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Lingener Allerlei Ein Abend im Spielcasino
ОглавлениеAn einem Samstagnachmittag, noch in der DM-Zeit, überraschte mich meine Frau mit einer verblüffenden Ankündigung. Sie legte mir, während ich arglos im Fernsehprogramm blätterte, nahe, das Heft bitte beiseite zu legen. Mit der Begründung, dass sie statt Fernsehen, heute Abend mit mir zum Spielcasino nach Bad Bentheim fahren möchte. Ich sah meiner besseren Hälfte besorgt ins Gesicht und fragte, ob sie noch bei Trost sei, unser sauer verdientes Geld für solchen Kram verschleudern zu wollen.
„Im Gegenteil“, zwitscherte sie. „Ich habe mich bei einer Kollegin schlau gemacht, wie man erfolgreich spielen kann. Die hat neulich 300 DM gewonnen.“
Ich sagte nichts dazu, wusste ich doch, wenn sich das Herzchen einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann…Im Spielsaal der Bank angekommen, bemühte sie sich, mir die Spielregeln vom Roulette verständlich zu machen, bevor sie zu einem Tisch mit den kleinstmöglichen Einsätzen steuerte.
Dort machte sie eine aufregende Entdeckung. Sie entnahm der Anzeigentafel, dass in den Spielen zuvor fünfmal die Farbe Schwarz erschienen war. „Dieser Trend hält an, solange der Dreh-Croupier nicht ausgewechselt wird“, zischte sie mir ins Ohr. „Wir sollten es riskieren. Was meinst du?“
Ich nickte, ohne zu verstehen. Daraufhin setzte sie, nach besorgtem Blick zum Croupier ob der ihren fünf DM Einsatz auch bemerk hatte, mit fahrigen Fingern einen Jeton auf das Feld .„Faites votres jeux (Bitte das Spiel zu machen)“, forderte dessen Kollege am Kopfende des Tisches auf. Plötzliches Aufschrecken bei den Spielern. Nervöses Hin- und Her- schieben von Jetons auf dem grünen Feld. Aufgeregtes Stimmengewirr. Danach beklemmendes Schweigen. Auf den frischen Wangen meiner Frau schlich sich eine fahle Blässe ein.
„Beobachte bitte das Spiel“, raunte sie mir zu, bevor sie sich auf den Weg zur Toilette machte. Wenig später kreiste die Kugel im Kessel. Hektisch geworfene Spielmarken landeten noch auf dem Tisch, bevor der energische Ruf: „Rien ne va plus (Nichts geht mehr)“, weitere Einsätze ausschloss.
Atemlose Stille. Die Kugel tanzte polternd über die Zahlen, geriet ins Schlenkern und kam nach kurzem Zappeln auf der 31 zum Stehen. Der Croupier rief die Zahl und die daran beteiligten Chancen aus, worauf seine Kollegen alle nicht dazu gehörenden Jetons zusammen harkten. Den Gewinnern schoben sie mit dem Rechen die gewonnenen Spielmarken zu.
In diesem Augenblick langte die Hand meiner zurückgekehrten Frau über meine Schulter und nahm zwei Jetons vom Feld. „Haben wir gewonnen?“, fragte ich ungläubig. „Wir haben“, jubelte sie. Während meine Frau es nun eilig hatte, an einem anderen Tisch ihr Glück zu versuchen, sah ich mich um.
Ich bemerkte einen Spieltisch, um den sich eine Anzahl Zuschauer versammelt hatten. Neugierig geworden, begab ich mich dahin. Hier wurde mit großen Einsätzen gepokert. Vor den Spielern stapelten sich Vermögen: grüne Hunderter, rosafarbene Fünfhunderter und blaue Tausender wechselten laufend die Besitzer. Mit der Anweisung: „Drei auf A cheval und vier auf Transversale plein“, schob ein blasierter Snob 500-er Stücke auf das Feld, um sie eine Minute später, gleichgültig mit der Schulter zuckend, zu verlieren.
Mir gegenüber umschloss die Faust eines dicken, schwitzenden Mannes krampfhaft die letzte ihm gebliebene Spielmarke, die er, nach dem Ruf des Croupiers das Spiel zu machen, mit zitternden Händen auf das riskante Spiel Quatre premiers setzte. Er büßte sie ein.
Kreidebleich, mit geschlossenen Augen tastete der Spieler nach der Stuhllehne. Unter zunehmender Verwirrung war ich den Vorgängen am Spieltisch gefolgt. Ich begriff die unglaubliche Risikobereitschaft nicht, mit der hier horrende Summen aufs Spiel gesetzt wurden. Darüber musste ich mit meiner Frau reden.
Ich suchte und fand sie - ein wenig müde und ein bisschen unglücklich. Ihr waren von 100 gewonnenen DM nur noch 60 geblieben. „Herrlich!“, rief ich ihr aufmunternd zu. „Lass uns zum Griechen fahren und uns auf Kosten der Spielbank ein Abendessen und einen guten Wein gönnen.“ Das taten wir dann auch.