Читать книгу Déjà vu eines Versagers - Werner Koschan - Страница 12
7.
ОглавлениеSonja wusch die Salatblätter. »Hast du eine Salatschleuder?«
»Eine was?«
»Oh Mann. Um die Blätter trocken zu kriegen.«
Stimmt, Salatschleuder, erinnerte ich mich, hatte Holger ebenfalls gehabt. Auch völlig vergessen. Was habe ich eigentlich nicht vergessen? Wenn ich den ganzen Salm noch mal durchleben müsste, würde ich mir aber viel mehr merken, am besten alles aufschreiben. In Gedanken schüttelte ich den Kopf.
»Na, dann gib mir mal ein sauberes Geschirrtuch. Falls du so was hast.«
»Na hör mal. Bitte, hier.«
Sie legte die tropfnassen Blätter ins Tuch, fasste die vier Enden und schleuderte das Säckchen in der Küche, dass das Wasser an die Wände spritzte.
»Mach du das mal. Das muss furztrocken sein.«
Während ich nun schleuderte, schnitt Sonja die Zutaten für den Salat.
»Berichte weiter von Holger. Er lehnte sich an den Stromkasten und lächelte, hast du erzählt.«
»Nein, gelacht hat er. Weil ich meinen Zahnarzt zitierte. Dann sind wir in Richtung Restaurant gegangen und schienen die ersten Gäste des Abends zu sein. Kein Tisch war besetzt. Ein junger Kellner in engen Jeans und dünnem Hemd trat an den Tisch, an dem wir Platz genommen hatten. Die Gesichtszüge des Burschen wirkten leicht aristokratisch. Seine filigrane, getönte Brille vermittelte den Eindruck eines stechenden Insekts. Mit manikürten, feingliedrigen Händen reichte er uns die Speise- und Getränkekarten.
Von einem Moment zum anderen veränderte sich das feminine Gehabe des Kellners in stocksteife Abneigung. Holgers Zustand hatte er, anscheinend aus Erfahrung, analysiert. Ohne ein Wort an uns zu verschwenden, verschwand der strumpflose Adonis in leichten schokocremebeigen Italoslippern.
Holger schürzte die Lippen und hob die Augenbrauen. ›Siehst du, deshalb wollte ich bisher nicht raus. Dass es so abläuft, habe ich geahnt. Gewusst. Natürlich kann man nicht ablehnen, uns zu bedienen. Das verstößt gegen geltendes Gesetz. Es könnte allerdings passieren, dass man von uns einen Nachweis verlangt, ob wir die Zeche überhaupt werden bezahlen können. Und eine Kreditkarte wird man von mir nicht akzeptieren. Ich könnte ja während des Speisens am Tisch zur Hölle fahren, und was dann? Wäre doch ein viel zu großes Risiko ... na ja, egal.‹
›Sollen wir denn bleiben?‹
Holger lehnte sich zurück. ›Selbstverständlich.‹ Er grinste. ›Schon allein aus dem Grund, weil ich mir sonst meine Vorstellung abschminken könnte.‹
›Vorstellung?‹
›Na klar. Was glaubst du, was die Herren machen werden, wenn wir beide hier verschwunden sind?‹
›Den Tisch neu eindecken, denke ich.‹
›Richtig. Und ich versichere dir, dass man sämtliches von uns benutztes Geschirr, Besteck und sogar die Gläser möglichst weit wegschmeißen wird, sobald wir bloß um die Ecke sind. Ich habe gewusst, dass um diese Zeit nicht viel los sein wird. Die meisten Gäste kommen erst später her. Und weil alle Tische unbesetzt sind, kann niemand behaupten, wir würden andere, gesunde Gäste, vergraulen. Habe ich mir alles vorher so ausgemalt.‹
›Wenn du die Leute, und dieses Restaurant nicht leiden kannst, warum sind wir dann hergekommen? Du hast gesagt, es sei dein Lieblingslokal gewesen. Da begreife ich ein paar Dinge nicht.‹
Holger lachte. ›Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Der Laden war einfach in! Wenn man in der Szene etwas auf sich hielt, musste man herkommen. Ob der Salat nun etwas taugt oder die Pizza oder sonst was, war völlig egal. Wir kannten uns untereinander und den Koch auch, Larifari. Wenn ich zum Beispiel mit zwei Freunden hier fünfhundert Mark auf den Kopf gehauen habe, bedeutete das nichts weiter, als dass ich gut bei Kasse war. Ob der Kellner uns nun Champagner oder Gurkenwasser mit Selters hingestellt hat – wurscht, völlig wurscht. Wir wurden gesehen und haben gesehen. Und jeder hat ganz genau gewusst, was wir nachher treiben würden, und nur das zählte. Das ist wie Werbung. So tun als ob, dabei sein, das bringt Frische ins Gemüt. Und wenn diese Eigenwerbung passt, liegt in der nächsten Nacht der Süße vom Nebentisch in deinem Bett. Jetzt, ja jetzt kennt mich in diesem Lokal kein Arsch mehr, will mich nie gekannt haben. Zugegeben, früher habe ich selbst so empfunden, ich wollte es damals nur nicht wahrhaben. So etwas passiert allenfalls den anderen. Ich habe in den vergangenen Wochen intensiv darüber nachgedacht und jetzt verstehe ich so manchen, der vermutlich aus ähnlichen Gründen ein letztes Mal hergekommen ist, als es mit ihm so weit war wie heute mit mir. Heute bin ich halbwegs fit und genieße die Situation. Und weil du mit mir hier bist, liebe ich dich noch mehr.‹
Holger unterbrach den Redefluss, denn eine kräftig gebaute Frau trat zu uns an den Tisch, drei Glas Prosecco standen auf dem Tablett, das sie trug. Mit müdem Blick betrachtete sie erst Holger, dann mich und wieder Holger. Wir schwiegen lange.
