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Staub und Stein

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Bérénice stutzte, als sie den letzten Felsbrocken umrundete, der ihr die Sicht auf den fjordähnlichen Einschnitt versperrt hatte. Wie ein Eingang in das Gebirge wirkte er mit seiner tiefen Schwärze wenig einladend. Er lag genau in der Mitte der Formation drohend vor ihr. Sie marschierte nun seit drei Tagen in der Gegend herum, mehr oder weniger ziellos, da sie im Grunde nicht wusste, was sie tun sollte.

Zurück zum Raumhafen wollte sie nicht, da sie annahm, dass dort aufgrund ihrer Fluchtaktion das Kontingent des Wachpersonals sicher verstärkt worden war. Natürlich ahnte sie nicht, dass der Anblick von 43 Leichen die Flugplatzpolizei erheblich geschockt hatte und alles wie ein aufgeregter Bienenschwarm nach einer Erklärung suchte.

Ein weiterer Versuch sich in ein Frachtschiff, höchstwahrscheinlich einen Kohlefrachter, zu schleichen, erschien ihr ebenfalls momentan zu gefährlich.

Also hatte sie sich auf den Weg gemacht, Regionen zu erreichen, in der man nicht nach ihr suchte und sie vielleicht etwas finden würde, was ihr eine Idee vermitteln könnte. Ihre Augen blieben an einem Punkt hängen. Fast augenblicklich hielt sie an und ließ sich auf die Knie herab.

Das überraschte sie nun wirklich.

Genau im Einschnitt des massiven Berges ruhte ein kleines Raumschiff, das definitiv nicht von Samboll stammen konnte. Sie hatte früher schon mal so ein Modell gesehen, aber jetzt fiel ihr partout nicht ein, zu welcher Spezies das Ding gehören mochte.

Sie bedauerte zum hundertsten Mal, dass sie kein Fernglas ihr Eigen nannte, von einem Planetenscanner einmal ganz abgesehen. Dazu kam noch, dass alles um sie herum schwarz war. Von einem dezenten Schwarz bis zu einem verflucht-noch-mal noch finstereren Schwarz. Zu allem Überdruss näherte sich die blendend weiße Sonne Carbons rasch dem Horizont. Dieser Kontrast von Schwarz und Weiß hatte sie die ganze Zeit über verwirrt, ihre Augen waren andere Lichtverhältnisse gewohnt. Und mehr als einmal hatten ihr die fremden Effekte den einen oder anderen optischen Streich gespielt.

Sie kniete sich noch tiefer und versuchte, dem schwindenden Licht mit seinen harten Kontrasten noch eine Information zu entlocken, doch mehr als die dreckige Hülle konnte sie nicht erkennen. Die Außenhaut des Raumschiffes zeigte ein rostiges Braun mit allerlei Flecken, die aber auch vom allgegenwärtigen Kohlestaub stammen mochten. Schließlich fiel ihr Blick auf das Heck, das nur zur Hälfte zu sehen war, da das Schiff in einem Winkel von 45° zu ihr lag.

Es liegt!, dachte sie überrascht und suchte nach Landestützen, Kufen, Pollern, Prallfeldern oder ähnlichen Vorrichtungen, die ein Schiff üblicherweise aufwies.

Das Ding da zeigt nichts davon. Sie hielt einen Moment inne und ging im Geiste alle nicht-irdischen Raumschifftypen durch, die ihr je zu Gesicht oder zur Kenntnis gelangt waren.

Der dunkle Schatten da … Sie fluchte leise vor sich hin, als die Sonnenscheibe den Rand des Horizonts berührte und die Berglinien wie einen Scherenschnitt mit überblendeten Scheinwerfern wirken ließ.

Das könnte eine Rumpfplatte sein. Und nahe der Spitze und an der Seite, das sind …

»Stützkrallen!«, rief sie laut und zog automatisch ihren Kopf in Deckung. Aber niemand hatte das Wort gehört. Ihr erfreuter Ruf begründete sich hauptsächlich darin, dass sie jetzt erkannt hatte, wer die Erbauer des kleinen Raumschiffes dort unten waren. Trotzdem dachte sie einige Sekunden über dessen Besitzer nach.

Die Givvianer waren Echsenabkömmlinge. Und lagen wie die Menschen mit den Mazzar im Krieg, was sie nach einigem Hin und Her doch noch zu Verbündeten der Menschheit werden ließ. Im Gegensatz zu den Menschen lag der Kriegsgrund der Givvianer darin, dass sie die gleichen Lebensräume, sprich Planeten, wie die Mazzar beanspruchten und das auch noch im gleichen Sektor der Milchstraße. Beide Rassen bevorzugten Planeten mit ausgedehnten Wüsten, viel, sehr viel heißem Sand, in dem sie ihre Gelege ausbrüten konnten. Dazu eine Schwerkraft von 1,75 g, die Menschen zwar aushalten konnten, aber auf Dauer nicht als angenehm bezeichnen würden.

