Читать книгу Déjà vu eines Versagers - Werner Koschan - Страница 20

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Mein 20. Geburtstag, der erste in meinem zweiten Leben. Eigentlich wäre ich heute 38 Jahre alt. Im Kopf fühle ich mich auch so, bloß mein Körper ist noch frisch. Normalerweise ist das ja andersherum. Mittlerweile habe ich diese Tatsache hingenommen. Begriffen habe ich das Ganze trotz allem nicht. Ich tu aber so. Was würde es nutzen, wenn ich den Leuten erzählte, was mir widerfährt? Was Sonja mit mir gemacht hat. Ach Sonja, wenn du wüsstest.

Ein schwieriges Spiel ist so ein zweites Leben. Obwohl ich inzwischen billige, was mit mir passiert. Aber kapieren? Ach was, so was kapierte niemand. Aber ich akzeptiere, dass ich wieder da bin, wo ich früher schon mal war. Obgleich ich insgeheim ein wenig befürchte, in einer Klapsmühle zu sein und zu delirieren und das Ganze als Nebenwirkung des Pillchens als eine Art Wahn zu träumen. Wenn dies ein wahnhafter Traum sein sollte, dann wirkt das alles aber fürchterlich realistisch. Ganz besonders, seit ich offensichtlich über beide Augen verfüge. Nun will ich auch überhaupt nicht mehr in mein früheres Dasein als Versager, mit Pleite, Pech und Sozialhilfe zurück.

Früher, als ich jung war ... als ich schon mal ein junger Bursche war, wie ich jetzt wieder zu sein scheine, hatte ich den Kopf voller Träume. Wie hieß die Frau noch mal mit dem Lied: Für mich soll’s rote Rosen regnen – mir sollen ganz neue Wunder begegnen? Als es noch Schallplatten gab, habe ich das Stück sehr gerne gehört – mir sollte nämlich genau das passieren. Ganz neue Wunder sollten mir begegnen. Nun habe ich den Salat – mein ganz persönliches Wunder.

Haben Sie sich schon mal überlegt, Ihr Leben noch einmal zu leben? Ja? Dann seien Sie aber mal ganz hübsch vorsichtig, man rauscht von einem Fettnäpfchen in das nächste – ich wohne sozusagen darin. Und das lediglich, weil ich mir einbilde, ich wüsste ja sowieso, was geschehen wird.

Ich mache es jetzt mal kurz. Die Geschichte mit meinem Auge habe ich bereits erzählt. Mein lebenslanges Trauma, wegen meiner Behinderung keinen anständigen Beruf erlernt haben zu können, hat sich erledigt. Auch meine nächtlich geilen Wunschträume bezüglich der verpassten Gelegenheit bei Henrike sind versandet.

Aber was wird sein mit den großen Problemen, an denen ich früher, im Verlaufe meines ersten Existenzversuchs, gescheitert bin? Wenn ich den Job in Uniform hinter mir haben werde demnächst, was wird dann? Fast zwei Jahre lang habe ich hier meine Zeit vergeudet mit Dienst am Vaterland. Könnte mir gestohlen bleiben. Überhaupt Nation – habe ich eine beißende Furcht vor, besonders vor deutsche Nation. Diesen Scheißbegriff kann man nämlich steigern: deutsche Nation, deutscher Nationalismus ...

In dreieinhalb Wochen habe ich den Quatsch mit der wehrhaften Ertüchtigung hinter mir. Nun ja, zugegeben, es gab ein paar ganz lustige Geschehnisse. Strafdienst zum Beispiel. Hilfsgartenzwerg auf dem Privatgrundstück vom Chef, den ganzen Samstag, bis zum späten Nachmittag. Das wurde dann ein Nachmittag!

Der Kamerad, dem ich zur Hand gehen soll, nimmt es mit der Arbeit übergenau. Wir schwitzen wie die Schweine und nicht mal eine Flasche Bier ist in Sicht. Ich wünsche mir jetzt einen Biersee, so groß wie ein Salzsee – und eine Dusche. Auf die Dusche würde ich allerdings verzichten zugunsten einer Gerstenkaltschale.

Urplötzlich entdecke ich die Tochter des Herrn Kompaniechef im Liegestuhl, während ich die Gerätschaften in den Schuppen räume. Ein höchst erfreulicher Anblick. Sie zumindest für mich, so knackig und frisch. Ich hingegen schwitze, dass mir das Wasser den Rücken hinunterläuft.

