Читать книгу Schicksale gebündelt - Walther von Hollander - Страница 5

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In Hinterpommern, einen Tagesmarsch vom Meer und ebensoweit von der nächsten größeren Stadt, wurde er geboren. Das Haus lag abseits vom Dorf an einem der unzähligen Seen. Nach vorn hinaus waren Wiesen, Wasser und die freundlichen Äcker. Gleich hinter den Schlafzimmerfenstern aber begann der Hagenbruch, ein Waldmoor, eine Wildnis aus filzbärtigen Tannen, fauligen Weiden und undurchdringlichem Schilf.

Anton Kuball hieß der Vater. Anton Kuball wurde auch er getauft. Vor ihm waren nur zwei Schwestern geboren. Er war also der Erbe. Anna Kuball, die Mutter — wegen ihrer winzigen Hände und Füße und der mächtigen blonden Haarkrone die Moorprinzessin genannt —, Anna Kuball nährte ihren Jungen zwei Jahre lang, weil der Bauer es verlangte. Dann legte sie sich hin und starb. Der Arzt begriff nicht, warum.

Die Dörfler aber mieden fortan den Moorhof. In der Kirche blieb der Platz neben Kuballs leer, und in der Schule wollte keiner mit dem kleinen Anton sprechen, weil er „seine Mutter umgebracht hatte“.

Als der Junge sieben Jahre war, kam Lieschen Ferdes auf den Hof, ein vierschrötiges, bleichbackiges Frauenzimmer. Sie brauchte Wochen, um das verdreckte Haus in Ordnung zu bringen, Monate, um den Bauern zu verführen und Jahre, um seine Frau zu werden. Und auch dann blieb Anna Kuballs myrtengeschmücktes Bild über dem Ehebett hängen, und die Kinder nannten sie weiter Lieschen oder (wenn sie unter sich waren): dat Peerd.

Am Sonnabend vor der Konfirmation mußte der vierzehnjährige Anton notgedrungen zum Barbier. Denn er hatte einen starken rötlichen Flaumbart, der vor dem Altar gestört hätte. Er war 1,70 groß, nicht kleiner als irgendeiner der Bauern, die vor der Tür des Schaumschlägers warteten, daß sie gekratzt würden.

Am Sonntag wurde Anton zum erstenmal gefeiert. Der Pastor kam noch gegen Abend herein, legte ihm die Hand auf die Schulter und befahl ihm streng, seine übermäßigen Kräfte im Dienste des Nächsten zu verbrauchen.

Am Montag früh verließ er den Moorhof. Er ging heimlich davon. Denn er hatte ein schlechtes Gewissen, daß er sein Erbe im Stich ließ. Er hätte auch nicht genau sagen können, warum er es tat. Dat Peerd hatte eben Macht über den Bauern.

Anton hatte den schwarzen Anzug an mit der silbernen Kette über der Weste. Das Einsegnungshütchen schwebte auf dem obersten Teil des Kopfes, unter dem Arm trug er einen Pappkarton, der seinen Arbeitsanzug enthielt, ein bißchen Wäsche, doppeltes Schuhzeug und ein Bild seiner Mutter, der er noch in der letzten Nacht ein rotes Herz aufgetuscht hatte mit drei Pfeilen, die es durchbohrten. An einen Pfeil hatte er „ich“ geschrieben.

Er marschierte zwei Tage über die Höfe und fragte nach Arbeit. Es regnete. Der Pappkarton weichte auf. Am dritten Tag bekam er eine Stelle auf der Domäne Driesen, eine Wegstunde von der Kreisstadt. Weil er so groß war und die Arbeit verstand, nahm man ihn gleich als Knecht.

Die Pächtersleute mochten ihn gern. Der Mann, weil Anton ungeheuer viel arbeitete. Die Frau, weil er ungeheuer viel aß. Schade, daß er fast nichts sprach. Man braucht auf dem Lande ein bißchen Unterhaltung.

