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A2.3.1 Die Onkel Jacques J. und Moritz J. Calderon

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Ein kleines Kuriosum bilden die beiden Söhne von Josef M. Calderon, dem Grossvater von Veza, beide sind in den Adressbüchern der Stadt Wien erst von dem Punkt an aufgeführt, wo sie zur Firma gehören. Es ist anzunehmen, dass die beiden zuvor bei ihren Eltern, Radetzkystrasse 13, gewohnt hatten. Jacques J. Calderon, der bei der Firmengründung 40 Jahre alt ist, heiratet 1900 anlässlich des Eintritts in die Firma des Vaters die 20 Jahre jüngere Sarina Levy. Er wechselt bis zur Aufgabe der Firma nach dem Tod des Vaters 1908 viele Male seine Adresse in Wien. Im Jahr 1911 wandert die inzwischen vierköpfige Familie schlussendlich mit Dienstmädchen und dem Neffen Morris Calderon, dem Bruder von Veza Taubner, nach England aus.

Der zweite, im Jahr 1900 bei der Firmengründung erst 30-jährige Bruder von Rahel Calderon, Moritz J. Calderon, wird in den Firmen-Adressbüchern immer als in Belgrad ansässig bezeichnet, vielleicht handelt es sich um eine Zweigniederlassung oder sogar das ursprüngliche Hauptgeschäft. Seine Heirat mit Sultana, geborene Demajo, wird bei der Israelitischen Kultusgemeinde Wien dadurch nicht verzeichnet und sein Name taucht in den Wiener Adressbüchern nach Aufgabe der Firma nicht mehr auf.

Gleich mehrfach bedeutend ist diese Migration des Onkel Jacques J. Calderon für Veza Taubners weiteres Leben. Elias Canetti schreibt in seinen Unpublizierten Lebenserinnerungen dazu:

„Ihre (Veza Canettis, Anm. va) englischen Verwandten, die sie oft besuchte, wohnten teils in Manchester, teils in London. Wenn sie in Manchester war, wohnte sie in der Burton Road, West Didsbury, in unserer Strasse. Ich hörte aus ihrem Munde dieselben Namen, die ich als die letzten Worte meines Vaters in Erinnerung hatte. Es waren die Namen, die unsere Adresse bildeten und er sagte sie dem kleinen Bruder Georg vor, damit er an ihnen das Sprechen übe. Das Vertrauen, das ich zu ihr fasste, als ich aus ihrem Mund von der Burton Road hörte, kam wie eine Erlösung, es war, als sei der Krieg zuhause zu Ende gegangen, vielleicht hätte ich doch früher schon kommen sollen. Doch blieb es nicht ganz bei dieser Übereinstimmung, in einem Punkte, der sich auf Menschen der Burton Road bezog, gerieten wir aneinander. Sie pflege dort bei einem Bruder ihrer Mutter zu wohnen, der dafür bekannt sei, dass er immer lache. ‚Jacques Calderon mit dem unendlichen Schnurrbart‘, sagte sie und plötzlich sah ich den Mann vor mir, der bei der Gedächtnisfeier für meinen Vater neben den anderen Männern an der Wand unseres Esszimmers stand und lachte. Ich hatte ihn schlagen wollen vor Wut, aber er war viel zu gross für mich, ich rannte weinend aus dem Zimmer und bewahrte ihm ein schreckliches Gedenken. Das sagte ich ihr jetzt und schilderte ihn, in den Jahren seither war das Bild, das ich von ihm hatte, nicht besser, nur böser geworden. Sie suchte mir ein anderes zu geben: er sei ein einfacher Mann, der niemand etwas zu leid tun könne und aus Gutmütigkeit immer lache. Er sei nicht sehr klug, Zureden oder gar trösten, das könne er nicht, darum suche er jede schwierige Situation durch Lachen zu überbrücken, das habe er damals gewiss auch versucht, er sei gar nicht dazu imstande, sich den Ernst und die Trostlosigkeit eines Kindes vorzustellen.“64

Die Familie von Elias Canetti migrierte nicht nur im gleichen Jahr, sondern wohnte obendrein in der gleichen Strasse wie Veza Taubners Onkel Jacques J. Calderon. So ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Veza Taubner schon vor dem Ersten Weltkrieg mit der Familie von Elias Canetti in Kontakt gekommen war. Veza Taubner muss sogar direkt von Jacques J. Calderon vom Tod des Vaters von Elias Canetti erfahren haben, wie er selbst in den Unpublizierten Lebenserinnerungen schreibt, und dabei hat sich der Onkel aus der Perspektive von Veza nicht schlecht benommen: „(…) derselbe Mann, den ich für so herzlos halte, habe mit Wärme und Teilnahme davon gesprochen, von ihm habe sie es erfahren und als etwas Unfassbares in Erinnerung behalten. Sie habe sich manchmal seither gefragt, was aus den drei kleinen Kindern ohne Vater geworden sei.“65

Über das konkrete Leben von Jacques J. Calderon in England ist hingegen bis anhin wenig bekannt. Sarina Calderon, seine Frau, muss in England zu Reichtum gekommen sein. Als Witwe ihres Mannes oder aus anderen Gründen, ist nicht bekannt. Sarina Calderon-Levy unterstützt bereits vor dem Zweiten Weltkrieg ihre Schwester Alice Asriel-Levy – eine Freundin Veza Canettis – während deren Exil in Paris. Auch muss sie während des Zweiten Weltkriegs weitere Wiener Verwandte und Bekannte, die nach London migriert waren, unterstützt haben, wie beispielsweise ihre Schwester Tony Levy/Wally Loew (beide Namen sind gebräuchlich) oder die Schwägerinnen von Fredl Waldinger, einem gemeinsamen Freund der Familien Calderon, Asriel und Canetti.66

Sarina Calderon-Levy ist zudem eine Schulfreundin von Olga Schnitzler, der Ehefrau von Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler erwähnt in seinem Tagebuch von 1921 den Besuch von Sarina Calderon-Levy bei seiner Ehefrau. Sarina Calderon sei aus Manchester angereist, um ihrer Schwester Alice Asriel-Levy bei deren Scheidung zu helfen.67

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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