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Weihnachten

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Langsam geht der alte Mann durch die gottverlassene Gegend von Kaulsdorf. Ob seine Tochter es am Heiligabend den Kindern gemütlich gemacht hat? Er ist sich nicht sicher. Zu oft hat er die Kinder allein vorgefunden. Die Angst um seine Enkel treibt ihn hastiger vorwärts.

Erschöpft von der Anstrengung des langen Fußmarsches, erreicht er das einsame Haus am Bahngelände. Fast gespenstisch hebt es sich in der trüben Dämmerung gegen den Himmel ab. In den Fenstern brennt kein Licht, die Angst schnürt ihm fast das Herz ab. Also doch! Leise ruft er nach den Kindern. Erleichtert sieht er das schwarze Loch eines geöffneten Oberfensters. Er ruft noch einmal, diesmal lauter, dann hört er die Stimme seines ältesten Enkels.

»Opa, hilf uns! Wir sind allein und haben Hunger. An den Wasserhahn komme ich heran, zu trinken haben wir!«

Der Mann versucht, seine Enkel zu beruhigen, und ruft: »Ich hole Hilfe, bin gleich zurück!«

Mit Gewalt brechen die Polizisten die verschlossene Tür auf. Ein fürchterlicher Gestank von Kot und Urin schlägt ihnen entgegen. Der Lichtschalter funktioniert nicht. Beim Einschalten der Taschenlampe bietet sich ihnen ein grauenvolles Bild. Nackt, verdreckt und völlig unterernährt sitzen die Kinder auf den schmutzigen Holzdielen. Ein etwa zweijähriges Mädchen schaut mit großen, traurigen Augen still auf die Fremden und versucht, mit der einzigen Decke im Zimmer seinen mageren Körper zu wärmen. Im Zimmer herrscht eisige Kälte, der Kachelofen ist offenbar seit Tagen nicht geheizt worden. In einer Ecke steht ein rostiges Metallgitterbett, in dem ein vier Monate altes Mädchen liegt, mit den Haaren an den Gitterstäben festgefroren. Der vierjährige Bruder hat versucht, den schreienden Säugling mit Wasser aus der Suppenkelle zu füttern, er fand keine Flasche.

Fast eine Woche sind sie allein gewesen und haben trotz Hunger und Kälte überlebt.

Nach einem langen Krankenhausaufenthalt trennt man die Geschwister und bringt sie in verschiedenen Heimen unter.

Weinen in der Dunkelheit

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