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Ich und Du, Grenzen und Kontakt, Beziehung und Bindung

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Ich und Du auseinanderzuhalten ist nicht die einfachste Sache auf der Welt. Überall, wo Menschen zusammenkommen, bestehen Möglichkeiten und Gefahren, sich miteinander unabsichtlich zu verwickeln. Gefühle, Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse bei sich abzuspalten und in andere Menschen hineinzuprojizieren, sie wie auf anderen Kontinenten unterzubringen, bezeichnet der Paartherapeut Michael Lukas Moeller als »Kolonialisierung der Gefühle«. So etwas endet bekanntlich in Kollusionen, Enttäuschungen, Verstrickungen, aus denen sich nur mühsam befreit werden kann. Auch was wir selber in uns ablehnen, als fremd oder unheimlich bezeichnen, projizieren wir »gerne« in andere hinein. Arno Gruen schreibt in seinem Buch »Der Fremde in uns« beeindruckend über diesen Mechanismus. Schon Donald Winnicott machte auf das tiefe Verwobensein von Intrapsychischem und Interpersonalem aufmerksam. Die Transaktionsanalyse beschreibt die unterschiedlichen Beziehungskonstellationen in abgegrenzten und in symbiotischen Beziehungen. Es erfordert eine gute Selbstwahrnehmung und Kenntnis seines eigenen kleinen inneren Kosmos’ und seiner Grenzen. Eine nicht-narzistische Selbstliebe ist die Voraussetzung zu einer Beziehungs- und Bindungsfähigkeit. Das Wissen darum, dass es noch fast acht Milliarden andere Menschen mit jeweils ihrer eigenen Innenwelt und ihren Grenzen gibt, hilft, zwischen sich und anderen zu differenzieren, sich und seinen Mitmenschen respektvoll zu begegnen, und eigene und fremde Grenzen zu wahren. Dann können wir als Menschen zu erwachsenen Kontakten finden, in denen jeder die Verantwortung für sein eigenes Innenleben trägt und nicht den anderen für sein Wohlergehen oder seine Misere verantwortlich macht. Nicht selten suchen Menschen in aktuellen Beziehungen nach dem, was sie in der Kindheit und Jugend dringlichst gebraucht hätten, vermisst haben oder nach der einen großen wesentlichen Sehnsucht, die nicht erfüllt wurde. Damals waren andere für ihr Leben verantwortlich, heute nicht mehr. Wenn das nicht bewusst wird, sind häufig ihre »Inneren Kinder« an der dysfunktionalen Wahl von und der Auseinandersetzung mit Partner*innen, Freund*innen und sozialem Umfeld mit beteiligt. Heute die Bedürfnisse von gestern zu erfüllen, führt jedoch meist nicht zu glücklichen Beziehungen, da die Partner*innen sich gegenseitig funktionalisieren und sich nicht wirklich sehen. Dann erleben sie mit den neuen Partner*innen genau wieder das, was sie eigentlich so gar nicht mehr hätten gebrauchen können. Gegenseitig nehmen sie sich den Entwicklungsspielraum. In privaten wie in professionellen Beziehungen tendieren Menschen dazu, anderen das zu geben, was sie selbst gebraucht hätten, sich selbst wünschten – meist nicht mit dem erhofften Ausgang. Hier wäre es sinnvoller, eigene Beweggründe, Wünsche und Bedürfnisse bei sich zu kennen, verantwortungsvoll dafür zu sorgen, sie zu erfüllen oder zu erkennen, dass es sich um alte Bedürfnisse handelt, statt sie auf das Gegenüber zu übertragen und enttäuscht zu sein. Erfüllendere und gegenseitig inspirierende Kontakte und Dialoge entstehen häufig an der Grenze, an der sich Ich und Du wirklich begegnen, jeder in Verantwortung für sich und offen für eigene und fremde Impulse. So können tiefe Begegnungen und Beziehungen wachsen, in denen das jeweilige Gegenüber immer wieder neu entdeckt werden kann. In der Folge führt das zu verlässlichen erwachsenen Bindungen. Eine Schulung der Wahrnehmung im oben angeführten Sinn kann hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten.

1 Petzold, Hilarion (1990). Integrative Therapie, Modelle, Theorien und Methoden für eine Schulen übergreifende Psychotherapie, Band. I und II. Paderborn, Junfermann

2 Sonneborn, Uta (2005). Emotionale und Psychosoziale Kompetenz für Medizinstudenten und Ärzte, Inauguraldissertation, Medizinische Fakultät Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg

SELBST-geführte Psychotherapie

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