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Gott – fern und nah

Der alte Mann mit wallendem weißem Bart fern oder über den Wolken – diese Erinnerung an Gott habe ich überhaupt nicht. Von (meist ungarischen) Sacré-Cœur-Schwestern religiös sozialisiert – Kindergarten und Grundschule im Kloster Riedenburg in Bregenz –, wurde ich anhand von großen, anschaulichen Schaubildern im Nazarenerstil mit Jesus vertraut gemacht: dem Heiler und Menschenfreund, dem Prediger und Meister, dem Freund. Auch wenn ich diese Tafeln heute kitschig nennen würde: Damals regten sie meine kindliche Phantasie an. So einer will ich auch sein – ein Jünger in der Nähe Jesu!

Gott spielte dabei keine große Rolle. Keine, an die ich mich erinnern kann. Das blieb lange so. Als Seminarist (1981/84) stand ebenfalls Jesus im Vordergrund. Bewusst wurde mir der Kontrast in den Gebeten, die sich an Gott richteten, etwa im Stundengebet, oder bei den Psalmen. Erst die Bibelschule in Nazareth und Jerusalem im Sommersemester 1984 brachte eine Horizonterweiterung: Am Sinai, auf dem Berg Horeb und im Katharinenkloster, fühlte ich mich – bei einem unglaublich klaren Sternenhimmel – Gott nahe: dem Schöpfer und Gestalter der Welt, auch wenn ich mich mitten in der Wüste vorfand. Die Psalmen, etwa Ps 8, begannen neu zu wirken. Ein Jahr später trat ich in Innsbruck in den Jesuitenorden ein.

Als mir mein hochverehrter Lehrer Walter Kern SJ empfahl, Karl Rahner SJ zu lesen, ihn selber, seine Texte, nicht Artikel über ihn, konnte ich anfangs mit dem »namenlosen«, »unergründlichen«, »schweigenden«, »fernen« Gott wenig anfangen. Das klang für mich zu abstrakt und zu unpersönlich – und kontrastierte stark mit meiner Heilig-Land-Erfahrung: mit den Augen Jesu sehen und staunen. Erst allmählich, zunächst eher auf der intellektuellen Schiene, entdeckte ich Gott – als »Gott meines Herrn Jesus Christus«. Dass ich mit Jesus dem Christus zusammen vor Gott stehe, zu Gott, dem Vater und Schöpfer, bete, dass ich mich wie Jesus verloren und von Gott verlassen fühlen kann – das brachte mich in die Nähe Gottes. Er war plötzlich fern und nah zugleich. Und weil ich das IHS als »Iesum Habemus Socium« (Wir haben Jesus zum Gefährten) lese, bedeutet mir die Stelle im Kolosserbrief sehr viel: in Jesus »das Bild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) vor mir zu haben. Oder Joh 14,9: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.«

Etwas kam dazu: Gebete und Meditationen, liturgische Texte, in denen Gott Attribute zugesprochen wurden, die ihn »verfügbar« machen wollen, unbewusst oder bewusst, stießen mich mit der Zeit zunehmend ab als religiöser Kitsch. Vielleicht ist das eine Alterserscheinung. Die »Gras-und-Ufer«-Romantik, so lautstark ich sie als Jugendlicher mitsang, erschien mir unerträglich. So einen Kuschel-Gott wollte ich nicht (mehr). Die beiden Tagebücher von Fridolin Stier (»Vielleicht ist irgendwo Tag« und »An der Wurzel der Berge«) lösten ein gewaltiges Aha-Erlebnis aus und ließen mich Gott neu entdecken – als den nahen, mir innerlicher als ich mir selbst, wie Augustinus sagt, und als den fernen, unantastbaren Gott zugleich.

Deswegen kann ich »Großer Gott, wir loben dich« mit derselben Ergriffenheit singen wie Huub Oosterhuis: »Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott … Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?«

Andreas Batlogg SJ, München, geb. 1962

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