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A2.1.3 Zwei Halbbrüder

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Die beiden Halbbrüder Wilhelm Taubner und Morris H. Calderon waren mit höchster Wahrscheinlichkeit von der Unteren Viaduktstrasse über die Radetzkystrasse 2 bis zur Tempelgasse 6 im Familienverband noch dabei, am neuen Wohnort Matthäusgasse 5, ab 1905, werden sie nicht mehr aufgeführt. Was die Tatsache bedeuten könnte, dass die beiden Jungen im Register der Stadt Wien – wo Hermann Taubners Todestag mit 1. Dezember 1904 eingetragen wurde – sofort oder womöglich eher Monate oder Jahre später gestrichen wurden, ist schwer zu sagen.

Einerseits waren die beiden Brüder da bereits 17 und 20 Jahre alt, also in einem Alter, in dem sie selbständig einer Arbeit nachgehen konnten, falls sie nicht studierten; andererseits ist erwägenswert, dass gerade der Tod des Vaters sie aus finanziellen Gründen in die Arbeitswelt und damit in die Selbständigkeit geworfen haben könnte.

Vezas Halbbrüder sind 12 und 13 Jahre älter als Veza. Was das für ein Mädchen bedeuten kann, mit zwei Brüdern im Teenageralter aufzuwachsen, beschreibt Veza Canetti in Die Gelbe Strasse: „Frau Andrea pflegte von sich zu erzählen, sie wäre als Kind recht hässlich gewesen und häufig kränklich. Von ihren Brüdern sprach sie mit viel Heiterkeit, besonders einer Begebenheit erinnerte sie sich, wie die Brüder nämlich eines Tages weisse Mäuse heimbrachten und jeder eine weisse Maus beim Schweif fassen und in den Mund stecken musste. (…) ‚Als Kind habe ich gern Tabak geschnupft‘, erzählte Frau Andrea. ‚Meine Brüder haben mich erst gezwungen, und dann hab ich es mir angewöhnt. Auch weisse Mäuse musst ich immer beim Schweif nehmen und in den Mund stecken. Sie kribbelten mir dann im Gesicht herum, es war schrecklich.‘“ (GSt 119, 127)

Der Kontakt zum älteren Bruder, Morris H. Calderon, der später in Surrey lebte, scheint nie abgebrochen zu sein. Über die Beziehung zu Wilhelm ist nichts bekannt.

Der Bruder Wilhelm Taubner, 1885 geboren, stammte aus der ersten, geschiedenen Ehe des Vaters von Veza Taubner. Mit Ausnahme des Namens der Mutter, Amalie, geborene Noskovitz, ist nichts über diese erste Familie bekannt. Leider ist auch über das weitere Leben von Wilhelm Taubner, der beim Tod des Vaters als Handelsangestellter bezeichnet wird, nichts aufzufinden.51

Morris H. Calderons Spuren in den Archiven Wiens verlieren sich 1911, als er im Alter von 27 Jahren mit Jacques J. Calderon, einem Bruder seiner Mutter, und dessen Familie nach England auswandert. Morris H. Calderon wird von Veza Bucky genannt. Er erscheint in verschiedenen Quellen als der Greissler in Surrey, da er vor dem Zweiten Weltkrieg ein Süsswarengeschäft in Lightwater bei Bagshot führt. (BaG 384)

Veza Taubner hat sich wahrscheinlich in ihrer Jugend und Adoleszenz oft bei ihm selbst oder dann beim Onkel Jacques J. Calderon und dessen Familie in Manchester aufgehalten.

Wie wichtig Morris Calderon für Veza während ihrer letzten Jahre in Wien gewesen sein muss, erfährt man aus einem Brief an Georges aus dem Jahr 1936: „Wir hungerten. Wir hatten keine Kohle. Wir waren krank und hatten keinen Schilling im Haus. Lange lange Zeit. Mein Bruder, ein armer Greissler in Surrey, zahlt uns den Zins.“ (BaG 62) Und auch noch zehn Jahre später, 1946, formuliert Veza Canetti ganz allgemein hinsichtlich der Verwandten in England: „(…) ganz zu schweigen davon, dass ich sie in den letzten Jahren einiges an Geld gekostet hab, das kannst Du mir glauben.“ (BaG 202)

Eine ausgesprochen nette Charakterisierung des Bruders Morris, der tatsächlich gerne Ingenieur geworden wäre und fünf Sprachen spricht, liefert Veza am 31. März 1938 an Georges Canetti: „Ja, wenn mein ehrbarer Bruder in Surrey wüsste, dass ich Ihnen Liebesbriefe schreibe, er würde seine reinen guten Augen weit aufreissen, denn er hat Charakter. Er spricht fünf Sprachen, wäre gern Ingenieur geworden, träumt von einem riesigen Park, in welchem Elephanten, Eisbären, Gazellen (also Sie), Igel und Schweinchen friedlich herumspazieren und ihm aus der Hand fressen.“ (BaG 103)

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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