Sie trägt einen knappen Bikini, der mehr preisgibt als verdeckt, und eine lustige Pagenfrisur. Sie steht vom Liegestuhl auf und kommt sogar auf mich zu. Sehr lecker, muss ich sagen, viel zu lecker!

»Ich heiße Melanie«, stellt sie sich vor und schaut mir tief in die Augen. »Hast du Lust auf ein Duschbad, um dich zu erfrischen, bevor du wieder zur Kaserne zurückkehrst?«

»Ich bin Achim. Klar würde ich gerne duschen, aber wo? Etwa im Haus?«

»Nein, viel besser«, sagt sie und zeigt mir den Weg zur Gartendusche, die hinter einer Holzabtrennung steht. Dort lehnt sie sich an den Türrahmen und wartet darauf, dass ich beginne. Ich fühle mich nicht so recht wohl, mich schwitzend und schmutzig vor ihren Augen zu präsentieren. Sie schmunzelt überlegen. Wer aus der Kaserne mochte schon alles hier vor ihren Augen geduscht haben?, überlege ich, denn sie weiß genau, was sie tut. Also gut, entblättere ich mich eben und lasse mit geschlossenen Augen den herrlich erfrischenden Regen auf meine Haut prasseln. Stunden möchte ich so stehen.

Plötzlich spüre ich Melanies Hände, die zu mir unter die Brause getreten ist. Die Nixe ist geübt und echt rothaarig. Wo zuvor der Bikini weniges verhüllt hatte, schimmert nun feuchte Haut. Viel zu schnell stört uns die sich langsam nähernde Stimme des immer noch draußen im Dreck wühlenden Kameraden und vertreibt mich aus dem siebenten Himmel.

Nackt wie ich bin, trete ich aus dem Duschraum in den Garten, ergreife mein Zeug und beginne, mich anzuziehen. Der schwitzende Gartenzwerg staunt.

»Was machst du denn da?«

»Ich habe geduscht.«

Das von der Arbeit im Sonnenschein gerötete Gesicht des Kameraden beginnt zu glühen. »Spinnst du? Hier? Beim Chef?«

Ich zerre die Kleidung über die nasse Haut. »Na, wenn du die Schnauze hältst, merkt das niemand. Wo zum Teufel ist mein linker Stiefel?«

»Ich weiß von nichts und habe nichts gesehen«, sagt er.

»Brav.«

Er stemmt mannhaft die Fäuste gegen die Hüften. »Wenn du nicht in einer Minute vorne bist, mit allen Klamotten, melde ich dich dem Chef. Dann kannst du dich warm anziehen!«

Er macht regelrecht militärisch kehrt und marschiert aus dem Garten.

Melanie schaut aus dem Gartenduschverschlag. »Warum kommt ihr nicht beide rein?«

»Du hast doch gehört, der Stiesel ist nervös und ängstlich. Da ist ja der verfluchte Stiefel.«

»Und du?«

»Na ja, ich will auch keinen Ärger von deinem Alten. Ist sowieso schon Strafdienst hier.«

»Mit mir?«

»Nein, das ist reinstes Honigschlecken.« Ich küsse ihre Brüste. »Aber Rasen mähen, Auto waschen und Fernsehen sind für mich schwachsinnige Strafarbeiten. Und wenn mich deine Eltern hier erwischen, schiebe ich Wache bis zum Jüngsten Tag.«

»Das wäre allerdings schade. Können wir uns irgendwo treffen?«

Die Minute wird vermutlich gleich um sein und ich schiebe Melanie hinter den Zaun der Dusche zurück. Wenn der Kamerad noch mal kommt und sie sieht, überlege ich, macht er wahrscheinlich ein Heldentheater.

»Donnerstag habe ich Geburtstag. Hättest du da Zeit?«, frage ich.

»Das ist ja verrückt, Daddy feiert Donnerstag seinen 50. Ehrentag. Ganz groß im Top Roof. Magst du da hinkommen? Und mit mir tanzen?« Melanie drückt sich an mich.

