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Die Fähre der Jäger

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Sie war jetzt den dritten Tag an Bord der Sambollifähre und hatte in dieser Zeit ausgiebig geschlafen, die Wandschränke geplündert und sich mit dem Bordcomputer angefreundet. Sie hatte sich gewaschen, brauchbare Nahrungsvorräte gefunden und sich aus leichter samboll´scher Bordkleidung eine Art Montur genäht. Nun, Nähen war nicht das richtige Wort, aber das Endergebnis sah doch recht bequem und praktisch aus. Ausnahmsweise dankte sie diesmal nicht Dr. Muramasa, sondern ihrem Militärinstruktor, der sie und ihre Kameraden zwei Wochen lang unnachgiebig die per Tiefenhypnose verabreichten Informationen der Compri-Schulung aufdröseln und wiedergeben ließ. Bérénice wunderte sich, dass trotz aller Spionage so einfache Dinge wie der Quader-Codegeber einer kriegsunwichtigen Personenfähre nicht Inhalt des vermittelten Wissens war. Vielleicht sollte sie der Spionageabteilung den Tipp geben, jegliche Information zu sammeln, und nicht nur Daten zu Waffen, Kriegsschiffen und Truppenbewegungen. Eigentlich hätte sie das als eine Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Nun, sie konnte sich irren. Vielleicht hatte ja auch nur irgendein Bürokrat entschieden, welche Informationen Teil ihrer Compri-Schulung geworden waren und welche nicht. Sie seufzte und biss in eine Gemüsestange, die nach einer Mischung aus Rhabarber und Beeren schmeckte.

Sie hatte erst gestern gewagt, den Antrieb kurz einzuschalten und die Statusdaten am Display mit den Daten einer Standardprozedur im Bordmenü abzugleichen. Die Fähre war voll funktionstüchtig, leider völlig unbewaffnet. Sie hatte im Navigationscomputer eine ganze Reihe an fest installierten Flugrouten gefunden, darüber hinaus ein Verzeichnis individuell eingegebener Ziele, darunter als Letztes ihre jetzige Position. Im Verzeichnis der zugelassenen Piloten und Passagiere standen rund dreihundertfünfzig samboll´sche Namen, die ihr natürlich alle nichts sagten. Aber allein die große Zahl zugelassener Piloten bedeutete, dass dieses Fahrzeug nicht einer kleinen Einheit oder gar einem Individuum zugeordnet werden konnte, sondern wohl als allgemeines Transportmittel vielen zur Verfügung stand. Die detailverliebten Sambolli hatten freundlicherweise zu den Namen auch deren Funktion und Heimat- beziehungsweise Einsatzorte notiert. Die letzten drei Einträge verrieten Bérénice, dass ihre Sambolli-Jäger eine Gruppe Ortungstechniker auf Urlaub waren. Nach den Datumsanzeigen zu schließen – die sie in irdische Angaben umrechnen konnte –, hatten die Jäger noch zwei weitere Tage frei. Dann mussten sie ihren Posten wieder antreten.

Das bedeutet, dass ich spätestens dann von hier verschwunden sein muss, grübelte sie und ließ den Kopf auf die Nackenstütze sinken. Wenn ich mit der Fähre woanders hinfliege, als zu deren Dienstort, wird dann jemand Alarm schlagen und nach der Fähre suchen? Sie warf einen Blick auf das Flugroutenverzeichnis und verglich die Positionsangaben. Der nächste Einsatzort der drei Techniker wäre ein Ortungssatellit gewesen. Er ist geostationär und recht klein, also könnte es sich um einen unbemannten Satelliten handeln …

Sie ging im Bordcomputer ein paar Datenlevel zurück und startete eine neue Suche. Nach etwa einer Stunde fand sie, was sie gehofft hatte zu finden. Fein säuberlich stand dort aufgeführt, welchen Auftrag die drei Sambolli-Freizeitjäger – im Dienstleben Ortungs- und Wartungsspezialisten – auf dem Satelliten durchzuführen hatten. Mehrere verschlissene Module sollten ersetzt, ein zusätzliches eingebaut und alles mehrfach auf korrekte Erledigung und Funktionstüchtigkeit gecheckt werden. Sogar die Dauer der dafür eingeräumten Zeit stand daneben; knapp ein halber Samboll-Tag. Danach sah der Dienstplan vor, eine der zivilen Orbitalplattformen aufzusuchen, die etliche Fehlfunktionen ihrer Ortungsgeräte gemeldet hatten.

