Читать книгу Déjà vu eines Versagers - Werner Koschan - Страница 18

13.

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Natürlich war sie keine Hexe, aber sie verhexte mich durch ihr gefährlich interessantes Fluidum. Als ich erwachte, spürte ich ihren Kopf an meiner Schulter und atmete lange aus. Meine Träume enden meist abrupt und quälend, darum schlief ich am liebsten allein. Bisher fühlte ich mich immer froh entspannt, wenn die Lady der Nacht vor dem folgenden Morgen wieder verschwand.

Diesmal hätte es mir wehgetan. Dich hätte ich vor Jahren treffen sollen, dachte ich, dann wäre mir so manches erspart geblieben – und anderen auch.

Sie erwachte und sah sich um. »Ist mein Kaffee fertig?«

»Wieso?«

»Weil du mir heute Nacht so manches versprochen hast, unter anderem, dass du Kaffee kochen würdest, wenn ich bei dir liegen bleibe.«

»Aber ...«

»Ach so«, sagte sie und rollte von meinem Arm.

Ich kochte nicht nur Kaffee. Es machte mir sogar richtig Spaß, sie zu bedienen. Wir spielten den ganzen Tag lang ein Prinzessinnenspiel. Sie fragte und ich antwortete, selten umgekehrt. Sie hatte laufend neue Ideen und fragte mich Dinge, über die ich bisher nie nachgedacht hatte.

»Glaubst du eigentlich, dass ein Spiegel auch nachts irgendetwas spiegelt?«

»Nachts? Nachts gibt es nichts.«

»Oh doch, es gibt zum Beispiel die Dunkelheit.«

»Aber die sieht man nicht. Mich interessieren viel mehr die Sachen, die ich sehen kann, besonders an dir.«

»Lass das jetzt, ich möchte mich sachlich mit dir unterhalten. Natürlich sieht man die Dunkelheit, wir erkennen sie bloß nicht«, versicherte sie.

»Das nennst du sachlich? Ich habe diese Nacht zwar nichts gesehen«, entgegnete ich, »dafür habe ich umso mehr gespürt. Komm noch mal her, Kleine.«

»Nein. Du schnaufst dabei wie ein Dampfross, manchmal. Ich möchte wissen, ob du dir Dinge vorstellen kannst.«

»Ja. Nein. Was denn?«

Am Nachmittag erwachte sie wieder in meinem Arm und ich hätte viel dafür gegeben, wenn es nur so bleiben könnte.

»Komm«, bestimmte sie. »Wir baden zusammen und dann möchte ich eine Pizza wie vorgestern. Und den gleichen Rotwein. Ein bisschen Gras habe ich auch noch in Reserve. Und ganz zuletzt möchte ich heute zu gerne mal probieren, ob meine Pillen bei dir wirken.«

In der Badewanne lehnte sie sich diesmal nicht zurück, sondern stellte Sachen mit mir an, die ich lieber nicht aufschreibe – das würde garantiert nicht gedruckt werden.

Der Pizzabote klingelte mich aus der Wanne und ich konnte mir nur ein Handtuch vorhalten. Einen Bademantel besaß ich nicht. Als ich mit dem Geld zurückkam, grinste der Bote über alle vier Backen, ich hatte das Handtuch ja nur vorgehalten.

Wir aßen unsere Pizza nackt am Tisch sitzend.

»Du hast mir gestern gar nicht richtig meine Frage beantwortet«, begann Sonja. »Könntest du dir vorstellen, dein Leben noch einmal zu leben?«

»Doch, ich habe wohl geantwortet: Wozu? Ein zweites Mal den ganzen Dreck? Mit Prügel und Latein. Erneut die schweren Auseinandersetzungen wegen meiner Weigerung, in jeden vorgesetzten Arsch zu kriechen? Nö danke! Nächste Frage.«

Dabei schaute ich Sonja in die Augen. Sie wirkten beinahe hypnotisierend. Ich schämte mich ohne so recht zu wissen wieso und senkte den Blick.

»Nun ja, eine zweite Chance hätte natürlich auch gewisse Möglichkeiten. So gesehen. Okay, spiele ich das Spielchen mit. Na klar, vorstellen kann ich mir alles. Wenn ich allerdings an die vielen miesen Reinfälle denke, würde ich mein Leben bestenfalls noch mal leben wollen, wenn ich mich an die Summe meiner gemachten Erfahrungen erinnern könnte. Hab schließlich so manchen Fehler gemacht, den ich nicht unbedingt wiederholen möchte. Ja, dann durchaus. Aber bloß den ganzen Schmonzes noch mal durchmachen? Nö danke.«

Sie baute einen gewaltigen tütenförmigen Joint aus etwas Tabak und ihrem Reservestoff, inhalierte den Rauch mit geschlossenen Augen und reichte mir das Rauchzeug.

»Nein danke, ich vertrage das Rauchen sehr schlecht. Muss immer husten davon und du lachst mich dann womöglich aus.«

Die Luft im Zimmer wurde auch schon so benebelnd genug. Ich trank lieber ein Glas Rotwein.

