Читать книгу Die verschwundene Welt des James Barkley - Uwe Woitzig - Страница 10
29.12., 18.00 Uhr GMT, Ethar
ОглавлениеAshmun lag am Ufer eines von ihm mit seiner Gedankenkraft erschaffenen Sees, in dessen Oberfläche sich die purpurne Sonne Ethars spiegelte, die die hügelige, dicht bewaldete Landschaft in ein warmes Licht tauchte. Die Seeufer waren mit Schilf und Weiden bewachsen, die sich sanft in einem lauen Wind wiegten, der die Oberfläche des Sees zärtlich zu streicheln schien. Eine Nachtigall sang ihr Abendlied, und eine Antilopenherde stillte neben einer friedlich schlummernden Löwenfamilie ihren Durst.
Ashmun hatte die Augen geschlossen. Er atmete tief und gleichmäßig. Sein schmales, von einem weißen Bart und langen schwarzen Haaren umrahmtes Gesicht war vollkommen entspannt und strahlte tiefes Glück aus. Links neben ihm lag seine weiße Pantherin Pauline, die ihre rechte Vorderpranke in Ashmuns geöffnete linke Hand gelegt hatte. Rechts neben ihm schlief sein weißer Grizzlybär Bugsy, dessen linke Vordertatze auf Ashmuns rechtem Arm ruhte. Auf seinem Bauch ruhte zusammengerollt seine weiße Königskobra Kassandra.
Aus dem an das Seeufer angrenzenden Dickicht trat lautlos ein junger, sehr muskulös wirkender Mann. Er trug einen kurzen Lederrock, an dem ein zweischneidiges Kurzschwert baumelte. Seine breite Brust wurde von einem silbernen, mit kunstvollen Ornamenten verzierten Panzer bedeckt. Die dichten schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, so dass seine schönen Gesichtszüge noch besser zur Geltung kamen. Suchend sah er sich um. Er entdeckte Ashmun und näherte sich langsam dem Schlafenden.
Bugsy und Pauline sprangen auf, bereit, ihren Herrn zu beschützen und ihn anzugreifen. Der Neuankömmling lächelte.
„Meister, da bin ich“, sagte er sanft.
Beim Klang seiner Stimme richtete Ashmun sich auf, wobei Kassandra sich auf den Boden gleiten ließ.
„Ich freue mich, dich zu sehen, Paris. Komm zu mir und setz dich neben mich.“
Paris ließ sich neben Ashmun auf das weiche Moos sinken. Er tätschelte die Köpfe der beiden Tiere, die seine Hände zur Begrüßung mit ihren rauen Zungen ableckten.
Kassandra ließ ihren mächtigen Körper aufsteigen und näherte ihren abgeflachten Kopf Ashmuns linkem Ohr. Zärtlich liebkoste ihre gespaltene Zunge sein Ohrläppchen. Die Schlange richtete sich hinter Ashmun auf, so dass ihr Kopf mit dem gefächerten Hals Ashmun wie ein Heiligenschein überragte. Bugsy und Pauline ließen sich bäuchlings neben ihm nieder und beobachteten Paris entspannt, aber wachsam.
„Paris, ich freue mich, dass Du meiner Bitte entsprochen hast. Ich bin glücklich, Dich zu sehen“, begrüßte Ashmun seinen Kriegsherren freundlich.
„Mein Herrscher und Meister“, entgegnete Paris mit einer im Sitzen angedeuteten Verbeugung, „warum hast Du mich zu dir gerufen? Was soll ich tun?“
„Das ist eine sehr ernste und komplexe Angelegenheit. Aber eins nach dem anderen. Zunächst geht es um deinen alten Widersacher Odysseus. Ich habe ihn auf die Erde gesandt, damit er dort eine für uns sehr bedrohliche Entwicklung aufhält, die einen gefährlichen Hintergrund hat. Aber wir kennen unseren listenreichen Odysseus gut und wissen, dass er es nicht lassen kann, Intrigen zu spinnen. Diesmal hat er sich überlegt, dass er die Gelegenheit nutzen will, um die Herrschaft auf der Erde und auf Ethar an sich zu reißen und mich zu stürzen.
