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6 »Sie haben meinen Kindern Bildung gegeben.«
ОглавлениеMussaf Al Farag
Zwei Monate nach dem Mord an dem Mann, der seinen Sohn getötet hatte, offenbarte Al Farags Tochter Roshana ihrem Vater, dass sie in den Iran zurückkehren wollte. Sie hatte ihre Zeit als Assistenzärzten absolviert und wollte unbedingt zurück in ihre Heimat.
»Papa, ich wäre damals fast gestorben, als ich so krank war. Nun bin ich in der Lage, den Menschen dort zu helfen. Und zu Hause, da brauchen sie ganz dringend Ärzte. Papa, du weißt, die meisten iranischen Krankenhäuser sind über fünfzig Jahre alt und renovierungsbedürftig. Und die internationalen Sanktionen gegen unser Land machen es fast unmöglich, sie modern auszustatten. Aber jetzt wollen sie das Abusar-Krankenhaus in Ahvaz modernisieren. Es ist das einzige staatliche Kinderkrankenhaus in der Provinz Chuzestan. Und sie wollen mich als Ärztin, Papa. Mich! Ich muss das machen. Hier braucht mich doch niemand.«
Ich brauche dich, wollte Al Farag sagen.
Aber er tat es nicht.
Spürte, dass es nicht stimmte.
Er hatte sich verändert.
Ohne dass er es wirklich wahrgenommen hatte, hatten es seine neuen Freunde aus der Moschee geschafft, seine Einstellung zu verändern.
Dabei waren sie sehr behutsam vorgegangen.
Hatten niemals versucht, ihn zu bedrängen.
Steter Tropfen höhlte den Stein.
»Deutschland hat es mir ermöglicht, ein neues Leben aufzubauen«, hatte er gesagt.
Sie hatten alle zustimmend genickt. »Ja, das stimmt. Aber nur, weil sie auch etwas von dir wollen.«
»Sie haben meinen Kindern Bildung gegeben.«
»Das stimmt, Bruder. Aber wenn sie das nicht mit Gegenleistungen zurückzahlen, lassen sie deine Kinder auch wieder fallen. Denk an all die Obdachlosen auf der Straße.«
»Hier sind wir sicher.«
»Das trügt. Wir sind hier nicht sicher, denk an das, was deinem Sohn geschehen ist. Und haben sie den Mörder verhaftet? Nein. Obwohl sie wussten, dass er es getan hat, wurde er nicht bestraft. Deshalb hast du dann auch noch deine geliebte Frau verloren. Das ist weder Sicherheit noch Gerechtigkeit. Wir haben dafür gesorgt, nicht sie.«
So gelang es ihnen, Mussaf Al Farag langsam, aber stetig auf ihre Seite zu ziehen.
Es ging ihnen dabei nicht darum, ihn zu radikalisieren.
Er war nicht auserkoren, mit einem LKW in eine Menschenmenge zu rasen oder sich mit einem Sprengstoffgürtel in einem Einkaufszentrum in die Luft zu sprengen.
Sie brauchten sein Wissen.
Gelang es ihnen, Al Farag auf ihre Seite zu ziehen, verlören sehr viel mehr Menschen ihr Leben, als am 11. September in New York.
Al Farag nahm seine Tochter in den Arm und drückte sie an sich. »Ich bin so stolz auf dich«, sagte er, mühsam seine Tränen unterdrückend.
»Dann erlaubst du es mir?«
»Ja, natürlich. Du musst tun, was du tun musst.«
Und ich muss tun, was ich tun muss, fügte er in Gedanken hinzu.