»Wie soll ich denn an eine Einladung kommen? Was bedeutet Top Ruf?«

»Bestes Dach, ist Englisch. Das mit der Einladung kriege ich hin. Wie heißt du überhaupt?«

»Achim, Achim Hofmann. Habe ich dir gerade schon gesagt.«

»Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor. Habe ich doch schon mal gehört. Vor einem Jahr oder sogar etwas länger, stimmt’s? Paps war ganz begeistert gewesen. Was war da los? Hast du etwas Besonderes gemacht?«

»Nö. Das heißt, vor gut anderthalb Jahren habe ich einmal beim Schießen eine kaputte Patrone reklamiert. Da war zunächst die Hölle los ...«

»Jetzt weiß ich wieder. Dann hat der Neumann festgestellt, dass sonst möglicherweise ein Riesenunglück geschehen wäre. Papa war ganz aufgeregt deswegen und hat mit dem von der Waffenkammer irgendwas ausgetüftelt und du bist da gelandet, ja? Damit werde ich es versuchen, keine Ahnung wie. Aber der ist auch ein ganz Süßer, nicht wahr?«

»Wer?«

»Diether.«

»Welcher Dieter?«

»Diether Neumann, mit th, der Boss von der Waffenkammer.«

»Wenn du es sagst.«

Ob die schon sämtliche Dienstgrade durchhat? Zuzutrauen wäre es ihr.

Der Donnerstag, mein Geburtstag, verlief geradezu bezeichnend für mein Leben. Der Zauber begann am Montag früh.

»Hofmann, Sie sind das größte Dreckschwein der Kompanie!«

Normalerweise beginnt jede Woche recht gemütlich. Erst mal wieder einfinden. Samstag habe ich im Garten beim Chef gewühlt und danach mit dessen Töchterchen geduscht. Den Sonntagmorgen dann verpennt, bis ich Befehl bekam, den Kübelwagen vom Chef zu waschen. Von mir aus.

Und am Montag früh hieß es, zu den Fahrzeugen, Appell, der Kompaniefeldwebel kontrolliert selbst. Und dann der Anschiss.

»Hofmann, Sie ...«

Irgendeine Sau muss den Karren gestern Abend durch zahlreiche Schlammpfützen gefahren haben, so sieht er aus.

»Hofmann, heute Nachmittag ist der Kübel tipptopp! Ich kontrolliere selbst.«

Wenn ich nur wüsste, wer mir den Streich gespielt hat? Und weswegen. Vielleicht mein Gartenzwergkamerad? Gleich dem Rumpelstilzchen wienere ich das grün lackierte Blech.

Der Spieß scheint mit meiner Arbeit zufrieden. »Na gut, Hofmann, von einem offiziellen Disziplinarverfahren wollen wir dann mal Abstand nehmen. Am Donnerstag dürfen Sie dafür den Chef und seine Gäste fahren, wird wohl ziemlich spät werden, Hofmann.«

Ach so, natürlich weiß der, dass ich Geburtstag habe, konstatiere ich. Und wahrscheinlich weiß der sogar, wer meinen Kübel vollgesaut hat, aber bloß nicht fragen, sonst kommt noch was nach.

Dienstag und Mittwoch treffe ich Melanie abends in einem Bistro. Einer ihrer zahlreichen Freunde hat in der Nähe einen Schrottplatz. Dort steht ein uraltes Oldsmobil mit Liegesitzen. Ungemein praktisch und fast sogar bequem. Wir haben uns auf den Polstern so gut es ging geliebt. Und wie immer hinterher, redet Melanie von uns Soldaten. Im Prinzip hat sie in dieser Beziehung einen Hieb weg.

»Ich habe Paps an deine besondere Tat beim Rumballern erinnert und ihn überredet – mir zuliebe möchte er dich kennenlernen. Zumal du ja auch morgen Geburtstag hast, darf ich dich einladen. Was sagst du nun?«

»Aber ich soll doch den Fahrer für euch spielen.«

Melanie schaut wie ein schüchternes kleines Schulmädchen. »Paps tut alles für mich, egal, worum ich ihn bitte. Er hat schon Befehl gegeben. Der blöde Schulze muss geradezu explodiert sein. Sag mal, möchtest du nicht Offizier werden, Achim? Paps meint, nur ein Offizier käme für mich infrage. Ich kann das deichseln.«

»Um Gottes willen, ich möchte lieber was Anständiges machen!«, antworte ich spontan.

»Dann mal los, ich bin noch geil!«

Déjà vu eines Versagers

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