›Holger Lenz‹, sagte sie leise. Tastete ihn mit Blicken förmlich ab. ›Immer noch die Kraft der zwei Lebern?‹ Sie analysierte Holger beinahe. ›Du siehst beschissen aus.‹
Holger brachte ein für mich unbegreiflich erscheinendes Lächeln zustande. ›So fühle ich mich auch. Freut mich, dich zu sehen. Seit wann arbeitest du wieder in diesem Nobelschuppen? Hast du nicht früher edles Drecksloch dazu gesagt?‹
›Ja, früher. Seit knapp einem Monat bin ich in diesem Laden. Die andere Sache hat nicht funktioniert. Und als ich pleite war, wollte mich niemand einstellen, wegen Lohnpfändung und so. War ziemlich froh, dass durch Beziehungen hier noch Platz für mich war. Ich bin unter dem Namen meiner Cousine angemeldet. Die ist verschütt gegangen, Koks und H, weißt du. Hier schert sich niemand um meinen Pass oder ob ich Dreck am Stecken habe.‹
Holger hob die Augenbrauen. ›Der Dreck, den ich am Stecken habe, kümmert die Leute stattdessen, was?‹
Sie servierte die Gläser und nahm am Tisch Platz. ›Ich hatte gehofft, dass es dich vielleicht nicht erwischen würde. Schade. Ja, du hast recht, deine Scheiße schreckt die Leute ab.‹ Sie wies mit dem Kinn zu mir. ›Musst du denn unbedingt kleine Jungs ...‹
Holger schmunzelte. ›Achim, darf ich dir Marion vorstellen. Marion, das ist der Dingenskirchen.‹
Sie lehnte sich zurück, taxierte mich. ›Der da?‹
›Genau.‹
›Ich hatte geglaubt, dein so genannter Dingenskirchen wäre bloß eine Erfindung gewesen. Du hast doch immer erzählt, dass er unbedingt eine schützende Hand benötigt. Ich hatte allerdings insgeheim befürchtet, dass er für dich vielleicht ... dass du für ihn ... aber so bescheuert schaut er eigentlich gar nicht aus.‹
Mir wurde warm und ich verstand nichts. Holger blickte in die Wolken. ›Ich habe nie behauptet, dass Achim bescheuert ist, ich habe gesagt, dass er ... dass er ... also, dass er einfach nicht das tut, was für ihn am besten wäre. Dieser Einfaltspinsel glaubt, er müsste tun, was andere von ihm verlangen. Daran wird er irgendwann zugrunde gehen.‹
Mir wurde noch wärmer.
›Meinst du wirklich, dass du tun musst, was andere sagen?‹, fragte Marion.
›Was soll ich tun? Wenn ich über mein bisheriges Leben eine Biografie schreiben könnte, würdet ihr annehmen, das wäre ein Knastroman. Bloß, dass es im Knast vermutlich lustiger zugehen wird, als bei mir im Leben – nehme ich zumindest irgendwie an.‹
Holger griff nach einem der Gläser mit Prosecco. ›Dieser junge Mann hat sich sogar freiwillig zum Militär gemeldet. Ich sag es ja, gewissermaßen ein Idiot. Man will es nicht glauben.‹ Er hustete vor Aufregung.
Marion ergriff ebenfalls ein Glas. ›Vielleicht will Achim nur ein Mann werden. Es stimmt schon, ein Mensch wird geboren, schuftet und verreckt. Macht endlich Platz für die nächsten, die zur Welt kommen. Wo bleibt da der Mann? Mit Mann meine ich nicht irgendeinen Wichtigtuer, der einem mit einer Pistole vorm Gesicht rumzappelt. Ist mir nämlich passiert. Ich habe geschielt wie nie, und mir alles Weitere ganz fürchterlich ausgemalt. Der Typ glaubte, die Knarre würde ihn zum Mann machen, er war trotzdem keiner. Und vielleicht denkt dein Dingenskirchen, dass er unter Männern zum Mann werden wird. Vergiss es, Kleiner. Dort wirst du nur lernen, auf Befehl zu reagieren, aber das liegt uns Deutschen seit Jahrhunderten im stolzen Blut. Selbst zu entscheiden, das ist eine andere Sache. Mal unter uns Schwestern, nur eine Frau kann einen Mann aus einem Jungen machen. Soldaten, Strammstehen und Gehorsam hat garantiert jemand erfunden, der tierisch Angst vor Frauen gehabt haben muss – vor der Mutti vermutlich ganz besonders.‹
›Ich weiß nicht, wo du deine Ansicht her hast, Marion, ich will nur weg. Mein Leben ist die Hölle, und schlimmer kann es in einer Kaserne gar nicht sein.‹
Marions Augen begannen zu leuchten. ›Mein Traum! Eine Kaserne voller ausgehungerter, junger, kräftiger Männer. Und ich die einzige Frau unter ihnen, im wahrsten Sinne des Wortes. Traumhaft.‹
›Na Mahlzeit!‹ Holger lachte und schaute mich an. ›Marion meint das wirklich so, Achim. Musst sie mal ausprobieren, man sagt ...‹ Er zuckte mit den Schultern.
Tja, Sonja, das war Holgers letzter Auftritt in der Öffentlichkeit.«