»Wenn wir uns jetzt nur mal ausmalen, man könnte dir diese Möglichkeit bieten, würdest du dann dein Leben noch mal leben wollen?« Sie blies mir den Rauch ins Gesicht.

Ich nahm gegen das Kratzen im Hals einen großen Schluck. Diese Mischung machte mich benommen und ich machte bei ihrem Gedankenspiel mit.

»Okay«, hustete ich. Der Stoff war ein absoluter Hammer. »Stellen wir uns vor, ich würde mein Leben noch einmal leben. Wenn es weiter nichts ist. Aber ich will jederzeit aussteigen können, wenn es mir zu bunt wird.« Ich wandte den Kopf ein wenig ab und lächelte überlegen.

Sonja schloss die Augenlider zu schmalen Schlitzen. Schien zu überlegen. Rieb sich die Nasenspitze.

»Ausgeschlossen, das läuft so nicht. Du würdest dich schon entscheiden müssen. Entweder oder. Ich schlage dir einen Deal vor. Du sagst mir, wo oder viel besser, wann du in deinem Leben beginnen möchtest. Vor zehn Jahren, vor zwanzig Jahren, in deiner Kindheit oder Jugend.«

»Um Himmels willen, nur das nicht. Mom irgendwo untergetaucht an der Côte – Vater ein Idiot. Meine sogenannte Jugendzeit brauche ich wirklich nicht zweimal durchzumachen. In der Nacht meines 18. Geburtstags habe ich still und heimlich einen Rucksack mit ein paar Plünnen, meinem Sparbuch und ein paar Papieren gepackt und bin – aus rechtlichen Gründen um Punkt null Uhr – aus dem Haus gegangen, weil ich volljährig geworden war. Holger war tot. Laura – die mit dem Dessousgeschäft – hatte mir versprochen, mich aufzunehmen, bis ich ein paar Tage später zum Bund konnte. Wäre mein Alter niemals drauf gekommen, dass ich mich ausgerechnet dahin freiwillig melden würde. Die waren dort richtiggehend geil auf Abiturienten. Eine sichere Sache.«

»Deshalb bist du freiwillig zu der Gurkentruppe gegangen?«

»Nicht nur, aber ich hatte weder Wohnung noch Einkommen. Und das Wohnen bei Laura ging recht schnell über meine Kräfte. Ich bin überzeugt, die Mädchen haben sich einen Spaß daraus gemacht, mir zu zeigen, dass eine Frau leicht zehn Männer schafft, aber nicht umgekehrt. Die ersten Nächte waren absolut prima, doch was zu viel ist, ist zu viel.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen«, grinste Sonja, nahm einen tiefen Zug aus der geimpften Zigarette und küsste mich, mir dabei den Qualm tief in die Lungen pressend. Und noch mal. Und immer wieder. Dann stellte sie mit mir Sachen an ... Wir tranken in den Pausen aus der Rotweinflasche, bis diese nahezu leer war. Sonja rollte sich aus dem Bett, holte zwei ihrer Uppers, wie sie die Superpillchen nannte und hielt mir in ihrer Handfläche eine entgegen.

»Wenn wir im Bett Rotwein trinken«, beteuerte Sonja, »und dann so einen kleinen Uppers dazu nehmen, das wird ganz unglaublich wirken. Könnten allerdings heftige Nebenwirkungen auftreten.«

»Je heftiger, desto geiler«, entgegnete ich.

»In eine andere Dimension werden wir eintauchen. Kennst du Dantes Göttliche Komödie?«, fragte Sonja.

»Nein! Hängt das irgendwie damit zusammen, dass ich dir von Herrn Göttlich erzählt habe?«

»Kann schon sein, auf jeden Fall heißt es darin folgendermaßen: Gerade in der Mitte meiner Lebensreise, befand ich mich in einem dunklen Walde. Weil ich den rechten Weg verloren hatte ... das nennt man einen Gesang, weißt du?« Dann sagte sie weiter diesen Gesang auf und das Wort Tod kam darin vor, dabei waren wir sehr lebendig. »Was schaust du meine Muschi so an – hörst du mir überhaupt zu?«

Ich hörte eigentlich gar nicht richtig zu, sondern empfand das dringende Bedürfnis, Sonja an mich zu fesseln. Und zwar mit der körperlich äußerst anstrengenden chinesischen Schlittenfahrt möglicherweise sogar um den Verstand zu bringen. Ich nahm ihr eine Pille aus der Hand, schluckte sie mit etwas Rotwein und zog Sonja auf das Laken.

»So, leg dich auf die Seite und zieh das Bein an. Genau so.«

Sonja grinste zunächst interessiert, dann schloss sie die Augen. »Hui. Huiui ...«

Und plötzlich begann die Pille zu wirken. Ein schwindelnder Strudel tanzte hinter meiner Stirn. Tiefer und tiefer sank ich ins Dunkel und tat dabei das, was man bei so einer Schlittenfahrt, einer chinesischen, nun mal macht. Irgendwann konnte ich mich nirgendwo festhalten, glitt ins Leere. Sehr angenehm fühlte ich den Vorgang. So ist also das Sterben!, dachte ich.

Déjà vu eines Versagers

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