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Brazzaville, Kongo, 30. April

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Die Bezeichnung 'De Broughler Avenue' war der Kolonialzeit geschuldet. Die Belgier hatten die Namensgebung der wichtigsten Straßen ihrer Kolonie selbst vorgenommen. Die Benennung war schon erfolgt, als der Kongo noch Privateigentum des Belgischen Königs war. Als diesem sein Besitztum zu kostspielig wurde – er musste mehr hineinstecken, als er herauspressen konnte - ließ er sich sein koloniales Eigentum vom Belgischen Staat abkaufen. So waren auch die Straßen in Brazzaville bei den belgischen Bezeichnungen geblieben. Als die Kongolesen 1964 in die Freiheit entlassen worden waren, hatten sich die Probleme im Lande überschlagen. So hatten die herrschenden Eliten keine Zeit gefunden, die Straßenbezeichnungen in einheimische Namen zu überführen. Viel wichtiger war damals die Sicherung und Verteilung der künftigen Staatseinnahmen durch die einheimische Oberschicht gewesen.

Besagte De Broughler Avenue zog sich parallel zur Avenue Central hin. Sie war asphaltiert, was sie als einen Hauptverbindungsweg auszeichnete. An ihr stand ein buntes Gemisch von Kolonialbauten, Steinhäusern, Stahlbetonskeletten und niedrigen Hochhäusern. Aber es gab auch freie Flächen, wo das Unkraut den fliegenden Müll eingefangen hatte.

Die Sonne strahlte aus wolkenlosem Himmel. Man hatte sich mit der Temperatur von über 30 Grad Celsius arrangiert. So war es eben. Wer kein schattiges Plätzchen fand, der eilte über Straße und Bürgersteig, um den Sonnenstrahlen zu entfliehen. Die Männer trugen Hosen. Die waren bei den älteren länger und bei den jüngeren kürzer. Wenn sie nicht mit nacktem Oberkörper herumliefen, dann trugen sie Buschhemden oder langärmlige Blousons. Die Frauen trugen Blusen und knöchellange Röcke. Ein abendländisch geschultes Auge vermisste eine Abstimmung von Mustern und Farben. Dabei verkannte es, dass gerade diese vielfältige Kombination von Farben und Mustern das Modische ausmachte. Für die Größe einer Metropole wie Brazzaville waren zu dieser Zeit wenige Fahrzeuge unterwegs. Es war Mittagszeit. Unter den Kraftfahrzeugen befanden sich weniger Pkws als Lastwagen. Unabhängig von der Außentemperatur musste man Geld verdienen, wenn man denn zu den Glücklichen gehörte, welche die Möglichkeit dazu hatten. Häufiger traf man auf die Lkws der Kleinen Leute - Fahrräder. Geschoben oder gefahren waren sie mit allem beladen, was man stapeln konnte. Kästen, Kisten, Behälter oder Ballen gehörten ebenso dazu, wie Bretter, Balken oder Rohre. Die Grenze der Beladung war nicht die Menge der Ladung, sondern die Festigkeit der Fahrradkonstruktion. Wer fortschrittlicher transportierte, der setzte Mopeds ein.

Vor einem unscheinbaren, vier Etagen umfassenden Ziegelsteinbau standen zwei uniformierte Männer im Schatten des Eingangs. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, nur die Umgebung zu beobachten und den Zutritt zu kontrollieren. Suchte eine Person den Zugang zum Gebäude, wurde sie abgetastet und bei befriedigendem Ergebnis nach innen weitergereicht. Da dies recht selten geschah, war dies ein langweiliger Job, der bei dem hohen Stand der Sonne mehr eine Tortur war, denn eine Sicherungsaufgabe.

