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„Hühner-Heines“ große Liebe
ОглавлениеHühner dienen heute vor allem der Züchtung und Vermarktung, sie liefern Eier und Fleisch. „Hühner-Heine“, wie in früheren Zeiten der Lingener Heinrich Groon genannt wurde, waren sie besonders ans Herz gewachsen.
Unsere jungen Zeitgenossen können sich wohl kaum die Lebensweise ihrer Großeltern vor 70 oder 80 Jahren vorstellen. Ein Leben ohne Computer, Facebook und Internet. Oft sogar ohne Elektrizität, dafür mit unglaublich viel Natur, Weite und großen Grundstücken, vor allem in den kleinen Städten und auf dem Land.
Heute halten sich die Leute Hund und Katze, mitunter auch, um der Einsamkeit, der zunehmenden Beziehungslosigkeit zu entfliehen. Das war damals anders. Der überwiegende Teil der Bevölkerung besaß wenig. Das ließ keinen Neid aufkommen. Man lebte zusammen, und jeder wusste vom anderen Bescheid. Geriet einer in Not, dann durfte er der Hilfe seiner Nachbarn gewiss sein.
Seinerzeit verrichteten Hund und Katze nützliche Aufgaben. Der Hund bewachte Haus und Hof, und die Katze hielt Mäuse und Ratten in Schach. Häufig waren auf den Grundstücken Hühnerscharen anzutreffen, die alles vorfanden, was für eine gesunde Hühnerhaltung erforderlich ist.
Mit dem ersten Hahnenschrei erwachte das Leben in den Häusern, begann für die Menschen der Tagesablauf. Und kaum jemand fühlte sich vom „Gackern“ und vom „Kikeriki“ belästigt. Diese Laute gehörten einfach in die Zeit.
Ganz anders heute, wo sich die Menschen an den ohrenschädigenden Lärm von technischen Gerätschaften gewöhnt haben, aber natürliche Geräusche oft als unerträglich laut empfinden. Nicht wenige Gerichtsprozesse gegen Mitmenschen, die es dennoch wagten, einige Hühner zu halten, zeugen davon. Die Ablehnung des modernen Menschen gegen die Lebensart der Vorgänger erklärt sich wohl mit der revolutionären, technischen Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten.
Für mich waren Hahn und Huhn Bestandteil meiner Kindheit in den 30er- und 40er-Jahren. Auf dem großen Grundstück meiner Eltern und Großeltern gackerten stets fünf bis sechs Hühner, dazu krähte ein prächtiger Hahn. Dessen erster Schrei am frühen Morgen lockte uns, besonders in den Ferien, vom Bett neugierig ans Fenster.
Unsere Tante trieb mit „Put, put, put“-Rufen das Federvieh aus dem Stall in den Garten, wo es in einem abgegrenzten Areal gefüttert wurde und den ganzen Tag kratzen und scharren durfte. Wir Kinder hielten uns oft vor der Umzäunung auf, um das Treiben des Federviehs zu beobachten. Am Abend durften wir dann die gelegten Eier suchen.
Am aufregendsten empfanden wir aber das Ausschlüpfen der Küken. Auf dem Bauch liegend, warteten wir ungeduldig darauf, dass die brütenden Hennen ihre Eier, die sie mit dem eigenen Körper vorbereitend erwärmt hatten, freigaben. Ganz nahe robbten wir uns ans Geschehen, um nur nichts zu verpassen. Erste Risse zeigten sich auf einer Eierschale. Teilstücke davon sprangen ab. Und bald darauf kam ein emsig hackendes Schnäbelchen zum Vorschein. Es pickte unentwegt. So lange, bis das größer werdende Loch zum Ausschlüpfen reichte. Von der Glucke umsorgt, hüpfte ein kleines, klebrig-nasses Wesen ins Leben.
Mit einer ganz anderen Art von Hühnerhaltung befassten sich die Hühnerzüchter vom Geflügel-Zucht-Verein Lingen. Mein Schwiegervater Heinrich Groon gehörte zu ihnen. Alle nannten ihn nur „Hühner-Heine“. Seine Tiere waren ihm so ans Herz gewachsen, dass er selbst sie nicht schlachtete. Er tauschte sie bei Richtering ein gegen Rindsroulade oder Schweinefleisch.
Heinrich Groon züchtete zuerst Reichshühner und später Rodeländer. Ihm und seinen Kollegen ging es nicht um Eier zum Frühstück oder ums Suppenhuhn. Für sie zählte allein der schöne Anblick von Hahn und Henne, für den es Auszeichnungen und Siegerurkunden bei den Wettbewerben zu erringen galt.
Viel Aufregung herrschte im Haus des Geflügelzüchters, wenn ein solcher Wettbewerbstag anstand. Da wurden die Protagonisten für die Show mit großer Sorgfalt herausgeputzt, gesäubert und gekämmt. Die Federnverteilung der schwarz-weiß-roten Reichshühner musste den Idealvorstellungen möglichst nahe kommen.
Und der Kamm vom Hahn sollte fleischig rot glänzen. Deswegen half man schon mal mit ein paar Tropfen Öl nach. Und wenn dann der große Tag gekommen war, hielt es niemanden im Haus. Die ganze Familie rückte aus, zum Daumendrücken für den Züchter und seinen stolzen Hahn, der sich mit einem kräftigen „Kikeriki“ lauthals dafür bedankte.
Liebte seine Hühner: Heinrich Groon.