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Mazzar Heimatsystem

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Mit ohrenbetäubendem Krachen schlug ein weiterer Raumtorpedo in die TSS EASTWOOD. Das Schlachtschiff der 15. Terranischen Kampfflotte schüttelte sich heftig – nun schon zum dritten Mal –, unter dem fürchterlichen Einschlag eines feindlichen Projektils. Die enorme Druckwelle der Detonation fegte wie ein heißes Schwert durch die Panzerung und schickte Tausende Trümmer als sirrende und pfeifende Schrapnelle durch die benachbarten Räume und Gänge des Schlachtschiffes. Mehr als ein Dutzend Techniker, fast fünfzig Mann Waffenbedienung und ein ganzes Hundert eines Enterkommandos wurden dabei auf der Stelle getötet. Jeder einzelne Torpedo riss ein Loch in die Panzerung, durch das bequem ein Landeshuttle gepasst hätte. Wolken kostbarer Atemluft zischten in die Schwärze des Alls, durchsetzt von unzähligen Bruchstücken und Dutzenden toten und verletzten Mannschaftsmitgliedern.

Zwar trugen alle den in einer Kampfsituation vorgeschriebenen Raumanzug, doch die meisten der rasch davontreibenden Männer und Frauen waren durch die Explosionswirkung schon tot, bevor sie ins All gerissen wurden. Einige wenige Verletzte – und noch weniger Unverletzte – wurden fast augenblicklich das Opfer der wild durcheinander zuckenden Laserstrahlen der Feindschiffe, die für den Einsatz dieser Waffenart nahe genug waren. Entgegen früheren Vorstellungen waren Laserwaffen im All recht unergiebig. Ihr Wirkungsgrad nahm in umgekehrter Proportion ab, je größer die Entfernung zum Ziel war. Schon auf 50 km Distanz kam auch von den leistungsstärksten Lasern nur noch ein Hitzestrahl am Ziel an, mit dem man gerade noch eine Kanne Kaffee hätte kochen können. Doch dieses unerträglich nahe, wie ein flackerndes Gitternetz dicht gewebte Gespinst feindlicher und eigener Strahlenwaffen, gab jedem, der den Schutz der Schiffspanzerung verließ, kaum eine Chance zu überleben. Nicht bei dieser starken Konzentration so vieler Schiffe auf so eng begrenztem Raum.

Jeder Raumanzug besaß selbstverständlich eine Freund-Feind-Kennung und die eigenen Laser-Abwehrsysteme würden selbstredend kein eigenes Mannschaftsmitglied unter Feuer nehmen. Normalerweise. Doch die Mazzar warteten bei dieser Schlacht mit einem neuen und vor allem völlig unerwarteten Fortschritt auf, welche die FF-Kennung nutzlos machte. Sie stießen dichte Trauben von winzigen Störbojen aus, die verblüffend den terranischen Modellen ähnelten. Mit irrwitzigen Geschwindigkeiten und noch verrückteren Flugrouten jagten sie mitten durch die kämpfenden Schiffe. Sie ignorierten dabei feindliche Projektile oder Laserstrahlen. Denn dazu waren sie schlicht nicht in der Lage. Ihre terranischen Pendants hätten dies gekonnt und wären dem Feindbeschuss ausgewichen. Doch die kleineren Modelle der Mazzar waren für Schnelligkeit und Effektivität konzipiert. Und als billiges Massenprodukt. Konkret hieß dies, dass eine Mazzar-Störboje nicht größer war als ein irdischer Fußball. Die Bojen wurden zu Dutzenden, ja zu Hunderten gerammt, getroffen, kollidierten mit sich selbst oder sogar an eigenen Schiffen. Doch dies machten sie locker durch ihre unglaubliche Stückzahl wett. Die Mazzar hatten es schon immer verstanden, in großen Dimensionen zu denken. Vielleicht lag dies schlicht und ergreifend an ihrer eigenen riesigen Zahl und ebensolchen Verbreitung im All.

Die schreckliche Folge der Bojen war, dass sich die Menschen eine Suche nach Überlebenden sparen konnten. Es gab schlicht keine. Die sich mehrfach überlappenden Störwellen verwirrten die Freund-Feind-Kennung und etwa 10 % der von Lasern zerschnittenen Körper starben durch Friendly Fire. Doch niemand an Bord des Terra-Spaceship EASTWOOD hatte eine Möglichkeit, dies jetzt festzustellen oder die Mann-über-Bord-Displays zu beobachten. Und die Besatzungen der restlichen Schiffe der 15. Terranischen Kampfflotte ebenfalls nicht. Alle noch existierenden Einheiten hatten alle Hände voll damit zu tun, ihr eigenes Überleben zu ermöglichen. Egal ob noch im Kampf befindlich, abdrehend oder die erschreckend steigende Zahl der Rauch, Trümmer und Menschen ausspeienden und brennenden Schiffe. Jedes noch aktive Besatzungsmitglied war darum bemüht, alles zu tun, um sich den anrückenden Feind vom Hals zu halten. Kein Mensch dachte auch nur noch daran anzugreifen.