Mit achtzehn Jahren wurde Kuball Inspektor in Driesen. Er war eigentlich viel zu jung. Aber bei den ständigen Knechten und Mägden stand er seiner Kräfte und seines Jähzorns wegen in Achtung, und ehe die Saisonarbeiter anrückten, ließ er sich das Gesicht bis zu den Backenknochen mit seinem gelbroten Bart bewachsen, der recht schlecht zu der braunroten Gesichtshaut paßte.

Wenn er dann im Freien den grünen Hut tief in die Stirn rückte, konnte man ihn für dreißig halten. Im Zimmer verriet die kleine blasse Jungenstirn mit den Buckeln an der Seite und der Delle in der Mitte genau sein Alter.

Als er zwei Jahre später zur Musterung ging, war er 1,93 groß. Sein Brustumfang betrug 1,47. Er kam zu einem Garderegiment nach Berlin. Man prophezeite ihm eine glänzende Zukunft. Das Kreisblatt erinnerte in einer Notiz daran, daß er den Marschallstab im Tornister trage.

Es zeigte sich aber, daß Anton Kuball sich nicht fügen konnte. Er war zwar der beste Schütze, beim Gepäckmarsch nicht umzubringen, hölzern und doch stattlich beim Parademarsch, aber im ersten Jahre ohrfeigte er seinen Stubenältesten, weil er den „Ältesten-Anteil“ am Driesener Wurstpaket gewaltsam entnahm, und kurz vor der Entlassung schlug er seinen Unteroffizier lazarettfähig. Grundlos eigentlich, oder weil er betrunken war, oder, wie er vor dem Kriegsgericht aussagte, weil ihm mit dem Schnaps aller Kummer zu Kopfe stieg und er dreinschlagen mußte, einerlei, wer im Weg stand.

So kam er erst drei Monate später, als es hätte sein müssen, vom Militär los, ohne Kokarde, als Soldat zweiter Klasse. Natürlich nahm man ihn in Driesen, denn man hatte auf ihn gewartet. Sein Bart wuchs wieder, ja er wurde noch üppiger und hing bald zwei Handbreit, viereckig geschnitten, unter dem Kinn. Seine Stimme dröhnte mächtig auf den Feldern und in den Scheunen. Aber es war doch nicht mehr dasselbe. Der Pächter, ein alter Feldwebel der Landwehr, konnte Kuballs Schimpfereien auf das Militär nicht anhören, und die Pächterin nahm ihm übel, daß er nicht nur Sonnabends (wie sie das von ihrem Mann gewohnt war) betrunken nach Hause kam, sondern zuweilen mitten in der Woche die Treppe hinaufpolterte mit grobem Schimpfen auf das jämmerliche Leben, das ein Untergebener zu führen habe.

Leicht hätte es damals schon ein schlechtes Ende nehmen können. Aber es fand sich Meta Muhn, die Tochter des kleinen schwärzlichen Kätners Muhn, ein Mädchen, das fast so blonde Haare hatte wie die Moorprinzessin, Antons Mutter.

Meta Muhn wußte, daß Männer nach Schnaps und Tabak riechen, daß sie außen groß sind und innen klein und daß man sie leicht leiten kann, solange sie die Zügel nicht spüren. Sie wußte auch, daß es nur einen Inspektor in Driesen gab und sie sich sehr anstrengen mußte, um den zu bekommen.

So kam es zuerst zu einem Verhältnis, über das Vater Muhn gewaltig schrie, über das die Pächtersleute ihre Witze rissen und die Großbauern, die selbst noch manche ledige Tochter im Stall hatten. Das dauerte drei Jahre. Schließlich hatten sie es beide satt. Sie wußten nun, wie es sich im Kornfeld liebt, in der Wiese, im Waldbusch, gleich hinter Muhns Kate, auf der Spukinsel im schwarzen Kindersee, wo die Meisen zu Tausenden nisten und in Schwärmen aufflattern, wenn man landet. Sie kannten auch die Regennächte am Heuschober und die dunkle Winternacht in den Scheunen. Und sie wollten wie andere in einem Bett zusammenliegen, ruhig und ohne zu horchen, ob jemand kommt.

