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Wie Phönix aus der Asche

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Taubheit.

Undefinierbare Geräusche.

Dunkelheit, durchzogen von vagen Schemen, die an ihren geschlossenen Lidern vorbeizogen.

Beklemmung, nein, völlige Unbeweglichkeit.

Das waren die ersten Wahrnehmungen, welche Bérénice Savoy durchfluteten, als sie sich mit quälender Langsamkeit vom Tode zurück ins Leben kämpfte. Ihr Kopf dröhnte, das Blut pochte kräftig durch ihre Adern und das Denken fiel ihr schwer. Ihr Versuch, den Mund zu öffnen, scheiterte kläglich. Irgendetwas steckte ihr im Mund, bis tief hinunter in ihrem Hals.

Ich atme …

Träge, wie dicker Schleim, zogen Gedankenfetzen durch ihren Schädel. Sie versuchte einen einzigen davon klar zu definieren, aber es gelang ihr nicht. Langsam, mit nervenzerfetzender Lahmarschigkeit, krochen Bildfragmente, Töne, Gefühle, sich drehend, windend, ja flüchtend durch ihren Kopf.

Ich lebe noch.

Bérénice hatte kein Zeitgefühl. Nichts um sie herum gab ihr nur den kleinsten Hinweis darauf, wie viel Zeit verstrichen war. Auf jeden Fall kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, ehe sie zu einem ersten vernunftbegabten, stummen Resümee fähig war.

Ich habe diese Scheißlawine überlebt. Und sofort danach: In meinem Mund steckt etwas, das mir das Atmen ermöglicht. Jemand hat mich gefunden!

Wieder schwirrten schattengleiche Fragmente, optische Eindrücke und nicht hörbare Laute durch ihren Geist und für eine Sekunde fiel sie in Panik. Dann fing sie sich wieder.

Es waren garantiert keine Sambolli, die hätten mir … die Givvianer!

So musste es sein. Der oder die Givvianer mussten sie gerettet haben, niemand anderes kam dafür infrage. Die letzte Sekunde vor ihrem Tod – ihrer Bewusstlosigkeit – drängte sich an die Oberfläche ihrer Verwirrung: der rettende Sprung hinter den Brocken, nicht ganz geglückt; aber sicher hatte sie damit ihren sofortigen Tod verhindert. Das Walzgeräusch der Lawine, die sich an ihrer Deckung wütend gebrochen hatte. Der Staub, der sie fast erstickt hätte. Der mörderische Schlag an ihrer Schulter …

Ich verspüre keinen Schmerz, dachte sie auf einmal völlig klar und prüfte ihre Fähigkeit, den einen oder anderen Muskel zu bewegen. Keine Chance. Man hat mir Medikamente verabreicht … givvianische! Und sie scheinen zu wirken.

Noch einmal rangen ihr träges Schwammhirn und ihr waches Bewusstsein um die Vorherrschaft in ihrem Kopf. Das Schwammhirn gewann …

Klappern, ein lang gezogenes Schleifen, helle Schlieren hinter den wie Zement auf ihren Augäpfeln liegenden Lidern. Bérénice schmeckte trotz geschwollener Zunge ihren Mundgeruch und hasste sich dafür, obwohl sie wusste, dass sie jetzt ganz andere Probleme hatte als den Mangel frischen Atems. Sie konnte die dicke Zunge rollen, ohne dass ein Schlauch sie behinderte. Fast fürchtete sie sich, ihren Mund zu öffnen und den Givvianer damit zu belästigen, den sie im Raum hantieren hörte. Der Gedanke weckte ihren Humor und sie erzeugte eine erbärmliche Mischung aus Husten und Lachen. Das leise Rappeln verstummte augenblicklich, dann näherten sich Schritte ihrer Liege oder dem Krankenbett, auf das man sie gebettet hatte.

»Ihr sseid eine ersstaunliche Sspeziess«, kam es leicht verzischelt aus unmittelbarer Nähe. »Ssie lachen, obwohl Ssie halb tot und bewegungssloss hier liegen.«

Die Stimme des Givvianers produzierte die typische Echsenvariante eines überraschend guten Standard-Terranisch. Bérénice fand es erstaunlich, dass ihr Gekrächze richtig als Lachen erkannt worden war.

Der Kerl ist gut … oder sie. Verwundert durchstöberte sie die lichter werdenden Nebel ihrer Erinnerungen, ob sie schon irgendwann auf einen Givvianer gestoßen war, der so perfekt Terranisch gesprochen hatte … und selbst undeutliche Laute korrekt hatte einordnen können. Ihr Respekt vor den kleinen Dinosauriern wuchs um mehrere Prozentpunkte. Bevor sie etwas sagen konnte, fühlte sie zaghafte Berührungen an ihren Lippen. Ein weicher Schlauch wurde dazwischengeschoben und langsam floss Flüssigkeit in ihren staubtrockenen Mund. Das Zeug war lauwarm, etwas dünner als warmer Honig und schmeckte nach gar nichts. Trotzdem sog sie gierig am Schlauch.

»Langssam … Ssie haben Zseit, viel Zseit.« Er ließ sie noch drei, vier lange Schlucke machen, dann zog sich der Lebensspender vorsichtig zurück.

