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ОглавлениеMein Gott für die anderen
Begegnet bin ich Kathrin bei einem Kurs für Krankenpflegeschülerinnen. Sie war keine Christin, aber ein sehr offener, freundlicher Typ. Irgendwann fragte sie mich: »Pater, neulich wollte ich das Zimmer eines Sterbenden verlassen, da hielt mich der Mann fest, schaute mir in die Augen und sagte: Schwester, Sie glauben doch auch an den Himmel!« Und Kathrin erzählte mir, dass ihr Gott und Himmel eigentlich fremd sind, dass sie diesem Sterbenden aber sehr spontan gesagt hatte: »Ja, ich glaube auch an den Himmel!« Und ihre Frage an mich: »Habe ich da gelogen oder war meine Antwort richtig? Wie sehen Sie das?«
Ich denke immer mal wieder an Kathrin, ihre Antwort an den Sterbenden und ihre Frage an mich. Denn es geht mir oft ähnlich, etwa wenn ich Eucharistie mit Menschen feiere, die mir wichtig sind. Da müsste ich manchmal während des Hochgebetes aufhören und den Freunden sagen: Lasst mich mal nachdenken, ob ich an all das glauben kann und auf diesen Jesus, sein Leben und seinen Tod und Gottes Barmherzigkeit wirklich vertrauen darf oder ob das alles nur dahingesagt ist und nicht von meinem Glauben getragen wird. Aber ich bin gerade dann froh, dass ich eingebunden bin in eine liturgische Handlung, die Eucharistiefeier, in ein Hoffen der anderen Menschen, die mich in all meinen Fragen und Unwägbarkeiten mitnehmen in ihren Erwartungen. Ich lasse mich dann darauf ein, für die anderen an Gott zu glauben, auch wenn mein eigener Glaube oft fraglich bleibt. »Für die anderen!« – das ist mein Gottesbild. Für sie möchte ich glauben dürfen; für sie will ich eigentlich das leben und sein, was ich bin.
»Glauben heißt die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten«, sagt Karl Rahner. Diesen Satz haben diejenigen, die das Gotteslob, das katholische Gesangbuch, zusammengestellt haben, ausgerechnet unter das Lied »Großer Gott, wir loben dich« geschrieben. Ich selbst würde wahrscheinlich formulieren: »Herr, ich bin froh, dass ich für andere an dich glauben möchte, über alle Fragen und Nöte hinweg. Hilf du meinem Unglauben, damit mein Vertrauen auf dich wahrhaftig ist und den anderen hilft, einen lebendigen Glauben zu haben.« – Für die anderen!
Aber es gibt auch Momente in meinem Leben, die sich mir anders darstellen: Wenn ich nach mühsamen Wegen auf einen Gipfel gestiegen bin und unter mir vielleicht der Nebel liegt, der manches verbirgt, über mir ein blauer Himmel und um mich herum die vielen anderen Gipfel der Alpen, die sich aus dem Nebel wie Inseln erheben, dann ist es für mich ganz einfach, im Herzen zu singen: »Preist den Herrn, ihr Berge und Hügel, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit. Preist den Herrn, ihr Meere und Flüsse, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit« (Dan 3,75.77).
All dies – die Nöte und Zweifel, »der Gott für die anderen« und das Lob der Schöpfung – gehören in meinem Herzen zu »meinem Gott für die anderen und für mich«.
Jörg Dantscher SJ, Nürnberg, geb. 1941