im Heim hielten zusammen, nun gehörte ich dazu.

Dieter bekam die Schwester meiner Pflegemutter als Mutter. Zu ihrer Familie gehörten das große Mädchen, das mich damals aus dem Heim abgeholt hatte, ein Sohn und der Mann. Nun waren wir Geschwister endlich wieder zusammen, doch durch unsere Pflegeeltern erneut getrennt.

Obwohl die beiden Elternpaare miteinander verwandt waren, sah ich meinen Bruder an den Wochenenden selten. Darüber war ich sehr unglücklich, manches Mal hasste ich unsere Pflegeeltern und meinen Bruder dafür, denn er fühlte sich bei ihnen wohl.

Weinen in der Dunkelheit

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