Die beiden Männer in einer fußknöchellangen Galabiya erregten keine Aufmerksamkeit. Sie passten ins Straßenbild. Ihr Abstand zueinander war abgestimmt, aber er erschien für den Betrachter zufällig. Sie waren nicht die einzigen, welche die Häuserfront der Firma Lambarde Traffic Ltd. passierten. Lambarde Traffic hatte als Geschäftsfeld internationalen Transport auf einem schmutzigen Messingschild angegeben. Als beide Männer so gleichzeitig an den Wachen vorbeischlenderten, verschafften zwei kleinkalibrige Pistolen dem Sicherheitspersonal ein schnelles Ende. Während die Mörder die Leichen einfach an der Hauswand ablegten, fuhren zwei schwarz lackierte Range Rover vor. Neun mit Kuffija vermummte Gestalten sprangen aus dem ersten Fahrzeug heraus. Während sie geräuschlos im Gebäude verschwanden, blieben einige Passanten stehen. Kommentarlos warteten sie auf weitere Ereignisse. Weil alles ruhig blieb, schüttelten sie nach einiger Zeit ihren Kopf, um ihre eigentlichen Tätigkeiten zur Sicherung ihres Lebensunterhaltens wieder aufzunehmen.

Im Innern des Gebäudes wurde das Sicherungspersonal von den Vorderen des Stoßtrupps durch Schläge mit den Gewehrschäften außer Gefecht gesetzt, während die Letzten den Ohnmächtigen jeweils zwei Kopfschüsse verpassten. Die Eindringlinge kannten sich aus, und sie hatten ein Konzept. Sie wussten, wo das Sekretariat war, wohin sie wollten. Während die ersten beiden sofort in das Zimmer des Chefs von Lambarde Traffic Ltd. durchstürmten, legten die nachfolgenden Söldner mit angelegten Kalaschnikows das Sekretariat lahm. Drei Frauen und ein junger Mann warfen sich sofort auf den Boden. Sie wollten schließlich überleben.

Das Büro war durchaus komfortabel eingerichtet. Ein Schreibtisch aus Ebenholz trug eine moderne Telefonanlage. Ein Flachbildschirm verriet, dass es irgendwo einen Computer geben musste. An der Wand hinter dem Schreibtisch hatte man das Fell eines Löwen gespannt, dem man den Kopf und die Krallen nicht entfernt hatte. Schräg vor dem Ebenholztisch stand eine übermannshohe Wurzel, aus der man Teile von Elefanten, Krokodil und Gepard geschnitzt hatte.

Immerhin schaffte es Abduhl Barnasadahleh, so der Name des Firmeninhabers, nach seiner Pistole in der Schreibtischschublade zu fischen. Nachdem er aber in den Lauf zweier Brownings blickte, gab er seine Verteidigung auf. Ohne Waffe zog er seine Hand aus der Schublade. Nachdem man seinen Ledersessel gegen die seitliche Wand unter einem Bild des Staatspräsidenten Secu Sese Secam gefahren hatte, griff einer der Kuffijaträger zum Mobiltelefon. Daraufhin verließ ein Mann im hellen Anzug westlichen Zuschnitts den zweiten Range Rover. Er war ein unscheinbar wirkender Weißer mit kurzgeschnittenen Haaren, die er linksgescheitelt trug. Seine Bewegungen verrieten Geschmeidigkeit.

Bei dieser Aktion lauteten seine Papiere auf den Namen Pierre Lacuste, Belgien. Lacuste hatte viele Ausweispapiere. Er fühlte sich in keiner Nationalität heimisch. Nur seinen Geburtsnamen gebrauchte er nie. Es waren keine Schutzgründe dafür ursächlich. Nein, er wollte nur nicht an seine Gebärerin erinnert werden. Außer Prügel und Hunger hatte er von dieser Nutte nichts geerbt. Seit er denken konnte, hatte diese 'Mutter' es darauf angelegt, dass er aus ihrem Leben verschwinden sollte. Als er es dann schließlich tat, befand er sich im Sumpf von Tirana. Alles, was er benötigte, musste er sich erkämpfen. Bald fand er heraus, wo man schnell an Geld kam: Drogen. Nachdem er anstelle eines Konkurrenten ein Geschäft auf eigene Rechnung gemacht hatte, setzte ihm dieser ein Messer an den Hals. Dass es nicht zum entscheidenden Schnitt kam, lag an einem Partner, der lieber mit Lacuste dealen wollte. Während dieser Partner den Angreifer nur in den Rücken trat, vollendete er, Lacuste, selbst das, wozu sein Gegner nicht den Mut dazu hatte. Er schnitt ihm die Kehle durch.

