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Offene, subjektive, geschulte Wahrnehmung

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Schon Erich Fromm sah im Menschen die Fähigkeit zur subjektiven Wirklichkeitswahrnehmung, die er außer der Fähigkeit besitzt, die Realität so zu beurteilen, dass sie für ihn lebbar ist. Er betont unterschiedliche Wahrnehmungsresultate durch verschiedene Sichtweisen für ein So-Sein-Müssen oder ein Da-Sein-Dürfen. Schaut er einen Menschen nach bestimmten Kriterien, Stärken, Schwächen, Zielsetzungen oder nach »Gebrauchswert« an (So-Sein), dann entsteht ein funktionalistischer Kontakt. (Im IIFS aus einer Teile-Perspektive). Vermag er den Menschen mit Aufmerksamkeit und Respekt, mit Lust und unter Registrierung seiner Gefühle zu sehen als der, der er ist (Da-Sein), erlaubt »die Fähigkeit zu dieser Art von Wirklichkeitswahrnehmung«, den anderen in seinen tiefsten Wurzeln und in seinem ganzen Wesen zu erkennen. (Diese Beschreibung hört sich im IIFS nach SELBST an). Dazu muss er präsent sein und die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung haben, was eine Voraussetzung für ein sich Einfühlen in den anderen ist.

Diese Erkenntnis hatte er viele Jahrzehnte, bevor Daniel Siegel die faszinierende Welt der psychotherapeutischen Neurobiologie den interessierten Kolleg*innen näherbrachte und, neurophysiologisch begründet, für eine innere Ausbildung der Kunst der Achtsamkeit, der Präsenz, Offenheit und Selbstwahrnehmung, der Einfühlung in sich selbst und die anderer Menschen warb. Aus u. a. diesen therapeutischen Qualitäten heraus, die sehr den SELBST-Qualitäten im IIFS entsprechen, resultieren Erfolge in Therapien.

Wenn die subjektive Wirklichkeitswahrnehmung selbst bei einem Menschen unter verschiedenen Vorzeichen unterschiedlich ausfallen kann, was geschieht dann, wenn zwei Menschen sich begegnen? Therapeuten/Ärzte und Klienten/Patienten zum Beispiel? Oder Mann und Frau? Oder Eltern und Kinder? Oder? Und wenn wir hier schon die Denkweise der IIFS vorwegnehmend mit einbeziehen: Ist es nicht spannend zu erfahren, welche unserer Persönlichkeitsanteile auf die Persönlichkeitsanteile von anderen Menschen reagieren, und was es zu erleben gibt, wenn der Kontakt, die Begegnung und die Beziehung durch Selbstqualitäten geprägt sind?

Und dann stelle ich mir die Frage: Mit welcher Wahrnehmungsschulung werden Ärzte und Therapeuten in ihrer Ausbildung ausgestattet? Wie oft stellen Ärzte und Therapeuten ihre eigenen Wahrnehmungen über die Patienten und Klienten und sich selbst infrage? In einer Arbeit, die die Kunst der Wahrnehmung in der Gesprächsführung von Ärzten beleuchtet und sie nach ihren Wahrnehmungen gefragt werden, zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle ein Dilemma.2 Die wenigsten Behandler konnten subjektive und objektive Wahrnehmung, Interpretation, Meinung und Ansicht, Deutung und Hypothesen im Gespräch sauber voneinander trennen, geschweige denn unterschiedliche Therapieschulen voneinander unterscheiden oder anwenden. Ärzte zeigten sich in Gesprächssituationen oft in einer besserwisserischen Grundhaltung. Michael Balint bezeichnete dies ironischerweise als »Apostolische Funktion« des Arztes. (Im IIFS würden wir von einem missionarischen, besserwisserischen Teil sprechen.) Ärzte und Ärztinnen haben gelernt, dass sie die Experten für Gesundheit sind, Patienten erleben sich ihnen gegenüber oftmals in unterlegener, kindlicher Haltung. Damit sich auch Ärzte und Patienten menschlich auf Augenhöhe begegnen und ein wirkliches Gespräch miteinander führen können, ist eine Schulung der Wahrnehmung bei sich selbst und bei seinem Gegenüber eine wesentliche Voraussetzung. (Siehe auch Teil 4 zu den Ärzt*innenteilen.)

Hier haben die in der Selbsterfahrung geübteren Psychotherapeut*innen den Ärzt*innen gegenüber sicherlich einen großen Vorteil bezüglich des Wissens und Erprobens in Wahrnehmung und Selbstreflexion. Die achtsame Wahrnehmungsschulung mit der Unterscheidung von Ich und Du macht eine dialogische Begegnung und eine professionell ­partnerschaftliche Therapeuten-Klienten- oder Arzt-Patientenbeziehung erst möglich. Das kann für alle nur gewinnbringend sein. Haltung und Methode der IIFS bringen hier eine weitere Spezifizierung und Vertiefung.

SELBST-geführte Psychotherapie

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