Читать книгу Die verschwundene Welt des James Barkley - Uwe Woitzig - Страница 12

30.12., 9.55 Uhr GMT, Bir Nabal, Israel

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Der 16-jährige Beduine Omar Gouled schaute mit ausdruckslosen Augen dem israelischen Militärkonvoi hinterher, der seinen Vater und andere Dorfbewohner zu einem ihm unbekannten Ziel verschleppte. Erst vor wenigen Minuten hatten sie noch bei ihrem kargen Frühstück zusammen gesessen, als plötzlich die Tür eingetreten wurde, mindestens 20 schwerbewaffnete israelische Elitesoldaten ins Haus stürmten und seinen Vater mit ihren Gewehrkolben nieder schlugen. Dann schleppten sie zu viert seinen leblosen Körper zu einem LKW, indem jeder von ihnen roh einen Arm und ein Bein seines leblosen Vaters ergriff, und warfen ihn wie einen Sack Mehl mit Schwung auf die eiserne Ladefläche. Omar fürchtete nicht zu Unrecht, dass sein Vater mit schweren Blutergüssen und Prellungen am ganzen Körper oder eventuell einigen Knochenbrüchen aufwachen würde, falls ihn die brutalen Kolbenhiebe nicht sogar getötet hatten. Sein Hass auf die verbrecherischen Israelis, die fast alle Mitglieder seiner palästinensischen Familie verhaftet und spurlos hatten verschwinden lassen, war grenzenlos. Im letzten September hatten israelische Soldaten auch noch seine Siedlung geteilt, indem sie eine acht Meter hohe Mauer quer durch sein Dorf in den Boden rammten. Sie hatten jedes beim Mauerbau störende Haus einfach gesprengt oder mit Bulldozern platt gewalzt, natürlich ohne die Eigentümer zu entschädigen. Omar und seine Familie lebten seitdem östlich der neuen Mauer, die ihnen den Zugang zu Wasser und Strom abschnitt. Ihr einziger Zugang zum Wasser war ein unter der Mauer durchlaufender Schlauch, der an einen Wasserhahn auf der anderen Seite der Mauer angeschlossen war. Um Wasser zu erhalten, mussten Omar und seine Familie immer an der Mauer rufen und einen Dorfbewohner des westlichen Teils bitten, den Hahn aufzudrehen. Auch der direkte Zugang zu ihrem Vieh war ihnen durch die Mauer versperrt worden, und sie mussten nun für 300 Schekel pro Tag Futter von einem Bewohner auf der anderen Seite der Mauer zu ihrem Vieh bringen lassen. Omar selbst, der vor dem Bau der Mauer zu Fuß zur Schule gehen konnte, musste täglich einen zweistündigen Umweg über den nächstgelegen Checkpoint Qalandia nehmen und von dort dann noch mit einem Bus nach Bir Nabala fahren.

Den demütigenden Spott der israelischen Grenzsoldaten am Checkpoint über „Kameltreiber, die zum Arsch abputzen ihrer Tiere sowieso keine Bildung bräuchten“, ließ er jeden Tag mit zusammengebissenen Zähnen über sich ergehen. Doch die brutale Verhaftung seines Vaters heute Morgen hatte das Fass zum Überlaufen gebracht und ihn davon überzeugt, seinen lange gehegten Plan in die Tat umzusetzen. Er war fest entschlossen, sich zum Selbstmordattentäter ausbilden zu lassen, sich in die Luft zu sprengen und so viele wie möglich seiner verhassten Feinde mit in den Tod nehmen. Sein einziges Problem war, dass er noch nicht wusste, wie er das seiner Mutter beibringen sollte.

Von dem Konvoi war nur noch eine Staubwolke zu sehen, die sich langsam auflöste. Ruhig und mit einem Lächeln auf den Lippen trat Omar über die zertrümmerte Tür in den völlig verwüsteten Wohnraum seines Elternhauses. Seine tief verschleierte Mutter Tabitha hielt seine beiden leise schluchzenden kleinen Schwestern im Arm. Als er eintrat richtete sie ihre tränennassen Augen auf ihn und sah ihn fragend an.

„Haben sie Vater mitgenommen? Oder ist er ...“

Sie brach mitten im Satz ab, ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Omar fuhr herum und blickte in die tiefblauen Augen eines schlanken blonden Mannes.

„Scheiß Mossad-Agent“, schrie er und wollte dem Fremden ins Gesicht schlagen. Dieser wich geschickt aus.

„Du irrst, Omar, ich bin nicht vom Mossad. Ich möchte dich nur zu meiner Party einladen.“

Mit unendlicher Verblüffung sah Omar, wie der Fremde einen kupfernen Stab auf seine Stirn richtete und ein Blitz auf ihn zuraste. Der verzweifelte Schrei seiner Mutter wurde wie mit dem Aus-Knopf seiner TV-Fernbedienung abgeschnitten, und er fiel in ein dunkles Loch ...

„Das war einfach, nicht wahr, James? Aber ruh dich trotzdem etwas aus. Heute Nachmittag holen wir jemanden aus Nordamerika ab. Es ist eine griechische Spitzensportlerin. Sie besitzt weibliche Kraft und Durchsetzungsvermögen und ist sehr tüchtig und sehr erfolgreich. Sie ist aber auch konservativ, will Bewährtes bewahren. Deshalb wird sie unser Anliegen sofort verstehen und sich uns anschließen. Allerdings ist sie weltberühmt, so dass ihr Verschwinden uns wieder eine riesige Publicity bescheren wird. Es ist sowohl hilfreich als auch gefährlich, die Weltaufmerksamkeit auf sich zu lenken. Denn auch unsere Freunde vom Northern Cross werden natürlich aufmerksam werden. Aber das gehört zum Spiel.“

Die verschwundene Welt des James Barkley

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