Читать книгу Duell der Mörder - Volker Buchloh - Страница 13

Duisburg Dellviertel, 11. Mai

Оглавление

Der Weg der Drei trennte sich vor dem Gebäude des Präsidiums. Man war mit zwei Autos hierher gefahren. Höfftner und Laurenzo in dem einen, Knoop allein in dem anderen. Höfftner war die ganze Fahrt über still gewesen. Auch Carlos hing seinen Gedanken nach. Mikael Knoop hatte während der Fahrt überlegt, wie er sich bei dieser neuen MK verhalten sollte. Ihm widerstrebte es, von dieser Frau Anweisungen zu bekommen. Am liebsten arbeitete er selbstständig, wenn er auch einsah, dass Ermittlungen immer ein Teamspiel war. Aber die Vorgehensweise von Ingrid Höfftner hielt er für wenig zweckdienlich. Solange van Gelderen keine eindeutigen Anweisungen über die Leitung der Kommission getroffen hatte, beschloss er, das zu tun, was er für richtig hielt. Und er hielt die Beschaffung von Informationen für dringlich. Knoop teilte den beiden anderen mit, dass für ihn nun Computerarbeit angesagt war. Höfftner zögerte einen Moment. Ihre Lippen verkürzten sich zu einem blassroten Strich, dann gab sie vor, heute genug getan zu haben. Im Grunde sträubte sich alles in ihr, Knoop den weiteren Ablauf der Ermittlung bestimmen zu lassen. Bei dieser Computerarbeit wollte und musste sie nicht dabei sein. Kommentarlos drehte sie sich um und war bald zwischen den parkenden Autos verschwunden.

„Boäh!“, stieß Laurenzo nach einigen Schritten heraus. Er hielt beide Hände so, als müssten diese Einkaufstüten vor dem Zerreißen bewahren. „Die hat aber Holz vor der Hütte. Nicht wahr?“

Mikael runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, was gut daran sein soll. Du fummelst nur fünf Minuten daran, hast also nur fünf Minuten Spaß. Sie aber muss die Brüste den ganzen Tag herumtragen. Ich weiß nicht, was daran schön sein soll?“ Er zuckte mit den Schultern.

Laurenzos Grinsen verschwand. „Ach, ist doch auch egal. Komm, erzähle mal, wie war dein Wochenende?

Auf dem Weg zu ihrem Dienstzimmer hatten sie Zeit genug über das angenehme Thema Wochenende zu reden. Ihr Dienstzimmer lag im ersten Stock und bot, wie viele Dienstzimmer Platz für zwei Arbeitsplätze. Die Fenster gaben den Blick auf die Düsseldorfer Straße frei. Diese war eine vierspurige Allee, welche die Innenstadt von Duisburg mit Düsseldorf im Süden verband. Die Wände waren in einem hellen Beige gestrichen. Man hatte die hohen Decken abgehängt und dort moderne Deckenleuchten platziert. Auch das Mobiliar war aus einer Stahl-Kunststoff-Kombination. All dies war möglich geworden, weil die Stadt Duisburg ihre öffentlichen Gebäude einer Verwaltungsgesellschaft übereignet hatte, die zu Hundert Prozent Eigentum der Stadt war. Auf diese Weise kam die finanziell klamme Stadt an Gelder, die dann zu Investitionen wie diese Raumeinrichtungen genutzt wurden. Andere Kommunen hatten ihre Kanalisation in die USA verkauft und zurückgepachtet, um notwendige Investitionen überhaupt vornehmen zu können. Duisburg hatte diesen Weg gewählt.

Laurenzo überspielte die Sprachdatei über seinen Rechner an den Server. Während die Technik arbeitete, notierte er für Mickey die Namen der genannten Flüchtlinge in einer gesonderten Datei. Dann stand er plötzlich vor Knoops Schreibtisch.

„Du, Mickey, hast du was dagegen, wenn ich heute mal früher Schluss mache? Heute ist schließlich Sonntag und ich habe noch eine Reihe von Dingen zu erledigen. Außerdem, die nächsten Tage werden erwartungsgemäß...“

Mikael schaute von seinem Bildschirm auf. Er kniff die Augen zusammen. „Klar doch. Verschwinde!“

