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ОглавлениеDu führst mich hinaus ins Weite
Gott ist es, der mir den Mut schenkt, neue Schritte zu gehen. Das ist mein Glaube. Und so verstehe ich den Sinn meines Lebens: weiterzugehen.
Im Paradies zu leben, fest und immer am gleichen Ort – das hat dem Menschen nicht gutgetan. Seitdem ist die jüdisch-christliche Glaubensgeschichte voller Bewegungen: Abraham macht sich auf den Weg, Mose und das erste Volk Gottes und auch Jesus Christus, der Wanderprediger aus Nazareth. Wir Menschen sind für den Weg geschaffen, für die Veränderung und die damit einhergehende Entwicklung.
Zugleich bin ich manchmal müde: vom Tempo der Veränderungen und von der Mühe, weiterzugehen, wenn sich die Versuchung meldet, alles beim Alten zu belassen. Als anstrengend empfinde ich bisweilen die Aufmerksamkeit, die notwendig ist, um etwas Neues zu verstehen, oder um Menschen, die neu in mein Leben treten, gerecht zu werden.
Dann wird mein Glaube zum Gebet: Ich kann Gott ansprechen im Vertrauen, dass er sich schon immer mir zugewandt hat. Gott ist für mich nicht bloß ein Deutungsmuster für verschiedene offene Fragen oder Situationen. Deshalb habe ich mir über die Jahre in der Feier der Liturgie angewöhnt, die Gebete immer mit der direkten Anrede »Du, unser Gott« zu eröffnen. »Du führst mich hinaus ins Weite« ist eine solche Anrede. Als mein Gebet ist es zugleich Bekenntnis und Selbstbeteuerung.
Seit drei Jahren lebe ich im Kosovo in einer kleinen, ständig sich verändernden internationalen Jesuitengemeinschaft und arbeite als Leiter unseres Schulverbundes. Vieles, was den Alltag, die Aufgaben und menschliche Begegnungen betrifft, ist unvertraut. So hatte ich mir mein Leben nie vorgestellt: Als ich vor fast 30 Jahren ins Priesterseminar eintrat und dann vor fast 20 Jahren ins Noviziat der Jesuiten, waren meine Perspektive und meine Vorstellungskraft erheblich begrenzter. Als ich vor gut zehn Jahren einwilligte, Internatsleiter in Sankt Blasien zu werden, konnte ich nicht ahnen, in welche Tiefen seelsorglicher Begleitung mich diese Aufgabe führen würde. Dass ich mich zum Abschluss meiner Ordensausbildung in Sri Lanka wiederfand, war so nicht geplant. Beworben hatte ich mich zuvor für Afrika. Deshalb ist »Du führst mich hinaus ins Weite« ein Bekenntnis. Eine Beteuerung ist es in den Momenten, in denen es sich in mir sträubt, schon wieder weiterzugehen und loszulassen, Gewohntes gegen Fremdes einzutauschen und Routine gegen Vortasten. Dann, wenn ich in Veränderungen noch nicht den guten Willen und die liebevolle Herausforderung Gottes erkennen kann.
Wenn ich nicht erstarre und nicht festhalten will, wenn es mir stattdessen gelingt, dem Mut zu trauen, den Gott mir schenkt, dann wird mein Leben lebendig. Dann kann sich Gott als der erweisen, der er ist: der Lebendigmacher, der mich aus der Begrenztheit meines eigenen Vermögens und meiner Vorstellungskraft in eine neue Weite führt. Das ist die Weite, in der Gott mich und uns leben sehen will. Davon bin ich überzeugt.
Nur selten zerrt er uns heraus aus der Enge, gegen unseren Willen. Dann kann es wehtun, auch das ist mein Glaube.
Treu zu bleiben, dass dieser Vers, »Du führst mich hinaus ins Weite«, immer mehr zum Gebet meines Lebens wird, dieses Bemühen finde ich mit anderen Worten in den Erfahrungen meines Ordensmitbruders Alfred Delp. Das ist ein Satz, der Lust zum Glauben und zum Leben macht: »Wir müssen die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind.«
Axel Bödefeld SJ, Prizren (Kosovo), geb. 1969