Er beabsichtigt, im Falle eines Erfolges seiner Mission alle unsere Kriegsherren über ihre auf der Erde inkarnierten Zwillingsseelen zu manipulieren und davon zu überzeugen, dass er der einzig wahre und kompetente Herrscher über Ethar und Erde sei. Er wird argumentieren, ich sei alt und schwach und hätte die Gefahren für die Existenz der Erde und für Ethar nicht rechtzeitig erkannt und verhindert. Deshalb müsse man mich abwählen und ihn zum neuen Herrscher ernennen. Und mit den von ihm derart manipulierten zwölf Zwillingsseelen hätte er tatsächlich die laut unserem Gesetz vorgeschriebene erforderliche Mehrheit, um sich zum Herrscher wählen zu lassen. Aber dieser Plan wird scheitern, weil Odysseus die wahren Identitäten der Zwillingsseelen nicht kennt. Ich benutze ihn als Werkzeug, wie der über uns wachende Hohe Rat es mir befohlen hat.“
Der ihm konzentriert lauschende Paris fragte gespannt:
„Und wer ist der Hohe Rat?“
„Der Hohe Rat ist eine Versammlung von Erleuchteten Wesenheiten, die im Einklang mit der göttlichen Weisheit über das Schicksal des Universums bestimmen und sich bei bedrohlichen Entwicklungen im Tempel Shambalah versammeln. Gerade bin ich von einer dieser Versammlungen zurückgekehrt, bei der mir meine schwierige Aufgabe mitgeteilt wurde.“
„Um was für eine Aufgabe handelt es sich? Und was haben unsere Zwillingsseelen auf der Erde und Odysseus´ Mission mit ihr zu tun?“
Ashmun wusste, dass es noch zu früh war, um Paris in alles einzuweihen, was bei der Versammlung des Hohen Rates besprochen worden war und gerade in diesem Teil des Universums geschah. Deshalb erzählte er ihm zunächst nur von den Gehirnmanipulationsabsichten der Loge des Northern Cross, deren Auswirkungen auf die Menschen auf der Erde und ihren Zwillingsseelen auf Ethar.
„Aber wie willst du den Plan des Odysseus, dein Nachfolger zu werden, vereiteln, ohne dass dadurch sein Sieg im Kampf gegen die Loge des Northern Cross verhindert wird?“
Ashmun entschied sich, Paris mehr Informationen zu geben.
„Ich habe Odysseus nicht die ganze Wahrheit über die wahre Identität der Zwillingsseelen und die Hintergründe der Bedrohung gesagt. Es geht in Wirklichkeit um folgendes: Gaia, die Erdgöttin, hat ihre Kinder, die Titanen, zur Hilfe gerufen, weil sie von den Nachfahren der Olympischen Götter, den Menschen, so brutal gequält wird, dass sie sich in Todesgefahr befindet. Um ihre Mutter zu retten, haben die Titanen beschlossen, mit Hilfe einer von der Loge des Northern Cross entwickelten Technologie alle menschlichen Gehirne zu manipulieren und die Erde in ein einziges Schlachtfeld zu verwandeln. Die Menschen sollen sich gegenseitig ausrotten. Dazu haben sie Prokustes, den menschenhassenden Riesen, inkarnieren und zum Logenmeister der Loge gemacht und ihm die verheerende Technologie zur Manipulation der menschlichen Gehirne zugespielt. Im Auftrag des Hohen Rates habe ich die Olympischen Götter über diese Absicht der Titanen informiert, woraufhin sieben von ihnen sich auf die Erde begeben haben. Die Menschen, von denen Odysseus glaubt, sie seien die Zwillingsseelen der Kriegsherren von Ethar, sind in Wirklichkeit sieben Olympische Götter. Zur Abwendung eines großen Krieges zwischen den Titanen und den Göttern des Olymp habe ich ein Treffen im Amphitheater von Epidaurus zwischen ihnen und den Titanen vorgeschlagen, um über eine Lösung des Konfliktes zu verhandeln und eine Entscheidung herbeizuführen, wer von ihnen über das weitere Schicksal der Erde und deren Parallelwelten bestimmen wird. Um dort erscheinen zu können, müssen die Olympischen Götter aber wieder zusammengeführt werden. Was wir nicht bedacht haben war, dass sie aufgrund der vollkommen veränderten und vergifteten Erdatmosphäre nicht nur ihre göttlichen Fähigkeiten verloren haben, sondern auch nicht mehr wissen, wer sie in Wirklichkeit sind. Erst wenn Odysseus sie alle sieben wieder vereint hat, werden sie sich erinnern und ihre Fähigkeiten zurückerhalten. Sollte es aber der Loge des Northern Cross und damit den Titanen gelingen, einen von ihnen oder gar aller habhaft zu werden, bevor Odysseus sie zusammengebracht hat, könnten sie die Olympier mit Leichtigkeit für alle Zeiten nach Thare verbannen und die Herrschaft in unserem Universum übernehmen. Meine Aufgabe ist es, das zu verhindern. Du wirst deshalb ebenfalls auf die Erde reisen, um Odysseus zu überwachen und ihm zu helfen. Ich habe eine dir wohlbekannte Wirtin ausgesucht, bei der du „einziehen“ wirst. Und jetzt höre mir bitte sehr genau zu. Wenn Du Odysseus begegnest, sagst Du ihm folgendes: ...“