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3 »Ja, ich will Gerechtigkeit.«

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Mussaf Al Farag

Mussaf Al Farag wunderte sich einmal mehr über die sehr präzise Vorbereitung seiner Auftraggeber. Er kannte sie nicht, würde sie auch niemals kennenlernen, aber er hatte enormen Respekt vor ihnen. Sie wussten, was sie taten.

Und sie verfügten ganz offenbar über die erforderlichen Finanzmittel, aber auch über die nötigen Kontakte, um den geplanten Anschlag, so irrwitzig er auch erscheinen mag, in die Tat umzusetzen.

Einmal mehr fragte sich Al Farag, wie sie ausgerechnet auf ihn gekommen waren.

Bis zum heutigen Tag war er niemals aufgefallen.

Er lebte seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland.

Galt als vollständig integriert.

Er war also alles andere als ein potentieller Gefährder.

So nannten sie in diesem Land Menschen, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit irgendwann etwas Böses anstellen würden.

Al Farag war fünfundsechzig Jahre alt, hatte einen eigenen kleinen Taxibetrieb, war verheiratet und hatte zwei Kinder.

Geboren und aufgewachsen war er in Isfahan, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz inmitten des Iran.

Al Farag hatte im Iran Geologie studiert und danach für ein staatliches Unternehmen gearbeitet. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, Uranlagerstäten zu finden und den Abbau vorzubereiten. Natürlich sollte das gewonnene Uran ausschließlich der Energiegewinnung dienen. Sanktionen durch den Rest der Welt und internationale Ächtung seiner Heimat sorgten dafür, dass das Leben im Iran für sehr viele Menschen unerträglich wurde.

Zwar hatte er gute Arbeit, aber wenn man für das verdiente Geld nicht viel bekam, wenn nötige Medikamente fehlten und der medizinische Standard des Iran weit hinter dem Europas hinterherhinkte, dann sorgte das für latente Unzufriedenheit.

Nur in der Hauptstadt Teheran gab es eine gute Versorgung, die allerdings auch ihren Preis hatte. Wer über ausreichend Geld verfügte, ließ sich ins benachbarte Dubai fliegen.

Oder gleich nach Deutschland.

Als Al Farags Tochter schwer erkrankt und eine Operation lebensnotwendig geworden war, hatte er genau das getan: Er war gemeinsam mit ihr nach Deutschland geflogen.

Und hatte entschieden, dass es für ihn und seine Familie besser wäre, hier ein Leben aufzubauen.

Ende 1999 waren seine Frau und ihr gemeinsamer Sohn Al Farag nach Deutschland gefolgt und niemals wieder zurückgekehrt.

Natürlich hatte er versucht, als Geologe Fuß zu fassen, jedoch schnell feststellen müssen, dass es hier kaum Arbeit für ihn gab. Sie knüpften schnell Kontakte zu Landsleuten, die ebenfalls eine neue Existenz aufbauen wollten, oder es bereits getan hatten.

So hatte er den siebzigjährigen Aaraam Merizadi kennengelernt, der ein Taxiunternehmen aufgebaut hatte. Sie freundeten sich an und Merizadi sorgte dafür, dass Al Farag und seine Kinder sehr schnell die deutsche Sprache lernten. Nur die Frau weigerte sich, die fremde Sprache zu lernen. Damit, so hatte sie gemeint, würde ein Stück ihrer Kultur verlorengehen.

Er hatte einen Job als Fahrer bekommen und sich im Laufe der Jahre nach oben gearbeitet.

Merizadis Kinder zeigten keinerlei Ambitionen, den Betrieb des Vaters zu übernehmen, sodass dieser eines Tages Al Farag gefragt hatte, ob der bereit wäre, das Unternehmen zu leiten.

Sie wurden sich rasch über die Bedingungen einig und wenige Monate später zog Merizadi sich zurück und Al Farag wurde sein Nachfolger.

In den nächsten Jahren hatte er das Geschäft weiter ausgebaut, und seine Familie kam zu bescheidenem Wohlstand.

Dann geschah etwas, das ihr Leben für immer veränderte.

2016 war Al Farags Sohn bei einer Demonstration ums Leben gekommen.

Er war von Rechtsradikalen totgeschlagen worden.

Seine Frau war niemals über den Verlust hinweggekommen und hatte sich zwei Jahre später das Leben genommen. Die Polizeibeamten, die den Mord an seinem Sohn bearbeiteten, blieben erfolgslos. Der Mann, der seinen Sohn erschlagen hatte, war niemals zur Verantwortung gezogen worden, obwohl er den Behörden bekannt war.

Innerhalb von wenigen Monaten hatte Al Farag den Großteil seiner Familie verloren und niemanden schien es zu interessieren.

Er hatte Trost in einer Moschee gesucht.

Dort lernte er einen Mann kennen, die ihm Trost und Rat spendete.

Er war der Imam der Moschee. Abdul ben Abbas Rohani.

Al Farag hatte ihm alles erzählt.

Über sein altes Leben im Iran, die Auswanderung nach Deutschland und sein neues Leben, das er sich hier aufgebaut hatte. Und vom Verlust, den er erleiden musste.

»Wenn dir keiner hilft, dann hilf dir selbst«, lautete Rohanis erster Rat.

»Aber was kann ich denn schon tun?«, wollte Al Farag wissen.

»Willst du Gerechtigkeit?«

»Ja, ich will Gerechtigkeit.«

Zwei Tage später fand man den Mann, der Al Farags Sohn erschlagen hatte, in einer Seitenstraße in Berlin Kreuzberg. Man hatte ihn erstochen.

»Und«, wollte Rohani wissen. »Wie fühlt sich Gerechtigkeit an?«

Al Farag hörte in sich hinein.

Wie fühlte es sich für ihn an, dass man den Mörder seines Sohnes getötet hatte?

»Sie fühlt sich sehr gut an«, antwortete Al Farag. »Es fühlt sich richtig an.«

Rohani hatte zufrieden genickt. »Nun geh nach Hause zu deiner Tochter«, riet er ihm.

Als Al Farag gegangen war, gesellte sich ein anderer Mann zu Rohani.

Er war Iraner, so wie Al Farag.

Rohani sah ihn an. »Hast du die nötigen Anrufe erledigt?«

Der Mann nickte. »Ja. Man wird sie demnächst anrufen, und ihr einen Job anbieten.«

Rohani wirkte sehr zufrieden. »Gut. Sehr gut.«

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