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ОглавлениеMarylin und Gina genossen eine angenehme Kindheit und als die ersten Jungen ins Spiel kamen, begann eine Zeit der Machtkämpfe. Marylin hatte, als sie dreizehn Jahre alt waren, zuerst einen Freund. Mit ihrer Kontaktfreudigkeit war es ihr nicht schwergefallen, den Nachbarsjungen zu einem Kuss zu überreden. Stundenlang standen sie danach knutschend unter dem Birnbaum vor dem Gartentor.
Weil Gina auch ein Auge auf den blonden, einen Kopf größeren Henri Wörthes geworfen hatte ̶ einfach nur, um ihn zu besitzen ̶ zum Ansprechen aber keinen Mumm besaß, rächte sie sich an ihrer Schwester auf ganz profane Weise. Sie hatte lange geübt, wie Marylin zu sein. Claire war ihr eine gute Lehrerin gewesen. Gina gab sich als Marylin aus und küsste Henris besten Freund. Henri machte daraufhin Schluss. Da er es nicht näher begründete, heulte sich Marylin die Augen aus dem Kopf und ließ sich von Gina trösten.
„Er ist es nicht wert. Wahrscheinlich hat er schon eine Neue“, sagte Gina, die froh war, dass sie Marylin nun wieder für sich hatte, mit weicher Stimme.
„So ein Mistkerl!“
Dann ging sie in der Schule auf die Suche nach einem neuen Freund. Gina tat so, als würde sie sich mit Henri aussprechen wollen und traf sich mit ihm im Kino. Später standen sie knutschend unter dem Birnbaum vor dem Gartentor.
Gina dachte: Er passt sowieso besser zu mir.
So ging das immer. Wenn Gina ihrer Schwester einen Jungen nicht gönnte, ließ sie sich von Claire beraten und versuchte, die Schwester und ihren aktuellen Freund auseinanderzubringen. Claire hatte immer gute Ideen. Oft, sehr oft, fielen die Jungen darauf rein. Gina hörte dann nach kurzer Zeit auf, diese Jungen zu küssen, denn sie liebte sie ja nicht, es machte ihr einfach nur Spaß, sich einzumischen. Wenn sie ihr Ziel erreicht hatte, traf sie sich mit Claire zum Eis essen.
Im Laufe der Zeit hatte Gina ihre eigenen Ideen entwickelt und die Taktik perfektioniert. Da brauchte sie Claire dann nur noch, um ihr hinterher davon zu erzählen. Irgendetwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass die Schwester ihr ganz alleine gehörte, sie wollte sie nicht teilen, schon gar nicht mit einem Jungen. Die Liebe zu Marylin war ihr einziges wahres Gefühl.
An ihrem fünfzehnten Geburtstag erlaubte Roswitha den Zwillingen eine große Party. Marylin hatte sich von Gina überreden lassen, sich identisch anzukleiden und die gleiche Frisur zu tragen, selbst die Ohrringe waren gleich. Marylins aktueller Freund stand vor den beiden Mädchen und schaute von einer zur anderen.
„Ich habe keine Ahnung, wer Marylin ist“, sagte er zu Henri, der natürlich auch eingeladen war.
Gina hatte Henri noch ein paar Tage geküsst, aber dann hatte Marylin einen neuen Freund und Gina das Interesse am Nachbarsjungen verloren. David Hoffels war der beliebteste Junge der Schule. Er und Henri waren Freunde und spielten zusammen Fußball. Sie hatten nach dem letzten Spiel die Wahrscheinlichkeit diskutiert, ob man beide Schwestern an einem Tag küssen könnte. Das wollten sie heute ausprobieren und schlossen eine Wette ab: Wer beide Mädchen küsste, der würde den nächsten Elfmeter schießen.
Marylin sagte zu David: „Dann rate mal, wer ich bin. Wenn du richtig liegst, bekommst du einen Kuss.“
„Und wenn nicht?“
„Dann musst du Claire küssen.“
Claire zeigte ihr einen Vogel.
„Pfui, den kannst du behalten. Küss ihn selbst.“
Sie war seit einiger Zeit in einen achtzehnjährigen Nachwuchsschauspieler aus der Theatergruppe verliebt. Da er sie nach der letzten Probe geküsst hatte, dachte sie, sie müsste sich mit den „kleinen Jungs“ aus der Schule nicht mehr abgeben.
David schaute die beiden Mädchen an. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Die, die geredet hatte, musste Marylin sein. Niemals würde Gina von sich aus ein Gespräch beginnen. Er zog Marylin die Treppenstufe herunter und nahm sie in den Arm.
„Du bist Marylin. Ich erkenne doch meine Freundin.“
Henri schaute Gina an. Die nickte nur.
Dann rief er Marylin zu: „Und jetzt küssen. David hat gewonnen. Los!“
Die beiden Teenager knutschten innig. Anschließend ging er zu Gina und küsste sie nun auch ganz frech auf den Mund. Also hatte er die Wette gewonnen. Die Jungen klatschten sich ab.
Henri schaute zu Gina und sah, wie eine steile Falte zwischen ihren Augen erschienen war, sie war zornig. Nun sah auch er den Unterschied zwischen den Schwestern: Marylin war fröhlich und locker, Gina war verkniffen und schrullig. Gina wandte sich schnell ab, am liebsten hätte sie sich den Mund abgewischt.
Die Party war ein großer Erfolg. Am späten Abend wurden die Jugendlichen von ihren Eltern abgeholt. Nur Claire durfte hier übernachten. Sie saßen noch zu dritt in Ginas Zimmer auf dem Fußboden und redeten über die Jungen. Gina hatte einen dicken, weißen Teppich, der blitzblank war.
„Die haben gewettet“, sagte Gina böse zu ihrer Schwester, „ob sie uns beide küssen können. Das ist ja total abartig.“
„Ach was, ich fand es lustig. Sei doch nicht immer so spießig und altmodisch. Außerdem ist David der coolste Junge aus der Schule. Also was soll‘s?“
Claire schüttelte den Kopf und meinte naserümpfend: „So etwas tut man nicht. Ich finde, Gina hat recht.“
„Das findest du ja immer.“
Marylin erhob sich, um in ihr Zimmer zu verschwinden.
Gina betrat Marylins chaotisches Zimmer immer nur widerwillig. So hatten sie es sich angewöhnt, abends in Ginas Zimmer zu sitzen. Sie waren grundverschieden, aber jeden Abend saßen sie zusammen und kicherten über die Erlebnisse des Tages. Nur wenn Claire dabei war, hatte Marylin keine Lust auf ihre Schwester. Gina war dann anders, Marylin mochte diese angepasste Art nicht.
„Gute Nacht, Marylin.“
„Gute Nacht, Schwesterlein.“
Claire und sie nickten sich nur zu.
Eine Woche später hatte Gina David dazu gebracht, mit Marylin Schluss zu machen, um dann sie zu küssen.