Bérénice Savoy hatte natürlich keine Ahnung von samboll´scher Ortungstechnik und ihren kurzen Gedanken, selbst diese Reparaturen abzuarbeiten, verwarf sie in derselben Sekunde. Es wäre schön gewesen, wenn sie es gekonnt hätte. Der Zeitvorsprung, den ihr das verschafft hätte, wäre vorteilhaft gewesen, aber man kann nicht alles haben. Ohnehin hätte sie alleine die Arbeit von drei Technikern nicht schaffen können; also da war nichts zu machen …

Allerdings wird eine Systemüberwachung jeglichen Schiffsverkehr beobachten, überlegte sie weiter. Wenn ich nun den Satelliten trotzdem anfliege, dort faul rumhänge und dann …

Bérénice war stolz auf sich. Sie hatte sich die verbliebenen zwei Urlaubstage einen Plan zurechtgelegt, den Navigationscomputer dreimal kontrolliert – ich benehme mich schon wie eine Sambolli-Frau! – und sich erneut ihrer Nähkünste bedient. Danach hatte sie die Fähre gestartet. Nun war sie auf dem einprogrammierten Weg zum Ortungssatelliten. In weniger als einer Viertelstunde würde sie dort andocken. Sie saß auf dem Pilotensitz und beobachtete die Anzeigen, die ruhig blinkend den Verlauf ihres Fluges kommentierten. Ihre größte Angst war ein Anruf eines Wachschiffes, einer orbitalen Kampfplattform oder einer planetaren Einrichtung, die von ihr irgendwelche Sicherheitscodes verlangten. Sie hatte den Bordcomputer in jeder Minute durchsucht, welche ihr die Vorbereitungen gelassen hatten und nichts gefunden. Entweder waren die Ortungstechniker so militärisch uninteressant wie nur sonst etwas, die Sambolli-Kommandanten ähnlich arrogant wie ihre irdischen Kollegen oder der Raumüberwachung genügte das automatische Erkennungssignal, das die Fähre unentwegt von sich gab. Vielleicht war dies auch die Erklärung dafür, warum niemand sie aufforderte, sich zu identifizieren.

Als aus der Schwärze des Alls die Positionslichter des Ortungssatelliten auftauchten, konnte Bérénice ihre Aufregung nicht mehr zügeln und rutschte auf ihrem Sitz hin und her. Sie nestelte nervös an ihrem jüngsten Werk herum: ein Raumanzug samboll´scher Fertigung, äußerst mühsam für sie zurechtgestutzt. Ihr größtes Problem waren dabei das lange Halsstück und die Wespentaille gewesen. Sie musste die Anzahl der äußeren Stützringe reduzieren, um überhaupt eine Chance zu haben, ihren Kopf in den viel zu großen Helm stecken zu können. Mit den Arm- und Beinteilen hatte sie kein Problem gehabt, da war nur wenig Arbeit zu leisten gewesen, im Wesentlichen hatte sie diese Teile nur gerafft, was dem Anzug ein wenig elegantes, aber dafür unbeschädigtes Äußeres verlieh. Gottlob war sie als Frau haitianischer Herkunft ohnehin athletisch gebaut, ihr Troopertraining verlieh ihr eine schlanke Taille. Sie würde sich dennoch nur kleinste Mahlzeiten und vorsichtige Bewegungen erlauben können, solange sie den Anzug mit seiner Wespentaille trug. Sollte sie sich anstrengen müssen und dabei tiefe Atembewegungen erzeugen, konnte es gut sein, dass es ihr die Luft abschnürte und sie bewusstlos werden würde. Also immer schön ruhig, Mädchen.