Mit angsterfüllten Augen starrte Abduhl Barnasadahleh den hereinkommenden Lacuste an. Er erinnerte an einen überdimensionalen dunkelhäutigen Schneemann. Barnasadahleh hatte gewaltige vertikale Körpermaße. Deshalb saß er auf einem gutgepolsterten Rollsessel, dessen Sonderkonstruktion den Massen seines Benutzers durchaus standhielt. Um den Hals trug er eine Menge goldener Ketten, die auf einer behaarten Brust baumelten. Es war seine Art, den Reichtum zu zeigen, den er sich ergaunert hatte. Ein kurzärmeliges, fünffarbiges Seidenhemd verhüllte seine Leibesfülle wie ein Segel.

Ein Deckenventilator verteilte die herumliegenden Blätter weiter auf dem Boden. Es roch nach Zigarettenqualm, obwohl keiner der Anwesenden im Moment rauchte. Gelassen hob der momentane Belgier einen Stuhl vom Boden auf, der beim Stürmen des Zimmers durch den Raum gesegelt war.

„Wir kennen uns nicht. Das ist auch nicht wichtig. Aber wir haben einen gemeinsamen Freund. Und sie, Abduhl, haben unseren Freund verärgert, sehr verärgert.“ Er schnalzte mit der Zunge, als er den Kopf schüttelte. Die dunkelbraunen Augen des Weißen standen etwas eng und waren nur auf das Gesicht seines Gegenübers gerichtet. Sie verbreiteten den Eindruck, als verabscheue er solche Gespräche.

Barnasadahleh zerrte an den Stricken, mit denen man inzwischen seinen massigen Oberkörper mit seinem Drehstuhl fixiert hatte. Vergebens. Auf eine müde Handbewegung von Lacuste hin verkürzte einer seiner Begleiter den Strick um dessen fetten Hals. Schweiß rann über die Schläfen des Gefesselten, eilte die feisten Backen hinunter, um am Hals vom Stoff seines Kaftans aufgesogen zu werden. Der Luftmangel beendete die Gegenwehr.

„Wir wollen uns doch vernünftig unterhalten. Das ist doch in Ihrem Sinne, oder? Wo war ich stehen geblieben? Ach, ja. Unser gemeinsamer Freund. War er nicht sehr entgegenkommend? Zweimal hatte er Ihnen einen Termin gesetzt. Leider kam Ihnen wohl immer etwas dazwischen. Nun sind wir beim dritten Meeting. Drei ist Ihre Glückszahl, denn heute wird gezahlt.“

Barnasadahleh schnappte nach Luft. Seine Augen weiteten sich. „Die Geschäfte schlecht sind, sehr schlecht. Ich habe...“

Mit einer barschen Handbewegung beendete der Belgier den Satz. „Wir sind nicht hier, um Sprüche auszutauschen oder zu verhandeln. Ich will Geld. Wir haben ohne Visematentschen die Maschinengewehre, Panzerfäuste und Kalaschnikows geliefert. Nun will unser gemeinsamer Freund auch die Bezahlung, die ihm zusteht.“

Hoffnung tauchte in Barnasadahlehs Augen auf. „Soviel Geld habe ich nicht hier, 12 Millionen. Wer hat soviel in der Tasche? Und die Bank?“

