Читать книгу Caldera - V. S. Gerling - Страница 9
2 »Sobald wir im Flugzeug sitzen, sind wir Diplomaten.«
ОглавлениеAußenminister Köhler
Bundeskanzler Schranz fand, es wäre eine gute Idee, mich, nachdem ich die ersten sieben Monate meiner neuen Tätigkeit überstanden hatte, ohne dass es zur Katastrophe gekommen war, endlich auf internationaler Bühne zu präsentieren. Als Feuertaufe hatte er dafür die anstehende Sicherheitskonferenz in München auserkoren. Ein Thema, das behandelt werden sollte, war der internationale Terrorismus.
Der Außenminister fand den Einfall ziemlich blöd und das sagte er dem Kanzler auch. Aber wenn Schranz sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es sehr schwer, ihn davon wieder abzubringen.
Ich drückte dem Außenminister für seinen Versuch, den Kanzler umzustimmen, alle Daumen, aber es brachte nichts.
So saß ich also mit ihm und diversen Assistenten und Personenschützern in einem Flugzeug der Regierung auf dem Weg nach München.
Ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, in Kürze den führenden Köpfen der Weltmächte gegenüberzusitzen. Vor allem eine mögliche Begegnung mit einem der Vollpfosten der aktuellen US-Regierung bereitete mir echte Kopfschmerzen.
Seit dieser merkwürdige Mensch im Weißen Haus saß, war die Welt nicht mehr dieselbe.
Man war von amerikanischen Regierungen im Allgemeinen und Präsidenten im Besonderen einiges gewöhnt. Illegale Waffendeals, Blowjobs im Oval Office.
Alles passiert und irgendwie nicht schlimm.
Aber dieser Typ … der log, dass sich die Balken bogen, beschuldigte ständig andere der Lüge, hielt sich für den großartigsten Präsidenten aller Zeiten und versuchte, jeden fertig zu machen, der anderer Meinung war. Anfangs versuchten die moderaten Mitglieder seiner Regierung noch zu retten, was zu retten war. Aber sie mussten schnell einsehen, dass das nicht funktionierte. Einer nach dem anderen kündigte, oder wurde öffentlichkeitswirksam gefeuert. Am Ende blieben nur geistige Zombies übrig, die dem Präsidenten jeden Tag aufs Neue versicherten, wie toll er war.
Und genau das war es, was er hören wollte.
Er war der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, dementsprechend entsprach das, was er sagte, der Wahrheit. Wenn er behauptete, der Mond bestehe aus gelbem Käse, dann war das Fakt. Sollten etablierte Wissenschaftler mit Beweisen auffahren, die aussagten, dass es sich bei dem Erdtrabanten um einen Gesteinsklumpen handelte, dann behauptete er, diese Beweise seien gefälscht.
Ein ganz simples Prinzip.
Und es funktionierte.
Dann gab es da noch die Hardliner.
Diejenigen, die sehr gern in den Krieg ziehen würden, um der Geschichte ihren Stempel aufzudrücken. Zu diesen gefährlichen Leuten zählten der Außenminister der Vereinigten Staaten und der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten.
Beide würden an der Konferenz teilnehmen.
Schranz wusste genau, was ich von diesen Leuten hielt.
Und dennoch schickte er mich dahin.
Vollkommen irre …
Und mein Reisebegleiter schien meine Befürchtungen zu teilen.
Der Außenminister, ein wirklich netter Kerl, versuchte, mich auf das bevorstehende Treffen vorzubereiten. Ich denke, es war der Versuch, einen diplomatischen Eklat zu vermeiden.
»Das Wichtigste in der Diplomatie sind Höflichkeit, Geschicklichkeit und der feste Wille, mit anderen zusammenzuarbeiten«, erklärte der Außenminister mir, während er seinen Tomatensaft schlürfte.
»Aha«, sagte ich. »Interessant. Und was ist, wenn die anderen nicht mit einem zusammenarbeiten wollen?«
»Deshalb die Geschicklichkeit. Sie müssen immer wissen, was der andere will oder braucht. Und wenn er sich querstellt, geben sie ihm, was er will oder braucht. Diplomatie ist ein ständiges Tauschgeschäft.«
»Und wenn ich das, was der andere will, nicht habe?«
»Dann kennen sie jemanden, der es hat.«
»Und wenn der es nicht weggeben will?«
Ich weiß, ich konnte nervige Fragen stellen wie ein Sechsjähriger. Aber ich war schließlich hier, um zu lernen.