Im Unterschied zum Reich Mazzar war das Givvianische Sandheim – so lautete die offizielle Bezeichnung der kleinen Planetenkonstellation, welche die Givvianer manchmal auch nur Nest nannten –, weder expansiv, noch besonders aggressiv veranlagt. Das hieß nicht, dass die Givvianer nicht kämpfen konnten, oh, das konnten sie sehr wohl. Aber ihre ersten Kontakte mit den Mazzar waren so blutig verlaufen, dass sie Jahre später die ersten Menschen, auf die sie getroffen waren, ebenfalls für Eroberer gehalten und massakriert hatten.

Es waren etliche Expeditionen vonnöten gewesen, um die Sache zu … bereinigen. Die Art der Expeditionen hatte sich von anfänglichen beiderseitigen Rachefeldzügen, hin zu einem schnellen Patt und vielen, vielen vorsichtigen Verhandlungen gewandelt, die zunächst für einige Jahre in eine Koexistenz und letztendlich in eine Allianz gegen die Mazzar gemündet war.

Aber die Givvianer waren nun Verbündete und Bérénice hoffte, dass sie kein Wrack vor sich im immer rascher werdenden Dunkel verschwinden sah. Sie erhob sich aus ihrer Stellung und suchte nach einer Route, die sie am schnellsten in die Nähe des Schiffes bringen würde. Sie musterte misstrauisch den Abhang vor sich: wenig Steinbrocken, viel loser Kohlestaub. Wenn sie ins Rutschen kam, konnte sie zwar schneller eine große Strecke zurücklegen, aber die Gefahr, einfach verschluckt zu werden, erschien ihr zu groß. Darüber hinaus würde sie sicherlich nicht gerade einen vertrauenerweckenden Eindruck hinterlassen, wenn sie einfach so in der in Kürze hereinbrechenden Dunkelheit vor dem Schiff stehen und um Einlass begehren würde. Die givvianische Besatzung hatte sich vielleicht gerade diesen Bergeinschnitt als Landeplatz ausgesucht, um einer Entdeckung durch ihre gemeinsamen Feinde zu entgehen. Also waren sie aufmerksam und hatten wahrscheinlich die Finger am Abzug. Keine gute Idee, da im Dunkeln aufzutauchen.

Die Trooperin zuckte mit den Schultern und suchte sich eine windgeschützte Nische, von der aus sie das Schiff im Blickfeld hatte. Bei spärlichen Sternen am Himmel und einem höllenartigen Schwarz am Boden, machte sie es sich für die Nacht bequem. Das Beste auf Carbon war ein weiches Kohlestaubbett. Sie schob einen Teil des Umhanges vor Nase und Mund und schloss die Augen.

Wovon ich schon immer geträumt habe: einer Nacht auf Grillkohle.

Sie stellte sich einen Givvianer vor: etwa 130 bis 140 Zentimeter groß, aufrechter birnenförmiger Körper, mit vier unteren Extremitäten, welche in dreigliedrigen Klauen endeten. Eine in jungen Jahren bordeauxrote, in der Adoleszenz rostrote, bis im Alter braunrote Schuppenhaut. Ein kräftiger Schwanz von noch einmal 1,2 Metern Länge, der eine unerfreulich scharfe Stachelsichel aufwies, der es ohne Weiteres möglich war, einen Kopf vom Rumpf zu trennen. Diese Stacheln konnten nachwachsen, sollten sie abbrechen oder auch abgeworfen werden. Die Augen eines Givvianers waren zwei lange Schlitze mit Nickhäuten über typischen Reptilienpupillen. Die Augäpfel besaßen ein angenehmes Gelborange, in dem die hellbraunen Pupillen ein erstaunliches Repertoire an Ausdrücken produzieren konnten. Vielleicht war es gerade diese Eigenschaft, die zwischen Menschen und Givvianern zu einer Annäherung geführt hatte.

Erst viel später war es gelungen, die grummelnden, fauchenden und zischenden Lautkombinationen der Givvianer in eine Syntax einzuordnen und nach drei Jahren harter gegenseitiger Bemühungen – freundlich unterstützt vom massiven Herandrängen der Mazzar – in eine Translations-Software einzubinden. Eine Unterhaltung mit einem Givvianer und einem Menschen hörte sich so an, als würden zwei Katzen streiten und ein Herrchen versuchen, sie zu trennen.