Ausdruckslos ruhten die Augen des Weißen auf den Lippen des Kongolesen. Nichts geschah. In den Augen des Misshandelten keimte Hoffnung auf. Seine Ausrede mit der Bank hatte doch bislang immer funktioniert. Der Belgier hatte von einem Beistelltisch den Unterkiefer eines fast dreijährigen Alligators ergriffen und damit herumgespielt, so als langweile ihn diese Angelegenheit über alle Maßen. In dem Moment, wo der Zahlungsunwillige sich entspannte und sich mit der rechten Hand auf dem Schreibtisch aufstützte, schnellte der Unterkiefer des Reptils nach vorne. Die gebogenen Zähne bohrten sich in die Handoberfläche. Instinktiv wurde die Hand zurückgezogen, was die Schmerzen allerdings noch erhöhte. Es dauerte etwas, bis der Schwarze begriff, dass Wegziehen keine Option war. Ungerührt drückte Lacuste den umgedrehten Unterkiefer des Reptils in den Handrücken. Die Schmerzensschreie des Gemarterten beeindruckten ihn ebenso wenig wie dessen Tränen, die nach unten abliefen.

„Hören Sie zu! – Hören Sie einfach zu! Und halten Sie vor allem die Schnauze.“

Barnasadahlehs Kopf nickte wie eine Nähmaschine. Als Entgegenkommen wurde der Druck etwas verringert, blieb aber die ganze Zeit über bestehen.

Langsam schüttelte Lacuste den Kopf mit den kurzgeschnittenen blonden Haaren. „Mein Guter, Sie begreifen nicht. Vor allem halten Sie uns doch nicht für so dumm. Sie zahlen elektronisch, wir kassieren elektronisch. Internet Banking heißt das. Wo ist da das Problem? Sie mailen Ihre Bank an. Selbstverständlich schaue ich weg, wenn Sie Ihr Kennwort eingeben. Wenn die Summe auf unserem Konto in Barbados angekommen ist, dann erhalte ich einen Anruf.“ Der Belgier hob sein Satelliten-Mobiltelefon in die Höhe. „Dann sind Sie uns los. So einfach ist das. Haben Sie noch Fragen?“

Um seiner Erklärung wieder Nachdruck zu verleihen wurde der Druck des Kiefers erneut erhöht. An einigen Stellen begannen die Raubtierzähne den Zusammenhalt der Haut aufzuheben. Der Kongolese hatte weder weitere Fragen, noch Anmerkungen. Es dauerte über eine halbe Stunde bis das Satellitentelefon seine Melodie in den Raum schmetterte und die Wartenden aufschreckte. Der Belgier drückte eine Taste, bevor er das Gerät ans Ohr hielt. Er nickte nur mit dem Kopf. Dann lächelte er. „Das Geld ist da. Wir können aufbrechen.“

Abduhl Barnasadahleh atmete erleichtert auf. Er blinzelte gegen die Schweißtropfen an, die ihm auch in die Augen gelaufen waren. Er hatte sich nicht getraut auch noch dagegen zu protestieren. Auf dem Wege zur Türe drehte sich der Belgier um.

„Ach, noch was. Sie sollten in Zukunft beim Abschluss der Geschäfte mit uns daran denken.“ Er machte eine Handbewegung.

Die beiden Kuffijaträger rollten den Ledersessel eng an die Tischplatte. Während der eine den Arm von Barnasadahleh auf der Oberfläche fixierte, presste der andere die Hand auf die Fläche. Lacuste zückte ein Messer. Es war Schneide und Säge in einem. Bevor der Gefesselte überhaupt denken konnte, wurde ihm der kleine Finger abgetrennt. Ruhigen Fußes verließen die eigenartigen Besucher das Gebäude.

Die Range Rover fädelten sich in den nachmittäglichen, spärlich fließenden Verkehr von Brazzaville ein. Der Belgier griff zu seinem Satellitenhandgerät. Im fernen Schermbeck schlug der Festnetzanschluss an. Es dauerte eine Weile, bis jemand abnahm.

„Das Geschäft ist abgeschlossen.“ Lacuste lehnte sich in die Rückenpolster.

„Gut.“

„Was ist mit der Sache von nächster Woche?“ Die Stimme des Angerufenen klang drängend.

Lacuste setzte die Sonnenbrille auf die Nase. „Im Moment nicht. Darüber reden wir später. Aber ich glaube, es klappt.“

„Gut.“

Die Verbindung nach Deutschland war unterbrochen.

Duell der Mörder

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