Sie nahm sich zusammen, als die Andockautomatik einen Sambolli-Countdown herunterrasselte und die Andockvorrichtung mit einem dumpfen Plumps den Vollzug des Manövers kundtat. Das Display zeigte ebenfalls beruhigende Werte. Zu ihrer Freude gab der Bordcomputer in Samboll bekannt, dass die Besatzung nun den Satelliten betreten könne und ein atembarer Druck aufgebaut sei.

Bérénice hatte während des Anflugs allein an den Ausmaßen des Satelliten erkannt, dass er groß genug und es somit sinnvoll war, durch Schotts geschützte Räume und Gänge mit einer Sauerstoffatmosphäre aufzubauen. Er war aber dann doch zu klein und die Aufgabe zu automatisiert, als dass dies eine ständige Besatzung gerechtfertigt hätte. Als sie nun die kleine Schleuse verließ, bestätigte sich ihre Vermutung. Der dahinter liegende Gang war ähnlich schmal wie der in ihrer Personenfähre. Es gab keine Zentrale oder Mannschaftsräume, sondern nur eine winzige Rettungseinheit, die hauptsächlich mit Notproviant, komprimiertem Sauerstoff in einem quaderförmigen Druckbehälter und einem starken Funkgerät ausgestattet war. Entgegen Raumschiffen aller Art, welche an der Außenhaut – als Teil der ohnehin benötigten Panzerung – einen Strahlenschutzmantel besaßen, besaß nur die Rettungseinheit einen solchen Mantel. Die äußere Hülle des Satelliten war ungeschützt. Also würde sie den halben Tag entweder dort verbringen, oder wieder in die Fähre gehen.

Gründlich, und vorsichtig wie sie als Trooperin nun mal war, durchsuchte sie alle möglichen Winkel, Nischen und Wandfächer nach Brauchbarem. Ihr spukte nämlich schon seit einiger Zeit die Frage durch den Kopf, wie sie sich auf der zivilen Orbitalplattform einschmuggeln und bewegen sollte. Ein geschlossener Sambolli-Raumanzug mit seltsamen Veränderungen würde sicher auffallen, ihre selbst genähte Bordmontur ebenso, in der sie zusätzlich natürlich als Mensch erkennbar war. Wenn sie dann dabei noch ihr Katana und den Stachler mit sich schleppen würde, könnte sie auch gleich die Stationssicherheit anrufen. Also würde sie die Waffen hier im Satelliten lassen, auch wenn ihr das nicht schmeckte. Sollte sie auf der Station gefasst werden, konnte sie sich irgendeine Lügengeschichte ausdenken, wie sie denn dort hingekommen war. Der Stachler würde sie aber als Mörderin der drei Jäger entlarven, auch wenn sie nicht alle getötet hatte. Bérénice seufzte und schloss das letzte Wandfach.

Als sie wieder zurück in der Fähre war, betrachtete sie ihre spärliche Ausbeute: zwei kleine Sauerstoffquader mit enormem Druck, ergo einem erstaunlichen Vorrat an Leben. Einige Packungen Getränke, die sie nicht kannte, die aber im Geschmack überraschend isotonischen Flüssigkeiten von der Erde ähnelten. Und ein Allzweckmesser, das zu klein war, um als nennenswerte Waffe dienen zu können. Aber auch damit konnte man einem Feind den Raumanzug aufschlitzen oder Verbindungsschläuche kappen. Auf den Notproviant hatte sie verzichtet, denn erstens sah er genauso übel aus wie menschliche Pendants und zweitens waren die Vorräte der Fähre ausreichend für mehrere Wochen. Sie blickte auf die Uhr und stellte fest, dass sie noch über vier Stunden Zeit hatte.

»Also nehme ich eine Mütze voll Schlaf«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, das ihr von einem hochpolierten Wandschrank entgegenblickte. Sie stellte an ihrer Uhr eine Weckzeit ein und legte sich in eines der langen Betten des Mannschaftsraumes. Sie schlief fast sofort ein.

Odyssee

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