Knoop war alleine. Das war ihm lieb. Er kannte sich in dem Metier des Asyls überhaupt nicht aus. Er wusste nur von einem Grundrecht auf Asyl. Das wurde nur politisch Verfolgten zugestanden. Die Flüchtlingsverwaltung nahm den Asylantrag an, prüfte die Fakten und entschied nach Aktenlage. Bei Widerspruch auf diesen Bescheid entschied ein Verwaltungsrichter, welche Rechtsposition zu gelten hatte. Bekam man diesen Status zugestanden, dann öffneten sich die Türen des deutschen Sozialstaates. Dieser Anreiz zog Flüchtlinge an, die eigentlich nur aus wirtschaftlichen Gründen Asyl beantragten, sich aber als politisch verfolgt ausgaben. Das Problem lag darin, beides von einander zu unterscheiden. Dieses Allgemeinwissen reichte für seine Ermittlung bei weitem nicht aus. Deshalb fürchtete er, sich zu blamieren. Vor allem bei Ingrid Höfftner. In seiner Ausbildung zum Kommissar hatte man ihn über dieses Grundrecht informiert. Aber mehr war nicht in seiner Erinnerung. Nun brauchte er weitere Informationen aus dem Internet. Genauere Informationen waren hier gefragt. Er surfte in unterschiedlichsten Dateien. Das Recht auf Asyl stellte das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, fest. Es hatte jede Menge Zweigstellen. Wo sich diese befanden interessierten ihn im Moment nicht. Er übersprang diese Seiten. Allein, dass es diese Information gab, genügte ihm. Das BAMF entschied in mündlichen Anhörungen, ob der Antrag auf Asyl gerechtfertigt war. Schon ein Drittel dieser Befragungen endete mit einem abschlägigen Bescheid. Interessant. Hier mussten dann die Abgelehnten vor dem Verwaltungsgericht klagen oder wurden abgeschoben. Da, der zeitliche Aspekt war interessant. Das Asylverfahren selbst dauerte. Die Betroffenen hatten zu warten. Warten, man konnte auch sagen 'Zeittotschlagen', war wohl auch der Grund für den weitverbreiteten Alkoholismus unter den Antragstellern. Er hatte einige von denen heute ja gesehen. Der Grund für die Schlägerei zwischen Kharadel und Okolele konnte auch Alkoholkonsum gewesen sein.

Dann stieß Knoop auf die Unterscheidung von Migration und Zuwanderung, die er auch nicht kannte. Zuwanderer kamen aus den Mitgliedsstaaten der EU. Jeder Europäer, genauer jeder Bürger der EU, hatte das Recht auf freie Wahl des Wohnortes. Häufig wurde diese Wahl aber nicht durch Freiheit bestimmt, sondern von den Geldern, welche die Sozialkassen am üppigsten ausschütteten. Migranten hingegen kamen von außerhalb der Union. Nicht alle beantragten Asyl und wurden unmittelbar darauf abgeschoben. Denn es gab noch Flüchtlinge, die offiziell in Deutschland leben und arbeiten wollten. Wirtschaftsflüchtlinge wurden diese genannt. Und dann gab es noch die Illegalen.

Das Asylverfahren von Nomfunda Mafalele dauerte schon fünf Monate. In Kenia hatte sie ihren Aufenthaltsort mit Wajir angegeben. In einem Kartenprogramm fand er die Stadt im nördlichen Teil des Landes, nicht weit von der somalischen Grenze entfernt. Als Grund für ihr Asyl hatte sie die Verfolgung durch die herrschende Regierung in Nairobi angegeben. Sie gab sich als friedliebenden Menschen aus. Man verfolgte sie politisch, weil sie gegen die Benachteiligungen in ihrer Heimat protestiert hatte. Die Anerkennungsquote für Verfolgte aus Kenia lag bei 12 Prozent, ein sehr geringer Anteil. Als Beleg gab sie mehrere Aufenthalte in Gefängnissen an, deren Namen Knoop im Moment nichts sagten. Er hatte auch wenig Interesse, diese in der Karte des Landes zu suchen. Von Folter und Misshandlungen war dabei die Rede. Das Deutsche Konsulat in Nairobi war eingeschaltet, um diese Aussagen zu überprüfen. Eine Antwort darauf war in den Unterlagen nicht zu finden.

Über Bozam Kharadel waren keine Straftaten gespeichert. Das besagte noch nichts, weil das BAMF nur das in ihre Computer eingeben konnte, was man in dem persönlichen Gespräch erfahren hatte. Und wer gab schon Straftaten zu, wenn er in einem fremden Land Aufnahme finden wollte. Kharadel, Iraker, gehörte der Religionsgemeinschaft der Jessiden an. Er berief sich auf die Verfolgung durch örtliche Kurden, die ihn zum Militärdienst gegen die IS zwingen wollten. Die Jessiden lehnten wohl den Gebrauch von Waffen aus religiösen Gründen ab. Knoop fragte sich, wie man in dem Hexenkessel des Nahen Ostens ohne den Gebrauch von Waffen überhaupt zurecht kam? Diese Informationen schätzte Knoop als schwach ein. Aus ihnen konnte man keine zwingenden Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit eines Menschen ziehen.