Captain Titus van der Moiren, seines Zeichens Commander der TSS EASTWOOD, hatte es beim Einschlag des dritten Torpedos von den Füßen gerissen. Das war sein Glück gewesen, denn auf die Hauptexplosion des Torpedos folgten die internen Folge-Detonationen getroffener Energiespeicher, Waffenpulks und Schildaggregate. Das war ein Volltreffer gewesen. Was dieser dritte Torpedo angerichtet hatte, sah er unmittelbar um sich herum. Fast die Hälfte der Brückenbesatzung lag gefallen am Boden, wobei gefallen eine mehr als lahme Beschreibung dessen bot, was seinen entsetzten Augen zugemutet wurde. Sein Erster Offizier lag in drei Teilen auf dem blutverschmierten Deck, die einzelnen Körperfragmente mit extrem glatten Schnitten auseinandergesäbelt; das Ergebnis einer durchgedrungenen Laserlanze der Mazzar. Der Signalgast, drei Waffenoffiziere und die komplette Planungsgruppe lagen mit eingeschlagenen Helmvisieren in einer zu regelmäßigen Reihe, teils in, teils neben ihren Andrucksesseln.

Da rächt sich die schnurgerade Bauweise der Brückenpulte.

Mit jäh aufflammendem Zorn sah Captain van der Moiren seine Vorbehalte gegen diese Bauweise auf das Grausamste bestätigt. Ein Projektil flog im All immer schnurgerade, es gab im Weltraum außer für steuerbare Waffen keine ballistischen Kurven! Sollte er überleben, würde er den Schiffsplanern die Hölle heiß machen. Die gleiche Hölle, die er hier erlitt.

Vor den Schotts der drei Zentral-Lifte hatten sich ebenso viele hässliche Haufen ineinander verdrehter Körper zusammengeschoben. Die Druckwelle hatte jeden, der nicht angeschnallt war, wie ein Geschoss durch den Brückenraum katapultiert und dabei weitere Soldaten mit sich gerissen. Doch leider war es unvermeidlich, während eines Gefechtes ausgefallene Besatzungsmitglieder aus ihren Sesseln zu heben und mit den Ersatzleuten weiter zu kämpfen. So ein Wechsel war immer eine gefährliche Sache. Ausreichend Sitzplätze mit den entsprechenden Pulten auch für die Ersatzmannschaft unterzubringen, war schlicht ein Platzproblem und nur bei den wirklich großen Kampfschiffen möglich.

Van der Moiren versuchte aufzustehen, glitt aber auf einer Lache durch die Kälte des Weltraums gefrorenen Blutes aus und knallte der Länge nach auf den Boden. Mühsam stemmte er sich nach oben und torkelte auf das nächste Battle-Scene-Display zu. Er nahm dabei nur unbewusst das rasche Abflauen des Atmosphärensturms wahr, der die Reste der Brückenluft nach außen riss und für eine gespenstische Stille sorgte. Ohne die Atemluft als übertragendes Medium konnte man jetzt nur noch dumpfe Vibrationen und über Schiffsmaterialien getragene Geräusche wahrnehmen. Kadetten verfielen in solchen Situationen oft dem Irrglauben, dass der Kampf an Heftigkeit abflaute. Doch dem war nicht so. Nicht heute. Andere Mannschaftsmitglieder standen ebenfalls auf, nur wenige waren noch – lebend – in ihren Andrucksesseln angeschnallt. Während Captain Titus van der Moiren versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen, registrierte er über seinen Helmfunk die Rufe und Meldungen seiner Restmannschaft.

»Antriebe 3 und 5 ausgefallen; 1 höchstens Halblast, 2 und 4 okay.«

»Unser Vorrat an Lenkwaffen ist völlig aufgebraucht, wir haben nur noch die Backbordwerfer und etwa ein Drittel der Laser-Nahverteidigung.«

»Haupt-Funkanlage ausgefallen, redundantes System einsatzbereit und fährt hoch …«

»Reparaturtrupp für Brücke ist unterwegs. Die Schäden …«

Sehe ich selbst, dachte van der Moiren. Weitere Meldungen trafen ein, aber das Wesentliche war gesagt. Er fasste einen Entschluss und tippte auf den All-Stations-Button seiner Funkanlage im Kommandopult.