Der Minister seufzte. »Herr Eichborn, jeder, der im diplomatischen Dienst ist, verfügt über ein weitreichendes Netzwerk. Es gibt immer jemanden, der etwas braucht, und es gibt ebenfalls immer jemanden, der es hat und der bereit ist, es zu geben.«
Klang toll.
Aber wenn dem so war, warum krachte es dann überall auf diesem Planeten?
»In meiner Funktion als nationaler Sicherheitsberater des Bundeskanzlers bin ich nicht im diplomatischen Dienst«, wagte ich mich vor. Das war übrigens mein Hauptargument gewesen, um Schranz davon abzubringen, mir diesen Posten zu geben. Meine Unfähigkeit, diplomatisch zu sein.
Minister Köhler lächelte. »Sobald wir im Flugzeug sitzen, sind wir Diplomaten. Egal was wir eigentlich tun.«
»Oh …«
Außenminister Köhler schmunzelte. »Beunruhigt?«
»Na ja, meine Frau ist der Meinung, ich besitze das diplomatische Geschick einer Abrissbirne.«
Er lachte laut. »Sie müssen mir Ihre Frau unbedingt mal vorstellen. Aber im Ernst, der Bundekanzler hält sehr viel von Ihnen. Und er vertraut Ihnen. Das reicht mir. Überlassen Sie mir zumindest am ersten Tag das Reden. Beobachten Sie. Hören Sie zu. Am Abend tauschen wir uns dann aus, einverstanden?«
Ich nickte zustimmend. »Klingt nach einem guten Plan.«
»Und nicht vergessen: Ein Diplomat ist ein Mensch, der offen ausspricht, was er nicht denkt«, erklärte mir der Außenminister mit einem Augenzwinkern.
»Äh …«
»Herr Eichborn, die große Kunst der Diplomatie besteht darin, sein persönliches Empfinden hintanzustellen. Wenn Sie beispielsweise mit einem Staatschef reden müssen, von dem Sie wissen, dass er ständig Menschenrechte missachtet, dann können Sie als Mensch das verurteilen. Als Diplomat hingegen müssen Sie die Interessen Ihres Landes in den Vordergrund stellen.«
»Wie soll das denn funktionieren?«, wollte ich wissen.
»Jahrelange Übung und ein starkes Nervenkostüm«, antwortete der Außenminister.
»Und zur Not haben Sie ja auch immer noch mich«, sagte meine Assistentin Isabel Schulz und strahlte mich mit einem Optimismus an, den man nur haben konnte, wenn man Ende zwanzig war und den ersten verantwortungsvollen Job hatte.
Unabhängig von den guten Ratschlägen des Außenministers und dem Optimismus meiner Assistentin hatte ich mir ohnehin vorgenommen, genau das zu tun:
Beobachten.
Vor allem die Amis.
Aber es waren auch noch andere Kandidaten vor Ort, die zu unserem Kreis der Verdächtigen gehörten.
Ich öffnete die Teilnehmerliste der anstehenden Konferenz und war wieder einmal überrascht, wer alles anwesend sein würde. Unter den etwa vierhundertfünfzig Teilnehmern waren Staatspräsidenten, deren Top-Berater, Verteidigungs- und Außenminister sowie andere Spitzenpolitiker.
Dann noch Botschafter, hochrangige Militärs, Sicherheitsexperten und Vertreter von internationalen Organisationen. Aber eben auch Leute aus der Wissenschaft und vor allem aus der Wirtschaft waren mit dabei.
Sie kamen aus den Mitgliedsländern der NATO und der Europäischen Union, aber auch aus anderen Ländern wie Russland, der Volksrepublik China, Japan und Indien.
Diese Konferenz war übrigens keine offizielle Regierungsveranstaltung wie zum Beispiel das Treffen der G7 oder G20. Es war ein privat organisiertes Treffen und diente einzig der Diskussion über die globale Außen- und Sicherheitspolitik.
Da fragt man sich schon, was Wirtschaftsbosse damit zu tun hatten.
Unter anderem würde ich auf den Nationalen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, James McFarlan, treffen. Auch der Außenminister der Vereinigten Staaten, Robert Jackson war da. Sie beide gehörten wie gesagt zu den Hardlinern der US-Regierung.
Na ja, eigentlich bestand die aktuelle Administration der USA nur aus Hardlinern, sodass die beiden wohl eher als Hardcore-Hardliner zu bezeichnen waren.
Zu meiner großen Erleichterung würde der US-Präsident nicht kommen.
Besonderes Augenmerk würde ich auf zwei Unternehmen legen, die auch auf der Teilnehmerliste standen und deren Vorstandsvorsitzende laut Wittgenstein zu den Verschwörern gehörten.
Eines war klar: Es würde ein interessantes Meeting werden.