Ich habe kein Translationsmodul …

Mit diesem wenig erbauenden Gedanken schlief Bérénice ein.

Sie war längst wach, als die weiße Scheibe der Sonne endlich ihre ersten Spuren am Horizont zeigte. Der Bergeinschnitt lag aber noch völlig im Dunkeln und auch der Abhang vor ihr war ein Meer aus Schwarz in Schwarz. Erst allmählich wandelte sich die Finsternis vor ihr in weniger tiefe Schwärze und nach einer geschlagenen halben Stunde konnte sie anthrazitfarbene Konturen und gröbere Details ausmachen.

Ungeduldig – und hungrig wie sie an diesem Morgen war –, konnte sie es kaum erwarten, sich an den Abstieg zu machen. Das Givvianerschiff war ein einziger finsterer Fleck in einer schwarzgrauen Einbuchtung des Bergmassivs.

Die haben sich wirklich ein gutes Plätzchen ausgesucht, dachte sie anerkennend und nickte unwillkürlich. Das heißt, dass sie mit Absicht dort liegen und nicht etwa abgestürzt sind oder abgeschossen wurden.

Die halbe Sonnenscheibe sandte nun ihre Lichtstrahlen an den Rand des Berges und Bérénice runzelte die Stirn, als sie endlich das Schiff wieder besser sehen konnte.

»Das ist weder ein Beiboot noch ein Rettungsshuttle …«, überlegte sie mit halblautem Gemurmel. Sie musterte die Konturen des kleinen Schiffes, das sich nun mehr und mehr aus dem Halbschatten schälte. »Die seitlichen Anbauten über den Landungskrallen sind eindeutig Linearantriebe, doch so ein Modell habe ich noch nie gesehen.«

Das musste nichts heißen, sie kannte ja nicht jeden einzelnen terranischen Schiffstyp, schon gar nicht geheime …

»Ein Aufklärer … das Ding ist zum Spionieren gebaut worden.« Sie war sich fast sicher, dass ihre Vermutung der Wahrheit entsprach, letztendlich machte es keinen Unterschied, auf was für ein Modell sie blickte; es waren Givvianer, also Verbündete.

»Aber die Besatzung hat bestimmt keine Lust, ihre Aufgabe einem menschlichen Flüchtling auszuplaudern.« Sie seufzte und wusste dabei genau, dass ihr im Grunde keine Wahl blieb. »Na danke, das kann ja heiter werden.«

Es half trotz allem nichts. Dieses Schiff war ihre beste Chance ihre Flucht – sie nannte sie in Gedanken ohnehin schon lange ihre Odyssee – fortzusetzen. Wer weiß, wann sie wieder die Gelegenheit hätte, hier auf diesem Kohleplaneten ein Schiff zu finden, geschweige denn ein befreundetes, Spione hin oder her.

Sie packte ihren arg geschrumpften Rucksack und den Rest ihrer Habe und trat an den Rand des Abhanges. Ihre Blicke suchten nach einer ungefährlichen Route und nach einigem Abwägen zwischen einer waghalsigen und einer leichtsinnigen, entschied sie sich für Erstere.

Lieber vertraue ich auf meine Fitness, als dass ich in unberechenbares Gelände hüpfe!

Dachte es und machte erste vorsichtige Schritte hinab. Das Katana und alles andere hatte sie so fest zusammengesteckt, dass sie beide Hände freihatte. Nach zehn, elf Schritten geriet sie in eine lockere Schicht und begann zu rutschen. Nun, das hatte sie erwartet. Der ganze Abhang war zwar erfreulich lang und relativ flach, aber trotzdem konnte es passieren, dass sie in einem Loch versinken und ersticken würde. Sie konzentrierte sich auf Stellen, an denen größere Steinbrocken lagen, denn dort war der Untergrund logischerweise fest genug, diese zu tragen.

Und mich, dachte sie und machte einen Satz über einen kniehohen Brocken, dem sie nicht mehr ausweichen konnte, da sie mittlerweile ein hübsches Tempo drauf hatte. Sie landete auf relativ festem Untergrund und verlegte sich auf kurze, leidlich kontrollierte Sprünge, die sie noch schneller nach unten brachten. Auf diese Weise legte sie fast 120 Meter zurück, als sie hinter sich ein Prasseln hörte. Ausgerechnet an dieser Stelle machte der Hang eine Einbuchtung und sie sprang instinktiv mit aller Kraft darüber hinweg und landete in einer mächtigen Staubwolke am unteren Rand der Mulde. Dem Prasseln hatte sich jetzt das Geräusch rollender Steine hinzugesellt, und während sie sich umdrehte, ahnte sie bereits, was sie sehen würde.