Bérénice schmatzte und ihre Zunge schien ein wenig an Volumen verloren zu haben.

»Danke.« Sie war stolz darauf, das Wort einigermaßen klar hervorgebracht zu haben.

»Bitte ssehr … wir …« Der Givvianer schien zu überlegen. »Wir ssind Verbündete.«

Für mehrere Minuten wusste sie nicht, was sie darauf erwidern sollte.

»Ja.« Oh, selige Schwarz-Weiß-Ordnung. »Ja, das sind wir. Und Sie …« Ein leichter Hustenanfall würgte ihr den Satz ab. Die Fortsetzung klang wieder rau und brachte ihr wieder lauwarme Wohltat mit langen Schlucken ein. Nach dem letzten Schluck sagte sie: »Und Sie sind mein Freund.«

Jetzt war es an dem Givvianer, keine direkte Antwort zu finden.

»Danke, ess kommt vielleicht der Tag, an dem Ssie einem von unss ähnliche Fürssorge leissten werden …« Der Trooperin kam es so vor, als ob sie Traurigkeit heraushörte, aber sie konnte sich auch täuschen.

»Wenn ich jemals wieder dazu in der Lage sein sollte, dann gerne.« Mittlerweile bemühte sie sich, die Augen zu öffnen, aber das Zementgewicht stellte sich als geleeartige Masse heraus, die ihre Augenhöhlen völlig umschloss. Das Zeug musste transparent sein, denn immer hellere Schatten huschten dahinter herum, ohne dass sie aber dazu passende Geräusche hörte.

»Ich danke Ihnen. Mit ziemlicher Sicherheit haben Sie mir das Leben gerettet. Und wir Trooper vergessen so etwas nicht.« Ihre Stimme hatte beinahe wieder ihren alten Klang gefunden. Was auch immer der Givvianer ihr eingeflößt hatte, es tat seine Wirkung. Mehr aus Reflex versuchte sie eine Hand an den Kopf zu heben, um das Gallert von den Augen zu zupfen, aber nichts von ihrem Körper bewegte sich nur um einen Millimeter. Trotzdem hatte der Givvianer ihren Versuch bemerkt oder ahnte ihn zumindest.

»Ess isst Ihnen nicht möglich, ssich zsu bewegen. Noch nicht.« Er wartete auf eine Antwort, die aber ausblieb. »Wir kennen die mensschliche Anatomie sso gut, dass ich Ihnen ssagen kann, wass alless … besschädigt isst.« Bérénice lauschte dem Klang seiner Worte nach. Kein Mitleid, keine Traurigkeit, eher … Zuversicht. Hoffnung stieg aus ihren tiefsten Abgründen nach oben.

»Na, dann los«, forderte sie ihn auf und bedauerte dabei, ihm oder ihr nicht in die Reptilienaugen blicken zu können.

»Ihre linke Sschulter hatte mehrere großse Brüche, die wir geklebt haben. Beide Waden ssind zserfetzst gewessen und ess hat lange gedauert, all den Sstaub und die Ssplitter darauss zsu entfernen. Dass Rückgrat war an fünf, nein ssechs Wirbeln angebrochen, aber dass war ssehr einfach. Wass unss wirklich Ssorge bereitet hat, waren Ihre Lungen …« Wieder pausierte er, aber Bérénice hörte völlig gebannt zu. »Wir haben alleine eine Terra-Woche …«

»Eine ganze Woche?«, entfuhr es ihr. »Wie … wie lange bin ... wie lange liege ich denn schon hier?«

»Nicht ganzs drei Terra-Wochen.« Nun klang seine Stimme wirklich ungerührt. »Drei Wochen ssind weniger alss ewig tot.«

Na danke, das habe ich verdient. Er hat ja recht, ich sollte mehr als dankbar, ja überglücklich sein, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Blöde Kuh!

»Wir brauchten eine Woche, um beide Lungenflügel ausszsuwasschen. Carbon isst ssehr, ssehr feiness Material. Und jetzst ssind Ssie in einem Eissack, der Ssie ssolange sschützt, biss die Musskelrisse verheilt ssind.« Er hielt inne.

Er meinte mit Eissack die verzischelte Variante von Ei-Sack. Wahrscheinlich hatten die Givvianer ihre medizinischen Erholungsbehälter dem flexiblen Dottersack bei der Eiablage nachempfunden.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie stark jede Spezies an ihren Urinstinkten und Urbedürfnissen hängt.

»Was glauben Sie, wie lange wird es dauern …«

»Biss Ssie wieder aktiv werden können? Ich weißs ess nicht genau, aber mindesstenss noch mal einen Terra-Monat. Nicht früher.« Die letzten Worte trugen nun überdeutlich eine Bestimmtheit mit sich, welche keinen Widerspruch duldete.

»Na danke«, entfuhr es ihr.

»Bitte ssehr, ess isst unss klar, dass ess für Ssie unangenehm isst. Aber immer noch besser alss tot zsu ssein.« Die Stimme des Givvianers klang ruhig, und als von Bérénice keine Antwort mehr kam, weil sie in Schlaf gefallen war, erhob sich die Givvianerin – sie war tatsächlich ein weibliches Exemplar – aus ihrer gebückten Haltung und verließ leise die kleine Medi-Zelle.

Odyssee

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