Kuball sah sich also nach einer anderen Stelle um. Denn er konnte als Inspektor nicht einen Kätner zum Schwiegervater haben, über den er sonst zu befehlen hatte. Meta fand es selbstverständlich, daß sie bei ihrem Aufstieg nicht ihre ganze Familie mitnehmen konnte, und es war ihr auch recht, daß die Hochzeit nicht in Driesen stattfand, denn hier hätte sie wohl ohne Kranz zum Altar gehen müssen.

Anton Kuball feierte seine Hochzeit auf dem Moorhof, als Gast auf seinem Erbe, hochachtungsvoll angeprostet von seinen Altersgenossen, die in zehn Jahren nicht so viel errackern konnten, wie er auf seiner neuen Stelle in einem Jahr bekam, mißtrauisch bedient von seinem Vater und Lieschen Ferdes, die glaubten, er sei gekommen, sich den Moorhof zu holen.

Aber sie brauchten keine Angst zu haben; es war ihm hier viel zu eng. Wenn er sich reckte, so stieß er ja durch die Wände, und er mußte sich hüten, richtig zu lachen, damit die Bruchbude nicht über die Gäste fiel. Außerdem war da immer noch der Hagenbruch, gleich hinter den Fenstern. Nichts als Holz und Vögel und Schilf und kaum Himmel darüber.

Er hätte Lieschen alles für ihren Jungen geschenkt, einen sechsjährigen Nachkömmling, der trotz guter Ernährung kein Fett ansetzen wollte, aber Meta erlaubte das nicht. Sicher war der Moorhof ein kümmerlicher Besitz, kaum größer als die Kate zu Hause, und der Eigentümer Anton verlor viel von seiner Gloriole. Aber wegschenken konnte man immer noch. Zu gelegener Zeit ließ sich vielleicht eine Abfindung herausholen.

Vater und Sohn tranken die ganze Hochzeitsnacht durch. Von den Gästen hielt keiner mit. Nur die beiden Frauen blieben sitzen, nickten bisweilen ein und fuhren auf, wenn die Männer zu sprechen anfingen.

So blieb alles in der Schwebe, und das einzige, was Anton Kuball mitnahm, war das Bild seiner Mutter, das über dem Ehebett hing. Der Alte gab es ihm gern. Denn der Streit darum wollte nicht aufhören, und er selber wußte nicht einmal mehr, ob Anna Kuball wirklioh so ausgesehen hatte. In seiner Erinnerung wenigstens ähnelte sie eher dem Peerd als der verblassenden Photographie.

Am 1. April 1908 zogen Anton und Meta Kuball in das Inspektorhaus des Ritterguts Brückenau im Kreise Schlawe. Es war ein freundliches Sechszimmerhaus, auf einer Landzunge im See gebaut. Nach drei Seiten sah man über Wasser weg in den Tannenwald. Vorn war man duroh den Obstund Gemüsegarten mit dem Lande verbunden, die Äcker lagen jenseits des Schlosses, das wie eine Burg dunkel und vieltürmig die Ebene beherrschte und im Winter den Inspektorsleuten die Sonne wegnahm. Zum Schloß führte ein vielfach gewundener Saumpfad, zur Chaussee kam man auf einem Sandweg, der den Berg in Sichelkrümmung umgriff und im Herbst und Winter kaum passierbar war. Man mußte dann zum Schloß hinaufsteigen und dort den Wagen nehmen oder über den See rudern und bis zur Station laufen.

