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ОглавлениеGott, mein Gott bist du, dich suche ich
»Gott, mein Gott bist du, dich suche ich …« So beginnt der Psalm 63, und Vers für Vers ist gefüllt von der Sehnsucht nach Gott. Es ist für mich ein wichtiger Gebetsruf. Was mir in meiner Jugend ein starker Ausdruck von Glaube und Lobpreis war, ist im Alter nicht mehr so selbstverständlich.
Manchmal steigen Wellen von Zweifel in mir auf, wenn ich sehe, wie die schwedischen Massenmedien wichtige Informationen über Kirche und Religion totschweigen; wenn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bekennen, dass für sie Glauben und Beten uninteressant sind. Aber auch wenn ich Texte im Alten Testament lese, die Gott als nationalen Beschützer oder als eifersüchtigen himmlischen Alleinherrscher darstellen. Dann versuche ich, darüber hinwegzulesen und andere, geistliche Aussagen über Gott zu finden. Manchmal spreche ich mit Gemeindemitgliedern, die an Privatoffenbarungen, wundertätige Medaillen oder Gebetsserien mit Garantien für den Himmel glauben. Hat das etwas mit Christentum zu tun? Ist mein Glaube vielleicht auch so leicht mit Wunschdenken oder Illusionen zu erklären? Wer ist Gott für mich? Die Spannung zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite ist er das Geheimnis jenseits aller Vorstellungen, der je größere Gott. Er hat das Universum und damit Raum und Zeit geschaffen. Deswegen ist er nicht begrenzt von den raumzeitlichen Dimensionen, die all unser Denken bestimmen. Gott erhält alles im Sein, und er ist gleichzeitig mit Big Bang, mit dem jetzigen Augenblick und mit dem kommenden Untergang des Kosmos. Ohne Anfang und Ende. Unvorstellbar. Und doch eine Erfahrung mancher Mystiker.
Auf der anderen Seite ist Gott »Abba«, »unser/mein Vater«, in der Verkündigung Jesu. Ein Gott, der barmherzig ist, der uns kennt und liebt. Jesus Christus selbst ist das Abbild des unsichtbaren Gottes. An ihm sehen wir, wie Gott handelt und denkt. Und die Botschaft Jesu kreist immer um Gott. Es ist bezeichnend, dass das erste und letzte Wort Jesu (im Lukasevangelium) seinen himmlischen Vater nennt: »Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?« – »Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.«
Gott als der Absolute und Gott als der Vater gehören zusammen. Wenn er nur »der liebe Gott im Himmel« ist, liegt die Gefahr der Projektion nahe, dass man einen Tröster und Helfer braucht, einen Papa, der nur lieb sein kann. Und wenn man nur an die Unbegreiflichkeit Gottes denkt, ist es schwer, eine persönliche Beziehung mit ihm zu finden. Beide Aussagen sind notwendig für mich, um nicht zu kindlich oder zu abstrakt von Gott zu denken. Es sind, bildlich gesprochen, zwei Pole mit einer Spannung, die Energie, Licht und Wärme im geistlichen Leben erzeugen.
In unserer säkularisierten Gesellschaft ist es für mich nicht immer leicht zu glauben. Ich höre das Klagen des Psalmisten, das ständig im Leiden der Menschheit wiederholt wird. Und vor allem sehe ich Jesus Christus, ausgeliefert am Kreuz, der zwischen Erde und Himmel hängend mit ausgestreckten Armen alle Menschen umfasst: ein Bild der totalen Liebe Gottes. Er ist in die tiefste Dunkelheit gesunken, als er schrie: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Dieses Glaubensbekenntnis trotz allem wird immer meinen Glauben an Gottes Mysterium bewahren.
Klaus Dietz SJ, Stockholm, geb. 1941