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Swinging auf der Wilhelmshöhe
ОглавлениеFallende Kastanien, die sich ihrer Schalen beim Aufschlag entledigen. Raschelndes Laub, aufgeschreckt von eilenden Füßen, die durch die Kastanienallee der Wilhelmshöhe hasten. Die jungen Menschen auf dem Weg zur Tanzveranstaltung vernehmen nicht die Melodie des Abendwindes in den alten Buchen des Parks, achten nicht auf das milde Licht des Mondes über sich. Sie lauschen in froher Erwartung auf den Rhythmus der Tanzmusik, welche aus dem Saal der Wilhelmshöhe nach draußen dringt und in die Beine fährt.
Ein Herbstabend vor über 60 Jahren. Vier ehemalige Militärmusiker, die sich in den Wirren der Nachkriegsjahre zunächst im großen Tanzorchester Peter Butz einfanden und später ein eigenes Ensemble bildeten, eröffneten den Tanzabend mit einem klassischen Slowfox. Unter der Leitung von Heinz Hauck (Saxophon und Geige) entflammten die Solisten Fritz Hoffmann (Piano und Akkordeon), H. Schmidt (Posaune und Trompete) sowie Franz Treffner (Klarinette und Saxophon) im modernen swingenden Stil die jungen Leute von damals.
Wer von denen erinnert sich nicht an Glenn Millers unvergleichliche Arrangements, an die Evergreens von Franz Grothe, Peter Kreuder, Gerhard Winkler oder Michael Jary? Alte und junge Schlager im neuen Gewand hatten in den Tanzsälen Einzug gehalten. So auch in Lingens guter Stube – der Wilhelmshöhe, wo das kleine Tanzorchester Heinz Hauck an jedem Wochenende für Bombenstimmung sorgte.
Das Parkett bebte beim Sound von Glenn Millers In the mood oder dem Tiger Rag und die Pärchen schmusten beim Klang der romantischen Moonlight Serenade unter der im Spektrum funkelnder Komplementärfarben drehenden Silberkugel. Bald war das Ensemble auch überregional bekannt und gefragt, begleitete es musikalisch Tanzturniere und spielte auf zu öffentlichen Veranstaltungen. In der Sommersaison bekam es ein festes Engagement auf der Nordseeinsel Juist.
Einen Höhepunkt erfuhren Heinz Hauck und seine Solisten am 19. September 1954 mit ihrer Verpflichtung als Turnierkapelle beim damals größten Nordwestdeutschen Tanzturnier, welches vom Norddeutschen Casino e.V. Leer, Tanzsportclub im Deutschen Tanzsport-Verband veranstaltet wurde. Deren 1. Vorsitzender war Hans Schrock Opitz. „Dazu berichtete der Lingener Volksbote: Die Wilhelmshöhe erlebte am Sonntag einen ihrer ganz großen Tage. Das darf man mit Fug und Recht behaupten. Das internationale Amateur-Tanzturnier unter Beteiligung von 14 Nationen, 8 Staatsmeistern und einem Europameister hätte sich in allen Großstädten sehen lassen können. Dabei stellt sich die Frage, ob in letzter Zeit ein Turnier von dieser Bedeutung überhaupt stattfand.“
Doch kehren wir zur Tanzveranstaltung am Samstagabend zurück. Es ist inzwischen ein Uhr geworden und mit dem Slowfox: „Die kleine Stadt will schlafen geh`n“, endete zum Bedauern der Tanzenden dieser Tanzabend. Als kleinen Trost lud das Ensemble die Besucher zum Tanztee am folgenden Sonntagnachmittag ein. Und an solch einem Sonntag begegnete mir Lingens bezauberndstes Mädchen: schlank und bildhübsch, 17 Jahr und blondes Haar. So stand sie vor mir und so muss auch das Mädel ausgesehen haben, das Udo Jürgens zu seinem Erfolgsschlager inspirierte.
Es war schwer, an die Umworbene heranzukommen, die Konkurrenz war zahlreich. Doch dann stand mir das Glück mit dem langsamen Walzer „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“ zur Seite. Ich war eine Sekunde vor meinem Rivalen zur Stelle und sie schenkte mir diesen gefühlvollen Tanz, bei dem ich alle Register zog, um sie davon zu überzeugen, dass sie mit mir geradewegs in den siebten Himmel der Liebe tanze. Was soll ich sagen: Ich überzeugte. Sie wurde meine Frau und sie ist es noch heute.
Und wann immer ich die Lingener Tagespost aufschlage, berichtet sie von Ehepaaren und deren Goldenen Hochzeiten, von denen ursprünglich gewiss so manche im einschmeichelnden Sound des Heinz Hauck Ensembles zueinander fanden.
Auf der Wilhelmshöhe in Lingen haben sich so manche Paare gefunden. (Stadtarchiv Lingen)