Im zweiten Jahr schon begann Kuball das dreißigtausend Morgen große Gut selbständig zu verwalten. Der rückenmarkleidende Herr von Maltrup saß immer schlechter zu Pferd, ließ sich ein Jahr lang täglich im Rollstuhl durch den Park fahren, hockte, wenn die Sonne schien, auf der Terrasse, geierköpfig, die Zigarette zwischen den dicken, fleischigen Lippen, die schließlich allein lebendig blieben, und starb, nachdem er seiner Frau empfohlen hatte, Kuball als Inspektor zu halten, bis der fünfjährige Erbe mündig war.

Frau von Maltrup verdoppelte Kuballs Gehalt, lud die Inspektorsleute wöchentlich einen Abend zum Skat und kam zwei, dreimal die Woche tagsüber hinunter, um mit Meta Muhn über Weibersachen zu reden. Sie warb geradezu um die Inspektorsfrau. Sie wollte nach und nach eine gehorsame Freundin aus ihr machen. Aber es gelang nicht. Meta blieb zurückhaltend und mißtrauisch. Sie lernte, was sie lernen konnte: Messer und Gabel halten, eine Unterhaltung führen, ein bißchen modisch sein und auch ein bißchen kalt und kokett. Ja das letzte brauchte sie sicher am notwendigsten. Denn sie wußte sehr bald, daß sie ihren Anton nicht nur gegen die gewöhnlichen Mägde und Tagelöhnerinnen würde verteidigen müssen, sondern sogar gegen die hochmütige Gutsherrin. Und es schien ihr sicher, daß daher das Unglück kommen werde.

Sie hatte viel Zeit zum Nachdenken. Denn der Leute wegen mußte man ein Dienstmädchen halten, obwohl die Inspektorin dadurch nichts mehr zu tun hatte. Wochenlang war sie tagsüber allein, ritt Kuball in der Dämmerung weg und kam in der Dunkelheit wieder. Dreißigtausend Morgen! Er mußte überall sein. Die Leute fürchteten ihn. An der äußersten Grenze mußte man so arbeiten wie nahe beim Gut. Tief drinnen im Wald genau so wie auf den Wiesen. Hitze hielt den Inspektor nicht auf, und bei zwanzig Grad Kälte war er plötzlich da und holte die Tagelöhner aus den warmen Betten.

1912 hatte Anton Kuball die Einnahmen des Gutes verdoppelt. Frau von Maltrup beteiligte ihn mit zehn Prozent am Gewinn. Sein Eifer war dadurch nicht zu steigern. Aber damals fing es an, daß er ganz gern länger ausblieb, daß er auf dem Rückweg eine halbe Stunde lang noch unnütz durch die Wälder tappte, daß er müde und stumpfsinnig am Wasser saß oder auch noch im Wirtshaus abstieg. Und wenn er dann, den Bart zurechtstreichend, ein wenig betrunken sein Haus betrat, dann konnte es immer wieder kommen, daß er die Klagen Metas brutal abschnitt mit der gleichen Frage: „Warum hast du keine Kinder?“

„Warum hast du keine Kinder?“ Es war nicht auszudenken. Die Tagelöhner, deren Stuben von Kindern barsten, lachten über den Inspektor. Die Herrin erkundigte sich erstaunt. Meta fuhr heimlich in die Stadt — eine wahre Hetzjagd machte sie in ihrer Angst, daß der Mann vor ihr nach Hause kam —, aber der Arzt konnte nichts feststellen. Sie sei gesund für zehn Kinder.

Ein Jahr vor dem Krieg nahm sich Kuball die Magd. Er wollte schon zeigen, an wem es lag. Meta konnte sich nicht wehren. Sie zog nur in den oberen Stock und war nun auch nachts allein. Mit Klagen verliert man den Mann erst recht.

Sie wartete gespannt. Sie bewachte die Magd. Kein anderer Mann durfte in ihre Nähe. Im Frühjahr 1914 warf sie das Frauenzimmer hinaus. Anton Kuball bekam einen Zornanfall. Wer war hier Herr im Haus? Es zeigte sich, daß Meta Muhn, die Kätnerstochter, die Herrschaft in der Ehe angetreten hatte.

