Читать книгу Wer ist dein Gott? - Vitus Seibel - Страница 19

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Du, mein Gott

Du Gott meiner Kindheit

Am frühen Morgen durch die wogenden Weizenfelder zur Schule. Der blaue Himmel und die leuchtende Sonne lassen mir das Herz aufgehen. Schweigen geht gar nicht. Also singe ich dir mit lauter Kinderstimme – es hört mich ja keiner! –, was ich zuhause gelernt habe: »Der Tag ist aufgegangen, Herr, Gott, dich lob ich allezeit. Dir sei er angefangen, zu deinem Lob bin ich bereit …« Oh, wie ich dieses Gotteslob in der Natur geliebt habe – und immer noch liebe. Dir, dem »Herrgott« – so hießest du bei uns –, bin ich zunächst in der Schöpfung begegnet. Und dort habe ich dich immer wieder neu gesucht – und oft leicht und jubelnd gefunden. Dort hast du mich später »hinausgeführt in die Weite«, wann immer es mir eng war, mir alles oder alle auf die Nerven gingen.

Du Gott meiner Jugendjahre

So vollmundig ich dich als Kind gepriesen hatte, mit dem Stimmbruch wurde ich unsicherer, verschlossener und schweigsamer. Das Auf und Ab der Gefühle, das erstmalige Erspüren von Freiheit und Verantwortung für gute und, ja: schlechte Taten – wohin sollte ich mich wenden mit all dem? »Jugend vor Gott«, dieses Buch eines Jesuiten, das mit seinen Gebeten, Gedichten und Bildern eine ganze Generation katholischer Jugendlicher geprägt hat, hat auch mich begleitet. Es hat mir geholfen, dich als einen aufmerksamen, verständnis- und liebevollen Gesprächspartner an meiner Seite zu entdecken. Du hast meinen Blick auf dich und dein Wirken geweitet, aber mir auch die Tiefe meines Inneren und meine Aufgabe in der Welt erschlossen.

Du Gott meiner Lebensmitte

Im Heiligen Land, in der Wüste Sinai, begegnete ich dir auf neue Weise. Dort sprachst du zu mir mit einer »Stimme verschwebenden Schweigens« (Martin Buber), die mich betört und begeistert, ohne die ich mich kaum auf den Weg der Nachfolge deines Sohnes begeben hätte.

Mit dem Alter steigen die Verantwortung und das Risiko, mich, der ich scheinbar unersetzlich bin, im Aktivismus zu verlieren. Da begegnest du mir im Strudel der Wasser als der, um den allein sich alles dreht. Da erblicke ich dich, wo ich zu versinken drohe, am Ufer als der rettende Hafen. Dass ich deine Gegenwart, aus welchem Grunde auch immer, heute weniger spüre als früher, ist wahr. Aber dann bricht es plötzlich aus mir beschwörend heraus: »Du in mir und ich in dir.« Manchmal sind es genau diese Worte, die »den Schalter umlegen« und mein Leben plötzlich und unerwartet in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Du Gott meines Alters

Du, Jesus, sollst der Gott meines Alterns sein. Fast täglich denke ich ans Sterben, stets auf der Suche nach einer end-gültigen Perspektive für mein Leben. Mich begleitet seit über 20 Jahren das Gebet eines jung verstorbenen spanischen Jesuiten namens Isidro, der im klaren Bewusstsein seines nahen Endes dich, seinen Freund und compañero Jesus, bat:

»Wenn dein Weg an meinen Füßen vorbeigeht, sag mir, wohin wir gehen.

Gib, dass ich mich in deine Hände fallen lassen kann, in deine Augen schauend,

um zu erkennen, dass der Vater ein so mitfühlendes Herz hat wie das deine.

Und wenn du überraschend kommst,

gib mir Zeit, deine Hände zu erkennen,

deinen Weg und deine Augen,

auf dass die Unruhe mich nicht verwirren möge.«

Stefan Dartmann SJ, Rom, geb. 1960

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