»WOW!«, entfuhr es ihr, aber in der gleichen Sekunde wirbelte sie herum und begann einen Sprint, wie ein Hase auf der Flucht vor dem Fuchs.

Der ganze Hang hinter ihr war in Bewegung geraten und Bérénice hatte genügend Lawinen aller Art gesehen, sodass sie wusste, dass nun jede Sekunde zählte. Das schwerere Material und der relativ flache Winkel trugen dazu bei, dass die Lawine nur langsam an Fahrt gewann. Aber sie tat es. Die Geräusche hinter ihr wurden lauter und sie hatte dazu den Eindruck, dass sie näher kamen, aber sie verschwendete keinen Blick zurück. Mit aller Kraft hetzte sie nun den Berghang hinunter und kämpfte um ihr Gleichgewicht. Ein Taumeln, ein falscher Tritt und sie würde unweigerlich stürzen. Und wenn sie einmal lag – selbst, wenn sie Zeit genug hätte, wieder aufzustehen –, die Lawine würde sie einholen und verschlingen. Ein hastiger Blick nach vorne zeigte ihr an, dass sie vielleicht noch ein Viertel der Strecke vor sich hatte, aber das wäre nicht das Ende der Gefahr. Die schwarze Staub- und Steinflut hinter ihr würde sicher noch weiter rutschen, bis sie endlich zur Ruhe käme. Also brauchte sie irgendeine Zuflucht, einen großen Brocken, hinter dem sie in Deckung gehen konnte, um wenigstens nicht erschlagen und verschüttet zu werden. Aber weit und breit war da keiner.

Sie blickte verzweifelt nach links und rechts und tatsächlich lag etwa 80 Meter vor und halb links von ihrer Route ein geeigneter Kandidat.

Verdammt! Den werde ich nicht mehr schaffen, aber versuchen muss ich es!

Das Rumpeln im Rücken jagte ihr eine Heidenangst ein. Sie rief ihre letzten Energiereserven ab und legte noch mal an Tempo zu.

Noch fünfzehn Meter …

In ihren Augenwinkeln tauchten bedrohliche Schatten auf und ihren Kopf, Rücken und Arme trafen kleine, an den Kanten messerscharfe Geschosse.

Vier Meter.

Mit einem mächtigen Sprung hechtete sie genau in dem Moment hinter den Brocken, als die Lawine sie erreicht hatte. Trotzdem riss die Flut Bérénice die Beine herum und sie schlug hart mit dem gestreckten Körper in den Staub. Im Reflex zuckten ihre Hände nach oben, um ihren Kopf zu schützen, dann wurde es schlagartig stockfinster um sie herum. Das Krachen aneinanderschlagender Felsen und Steine klang wie das Trommelfeuer mittelalterlicher Kanonenkugeln. Jedes Mal, wenn ein kleinerer Brocken mit lautem Knall an ihrer Deckung zerbarst, versuchte sich Bérénice tiefer in den Boden zu ducken. Sie hielt natürlich Augen und Mund geschlossen, aber der feine Kohlenstaub drang ihr sofort durch die Nase in den Rachen und erzeugte den heftigsten Hustenanfall, den sie je in ihrem Leben erlitten hatte. Tränen schossen ihr aus den geschlossenen Lidern, die Augäpfel brannten höllisch, und wenn sie die Hände ans Gesicht gebracht hätte … sie hätte sich die Augen ausgekratzt. So jedoch schlug sie mit aufsteigender Panik wild um sich, um einen, wenn auch noch so kleinen Freiraum zu halten, aber es half nichts. Innerhalb einer Minute schob sich Kohlenmaterial in allen Varianten zu einem schwarzen Sargdeckel zusammen. Von einem Moment zum anderen war es ihr jedoch wieder möglich einzuatmen, und ihre Lungen sogen gierig die mit Ruß geschwängerte Luft ein. Sofort spürte sie erneuten Hustenreiz, doch bevor sie loslegen konnte, traf sie ein Hammerschlag an der linken Schulter. Ein hartes, hässliches Knacken, glühender Schmerz und jähe Todesangst kündeten von zerbrochenen Knochen, dann sank sie endgültig nieder.

Jetzt werde ich sterben, dachte sie und spuckte schwarzen Schleim. Schade …

Dann schwanden ihr die Sinne.

Odyssee

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