Der Krieg brach aus. Ein Jahr lang war Kuball unabkömmlich. Dann holten sie ihn doch zur Landwehr. Er tat sich bald so hervor, daß man ihm die Kokarde wiedergab. Einmal saß er drei Tage auf einem Baum im Rücken der Franzosen und schoß zwölf Mann ab. Dafür bekam er das E. K. I. Als Patrouillengänger wurde er eine Berühmtheit. Er holte die Feinde aus dem Graben, wie man sie brauchte. Tot oder lebendig. Einen Leutnant der Alpenjäger trug er wie ein kleines Kind im Galopp über die Drahtverhaue. Er wurde im Armeebefehl erwähnt und zum Feldwebel befördert. Frau von Maltrup schrieb ihm, daß sie stolz auf ihn sei. Nur bei seiner Frau galt er deshalb nicht mehr. Auf seinem letzten Urlaub, als sie auch mal ein bißchen viel getrunken hatte, sagte sie ihm ihre Meinung. „Du kannst die Menschen in Schrecken versetzen,“ sagte sie und hängte sich an seinen Hals, „aber mich nicht. Du kannst Menschen totmachen, aber ein Kind kriegst du nicht fertig.“

Danach weinte sie erbärmlich und ließ mit sich geschehen, was er wollte. Zum erstenmal wieder.

Das letzte Kriegsjahr war Anton wieder zu Haus. Die Revolution begann in Brückenau erst am 15. November 1918. Die Kätner und Tagelöhner zogen zum Hause Kuballs. Aber Meta, die allein zu Haus war, konnte nichts sagen. Auch Frau von Maltrup wußte nichts zu antworten. Revolution? Gegen Mittag kam Kuball. Er ließ die Leute nicht zu Wort kommen. Nein, in Brückenau fand keine Revolution statt. Die Kätner murrten. Ein paar Weiber schrien. Ein Tagelöhner schoß auf Kuball und durchlöcherte sein grünes Hütchen. Dafür bekam er eine Ohrfeige. Und dann war wieder alles beim alten. Später baute Kuball ein paar neue Häuser, erhöhte die Deputate und warf die Widerspenstigen hinaus. Sonst änderte sich nichts.

Jede Woche gab es den Skat. Man spielte um Hunderte, um Tausende und Millionen. Das einzige, was wuchs, waren Zahlen. Oder nein: Kurt von Maltrup wuchs auch. 1922 war er fünfzehn, seine Mutter achtundvierzig Jahre. Kuball fünfundvierzig. Die Gutsherrin hatte graues Haar. Sie war völlig vereinsamt. Manchmal, wenn Kuball bis spät in den Abend blieb, weil viel zu besprechen war, ließ sie alten Burgunder kommen. Zwei bis vier Flaschen.

„Warum haben Sie keine Kinder?“ fragte sie immer wieder ihren Inspektor. Und als er den Sinn ihrer Frage immer noch nicht verstand, fügte sie endlich hinzu: „Wenigstens kann mein Junge verlangen, daß er keinen Bruder kriegt.“

Da erst begriff Kuball. Aber er war schon so blind geworden, daß er nicht mehr erkennen mußte, wie er um seiner Unfruchtbarkeit willen genommen wurde, daß er nicht merkte, wie die Frauen nach knapp einem Jahr stillen und zähen Kampfes sich einigten, ohne Aussprache, ohne Wort. Jeden Dienstag und Freitag hatte der Inspektor die Besprechungen. Donnerstag war Skatabend, und am Sonntag fuhr man gemeinsam im kleinen Auto nach Schlawe, um ein Kino zu besuchen.

