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ОглавлениеWenn ich Gott sage …
In meiner Studienzeit las ich das Buch eines französischen Dominikaners mit dem Titel: Quand je dis Dieu … Wenn ich Gott sage … Dieser Buchtitel mit seiner offenen Frage hat mich seither begleitet. Ich habe sie lebensgeschichtlich immer anders beantwortet. Meine Antwortversuche nahmen unterschiedliche Farben an und meine konkreten Lebensperspektiven auf. Die Frage hat ja zwei Seiten: Wann fällt Gott ins Leben ein, und wie sieht das Leben aus, wenn ich Gott sage?
Ich möchte mit drei französischen Wörtern umschreiben, was mir bedeutsam geworden und geblieben ist. – Naissance: Geburt. Das Faktum, geboren zu sein, lässt sich rational nicht einholen. Entbunden werden, zur Welt kommen und als Erdenbürger in eine Familie, in eine historische Zeit und an einem Ort geboren und dort begrüßt worden zu sein. Diese »Vorgabe« des Lebens verbinde ich mit Gott, gerade auch in ihrer Dimension jenseits aller Kausalitäten. Lebenslang werde ich nun vor der durchaus auch schwierigen Herausforderung stehen, was Romano Guardini einmal die Annahme seiner selbst nannte. Wenn ich Gott sage, dann glaube ich daran, dass ich bei aller Tatsache des Geborenseins mich damit in eine Dimension der Gnade und der Verheißung stellen darf, trotz allem. Es ist recht so, dass es mich gibt.
– Renaissance: Wiedergeboren werden und neu anfangen zu dürfen, trotz aller Sackgassen und Verstrickungen des Lebens. Diese Ermutigung zum Wiederund Neugeborenwerden verbinde ich mit den Versen aus Psalm 18: Er führte mich ins Weite … Mit dir überspringe ich Mauern. Im Gespräch mit Nikodemus abseits der Straßen und in der Nacht spricht Jesus vom Wiedergeboren-werden-von-oben. Dazu bedarf es der göttlichen Ermutigung und auch des glaubenden Übermutes.
- Reconnaissance: Das Französische verbindet in diesem einen Wort die Bedeutung von Einsicht und Dankbarkeit. Diese Verbindung liegt wohl nahe, wenn man älter wird: die Einsichten in das Leben auch in seinem irreversiblen Charakter in den übergreifenden Zusammenhang der Dankbarkeit zu stellen. Von Hans-Magnus Enzensberger gibt es ein Gedicht mit dem Titel: Retour à l’expéditeur: Zurück an den Absender. Der Brief des Dankes findet seinen göttlichen Adressaten nicht. Wenn ich Gott sage …, dann glaube und vertraue ich, dass es den Adressaten meiner Lebensbriefe gibt, einen barmherzigen Gott, der sie annimmt mit den klaren Zeilen, auch mit den krummen Zeilen, mit der Geheimschrift und den Palimpsesten, die mir selbst oft nicht durchschaubar sind.
Reconnaissance: Was bleibt, wenn ich geworden sein werde? Wenn ich dann Gott sage, halte ich eine letztgültige Antwort offen und erinnere mich an die Mutation des Lebens ins Futur II: Wenn ich geworden sein werde.
Es gibt eine anrührende und auch streitbereite Passage in einem Brief von Hannah Arendt an ihren ehemaligen Geliebten, den Philosophen Martin Heidegger, über die Liebe und das Futur II: »Volo ut sis: kann heißen, ich will, dass du seiest, wie du eigentlich bist, dass du dein Wesen seiest. Aber kann das nicht auch Herrschsucht sein, die unter dem Vorwand der Liebe das Wesen des anderen zum Objekt des eigenen Willens macht? Es könnte aber auch heißen: Ich will, dass du seiest, wie immer du auch schließlich gewesen sein wirst. Nämlich wissend, dass niemand ante mortem der ist, der er ist, und darauf vertrauend, dass es gerade am Ende recht gewesen sein wird.«
Augustinus spricht in seinen Bekenntnissen seine Gotteserfahrung einmal so aus: Quaestio mihi factus sum. Vor dir bin ich mir zur Frage geworden. Ich glaube, er hat verstanden, worum es auch bei mir geht, wenn ich Gott sage.
Hermann Breulmann SJ, Berlin, geb. 1948