Apan Okolele berief sich bei seinem Asylantrag auch auf den Terror, allerdings durch den der Al-Schabaab. So weit er das richtig verstand war die Al-Schabaab genau so eine hirnrissige Organisation wie Al Khaida. Okolele hatte der Allianz für die Befreiung Somalias angehört, und mit denen gegen die angeblichen Freiheitskämpfer der Al-Schabaab gekämpft. Nach der Niederlage seiner Leute führte die Miliz der Al-Schabaab die Scharia in ihrem Herrschaftsbereich ein. Sie verbot Büstenhalter und schrieb Handschuhe und Socken vor, um Hände und Füße vor Allah und den Menschen zu bedecken. Okolele, als Angehöriger des Luhya-Volkes, hatte man mit Steinigung gedroht. Auch er hatte keine Vorstrafen und wartete schon neun Monate auf einen Bescheid des BAMF. Mikael lehnte sich in seinem Sessel zurück. Der Mann war an Waffen ausgebildet worden. Der Tod war für ihn also nichts Fremdes. Zwar war das Opfer, für das er hier ermittelte, nicht erschossen worden, aber die Informationen konnten eine Tatbeteiligung nicht ausschließen. Mikael machte eine handschriftliche Bemerkung auf dem Dateiauszug, nachdem der Drucker den Bildschirminhalt fixiert hatte.

Der Syrer Abdulbaki Kiryiaki war gegen den Beamten, der seine Befragung durchführte, handgreiflich geworden. Der Mann vom Flüchtlingsamt hatte nicht glauben wollen, dass Kiryiaki wohl kein Polier war, weil dieser keinerlei Papiere über abgelegte Ausbildung, Tätigkeiten und Prüfungen besaß. Kurzerhand hatte der Syrer den Verwaltungstisch mit zwei Handbewegungen leergeräumt und den Verwaltungsbeamten gewürgt. Erst der Sicherheitsdienst, der mit drei Männern anrückte, konnte die beiden Verschlungenen voneinander trennen. Der Syrer hatte Frau und Kinder zurückgelassen, weil die Hisbollah im Libanon ihn verdächtigte, an Anschlägen gegen sie beteiligt gewesen zu sein. Er bestritt dies vehement. Um sein Leben zu retten, hatte er sich spontan zur Flucht entschlossen. Zwischen den Zeilen las Mikael, Kiryiaki musste an Waffen ausgebildet worden sein. 'Informationen über Waffenausbildung erforderlich', schrieb er auf den unteren Rand des Ausdrucks.

Youssef Kabazim war wohl auch mit der Hisbollah aneinander geraten. Er war Libanese und Eigentümer eines Taxiunternehmens gewesen. Man hatte ihn gezwungen, Zubringerdienste für Kämpfer der Hisbollah zur israelischen Grenze zu leisten. Er berichtete von Personen und Waffentransporten. Nachdem er dabei mehrfach von der Syrischen Armee beschossen worden war, und die Hisbollah ungeachtet dessen auf die Erfüllung dieser Aufgabe bestand, sah er nur noch Rettung in der Flucht in die Türkei. Auf dem Weg dorthin waren seine Frau und die dreijährige Tochter von Rebellen erschossen worden. Dem Eingangsdatum seiner Akte zu schließen lag seine Antragstellung auf Asyl sieben Monate zurück.

Der in Afghanistan geborene Aiman Chalpanour hatte als Übersetzer bei den Briten seinen Unterhalt verdient. Als die Alliierten öffentlich bekannt gegeben hatten, sich aus dem Land zurückzuziehen, verstärkten die Taliban den Bürgerkrieg. Als Feind galten ihnen diejenigen, die mit dem Feind kooperiert hatten. Der Afghane wurde plötzlich persönlich bedroht und wohl auch angegriffen. Sein Wunsch, bei seinem Arbeitgeber nun Schutz zu finden, erwies sich als Trugschluss. Die Briten wollten für seine Sicherheit nicht sorgen. Frühere Beteuerungen waren auf einmal nichts mehr wert. Ein Freund verschaffte ihm Zutritt zur deutschen Botschaft. So hatte er bei den Deutschen Asyl beantragt. Dieses Verfahren musste in Deutschland geführt wird. Deshalb hatte man ihn ausgeflogen, aber bis dato nichts in seiner Sache entschieden.

Wenn Knoop all diese Informationen gewichtete, dann kamen Kharadel, Kabazim und Chalpanour erst einmal nicht als Täter Erster Ordnung infrage. Okolele und Kiryiaki hatten Kriegserfahrung, aber ein Motiv war noch bei keinem erkennbar. Sie rutschten damit erst einmal in die dritte Reihe der Verdächtigen.

Duell der Mörder

Подняться наверх