»Hier ist der Captain«, rief er in sein Helm-Mikro, dessen Signale automatisch auf das Pult übertragen wurden. »Wir haben keine Chance mehr unseren Angriff fortzusetzen …«, sagte er und dachte dabei, wie leer das klang. »Nach unseren Daten steht so ziemlich fest, dass die Flotte nicht nach Mazzar wird durchdringen können.« Die Untertreibung des Jahrhunderts! Er machte einen Seitenblick zum Ersatz des Signalgasts und bekam von der Frau, die noch einmal die Anzeigen geprüft hatte, ein niedergeschlagenes Kopfschütteln zur Antwort.

»Nachdem momentan keine Verbindung zum Flaggschiff besteht und sich auch kein ranghöherer Offizier gemeldet hat, übernehme ich zeitweilig das Kommando: Wir werden den Rückzug antreten.«

Erleichterung machte sich breit.

Der Kommandant trat selbst an die Zweit-Funkanlage und gab den Code All-Ships ein: »Hier spricht Captain Titus van der Moiren von der TSS EASTWOOD. An alle terranischen Schiffe: Wir ziehen uns zurück. Jegliche Kampftätigkeit ist einzustellen. Verlieren Sie keine Zeit, um sich zu sammeln, sondern starten Sie sofort nach Ende dieser Nachricht. Bitte beachten Sie das Protokoll SAR, soweit es Ihnen möglich ist, ohne weitere Verluste zu provozieren. Treffpunkt Omega-12, ich wiederhole: Treffpunkt Omega-12. Dieser Befehl gilt unmittelbar, außer er wird von einem ranghöheren Offizier in den nächsten …«, er blickte kurz auf sein Chronometer, »… acht Minuten aufgehoben. Die Nachricht wird bis zum Eintritt in den Ultraraum permanent wiederholt. Gott mit Ihnen allen. Van der Moiren Ende.«

Acht Minuten war der Zeitraum, den jedes Schiff mit funktionstüchtigem Ultraantrieb brauchte, um die Energiemenge aufzubauen, welche ein Rettungssprung minimal benötigte. Die dabei zurückgelegte Distanz war zwar gering, brachte aber jedes dazu fähige Schiff aus der Kampfzone. Die Sprungautomatik sorgte dafür, dass beim Wiedereintritt in den Normalraum kein größerer Körper – etwa Monde, Planeten oder gar Sonnen – in der Nähe war. Allerdings war das System nicht in der Lage, kleinere Objekte im All wie Kometen und Asteroiden wahrzunehmen. Ein gewisses Restrisiko blieb also. Für Schiffe mit funktionstüchtigem Prallschirm war es ein vernachlässigbares Risiko, für Schiffe ohne Prallschirm sehr wohl.

»Ortung, gibt es SAR-Signale in unserem Aktionsradius?« Er wusste, dass seine Frage nach diesem Gemetzel rein rhetorischer Natur war.

Ein junger Mann mit notdürftig abgedichtetem Raumanzug drehte sich ihm zu, sodass der Captain ihm in die Augen sehen konnte.

»Sir, leider nein. Ich suche schon danach, seitdem ich …«, er schluckte, »diese Station übernommen habe.« Fähnrich Eugene Willard, kam dem Kommandanten der Name des Mannes in den Sinn. Der Fähnrich vermied es, auf den Boden zu seinen Füßen zu blicken. Dort lag der Cheffunker mit zerrissenem Anzug und herausquellendem Fleisch in einer dunkelroten Pfütze.

»Danke, Fähnrich Willard.« Van der Moiren drehte sich um. »Alle Energie auf die Sprungaggregate! Springen bei Erreichen Energielevel!«

Während er zurücktrat und dem weiblichen Ersatzoffizier das Funkpult überließ, beobachtete er die disziplinierte Arbeit der arg geschrumpften Brückenmannschaft.

Das ging ja völlig in die Hose. Wie hatte die Flottenführung nur glauben können, wir würden die Mazzar in ihrem eigenen Heimatsystem schlagen können? Es war doch klar, dass sie ihre Guerilla-Taktik hier nicht praktizieren würden. DAS IST IHRE HEIMAT! Und die wussten sie zu verteidigen. Mehr noch: Sie haben uns geschlagen. Und wie!

Seine Hand fuhr nach oben. Doch anstatt sich am Kinn zu kratzen, was er immer tat, wenn er sein Gehirn mit neuen Aufgaben fütterte, stieß seine behandschuhte Rechte nur an den unteren Rand des Anzughelms. Er ließ den Arm wieder sinken und blickte auf die Anzeigetafel, auf der eine frustrierend kleine Menge an Freund-Signalen aus dem Sektor schoss. Der Kommandant brummelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Die Funkerin hob ihren Kopf.

»Sir?«

Ohne sie anzublicken, sprach Captain Titus van der Moiren leise – mehr zu sich selbst – nur wenige Worte. Seine Stimme war eine Mischung aus Wut, Frustration und … Verschlagenheit.

»Wir müssen uns etwas Neues einfallen lassen …«

Odyssee

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