Das Trinken mußte Kuball einstellen, oder er durfte wenigstens nicht betrunken sein. Schreien, Fluchen und mit gewaltigen Stiefeln auftreten konnte er im Freien. Er mußte nun beiden gehorchen: Frau von Maltrup, weil sie die Herrin blieb, die Frau aus der anderen Welt mit Bad, Seife, Parfüms und einer Menge erstaunlicher Bücher, die das Blut zur Siedehitze trieben, Meta, weil er sie belog und betrog, und beiden, weil er nach einem unerforschlichen Gesetz kein ganzer Mann war, trotzdem er breit war für zwei, Kraft hatte für zwei und nun auch lebte wie zwei Männer.

So blieb ihm nichts, als sich immer mehr in die Arbeit zu verrennen. Die Försterstelle besetzte er nicht neu. Das konnte er besser wie jeder Förster. Zwei Schimmel hatte er nun, weil ein Pferd es nicht aushielt. Die Arbeiter stöhnten unter seiner Bedrückung. Sie blieben, weil sie höhere Löhne bekamen. Aber der Haß wurde immer größer, und bald rächte man sich durch Vergiftung von Vieh, bald durch einen Lärm, den man der Meta machte, wenn sie allein war, durch Beschmieren des Zauns oder Umhacken junger Obstbäume.

Die Frauen begannen für ihn zu fürchten. Meta sagte deutlich, er solle sich nicht für Frau von Maltrup umschießen lassen, und die Gutsherrin versuchte, hinter seinem Rücken ein bißchen auszugleichen. Aber das Ende war nicht mehr abzuwenden.

Ein Jahr und noch ein Jahr, dann fing der Alkohol wieder an, den Inspektor zu trösten. Konnte er mit niemandem über seine Not sprechen, so erleichterte es ihn, im Rausch sich selbst anzureden und unbeantwortete Fragen in die Dunkelheit hinauszubellen.

In einer Mondnacht sah Meta Muhn ihn im Boot über den See treiben. Anton Kuball stand stocksteif. Die eine Hand bewegte mühsam das Ruder. Dann wankte das Boot, kippte, und Kuball fiel wie ein Sack ins Wasser.

Meta schrie laut. Aber niemand hörte sie. Sie ruderte auf den See, aber sie fand nur das treibende Boot. Sie fuhr zurück, stieg aus, saß still die ganze Nacht am Fenster. Sie sagte auch am anderen Tage nichts. Sie machte nur schließlich auf das Boot aufmerksam, das herrenlos trieb.

Drei Tage später fand man Kuball. Er war mit Stricken fest umschnürt. Die Mordkommission verhaftete acht Tagelöhner und mußte sie wieder laufen lassen. Meta sagte nichts. Sie atmete nur auf, als niemandem der Prozeß gemacht werden konnte. Sie hatte für ihren Anton wenigstens das christliche Begräbnis gerettet.

Mit großer Musik, Fahnen und vorangetragenem Ordenskissen wurde Anton Kuball zur letzten Ruhe geleitet. Arm in Arm mit Meta ging Frau von Maltrup hinter dem Sarg. Aber nur Meta durfte den Witwenschleier tragen.

Zwei Jahre lang blieb sie noch in Brückenau. Innig befreundet mit der Gutsherrin. Dann starben im gleichen Jahr Anton Kuballs Vater und dessen kümmerlicher Nachkomme, Lieschens Sohn. Meta Kuball zahlte Lieschen Ferdes eine Abfindung und zog als Herrin auf Anton Kuballs Erbe ein.

So kam das Bild der Moorprinzessin wieder an seinen Platz, und drunter hängte Meta das kleine Bildchen, auf das Anton in der Nacht nach seiner Konfirmation das rote, von drei Pfeilen durchbohrte Herz getuscht hatte. Das „Ich“, das Anton an einen der Pfeile kritzelte, war fast ausgelöscht. Meta hätte auch nicht wissen können, was es bedeutete und daß von dieser ersten Selbstanklage her eigentlich schicksalsstreng das Leben Anton Kuballs in den Freitod führte. Ja vielleicht war alles andere Leben, das voll Schuld und Verstrickung schien, nur Schnörkel, Ausdeutung und Umweg.

Schicksale gebündelt

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