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Walters letzter Gruß

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„Lieber Freund, vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich Dir zu einem neuen Lebensjahr alles Gute wünschen darf ...“. So begann der Brief meines alten Freundes Walter anlässlich meines Geburtstages. Seine Ahnung trog nicht. Es sollte sein letzter Gruß sein. Er starb im Alter von 84 Jahren.

Wir lernten uns ein Jahr nach der Währungsreform kennen. Damals herrschte in der noch jungen Bundesrepublik Massenarbeitslosigkeit. Überall standen die Arbeitsuchenden debattierend in den Straßen. Man tauschte Erlebnisse bei der Suche nach einer Arbeitsstelle aus, forschte nach Hinweisen, irgendwo eine zu finden.

Es war gegenseitige Sympathie auf den ersten Blick, welche Walter und mich bei solch einem Treffen zusammen führte. 20 Jahre jung und den Kopf voller Flausen, alberten wir, trotz leeren Geldbörsen in der Hosentasche, übermütig durch die Sommertage. „Was kostet die Welt - wir wollen sie kaufen!“, posaunten wir prahlerisch, wenn andere über Geldmangel klagten.

Doch kratzten wir unsere Kröten zusammen, wenn es um die süßen Mädels ging, die in unseren Köpfen spukten und mit denen wir Samstags von acht bis eins über das Parkett der Wilhelmshöhe wirbelten, bis uns die Kapelle von Heinz Hauk und seine Solisten mit dem Abschlusstanz: „Die kleine Stadt will schlafen gehen“ aus dem Saal hinauskomplimentierten.

Damals trafen Walter und ich uns gern zum Dämmerschoppen in Oma Schröders urgemütlicher Kneipe in der Bauerntanzstraße. Im Zigarrenqualm und Schnapsgeruch philosophierten wir bei einem Glas Bier stundenlang über die Welt und darüber, wie wir sie mit unseren klugen Ideen ganz anders gestalten würden, wenn man uns nur ließe. Unsere revolutionären Gedankenspiele büßten jedoch schlagartig an Wert ein, als sie uns eines Tages begegnete: Die große Liebe, von der nicht nur junge Menschen träumen.

Von da an veränderte sich alles, gab es nur noch „Sie“, mit der wir durch das Leben gehen wollten. Zunächst zu viert, denn unsere Freundinnen verstanden sich prima, was Lust auf gemeinsame Unternehmungen machte. Oft wanderten wir auf dem Leinpfad entlang des Dortmund-Ems-Kanals bis zur Möddel-Brücke. Dort abbiegend, führte unser Weg an Emswiesen vorbei, direkt zum Thiele Max und seinem idyllisch an der Ems gelegenem Ems-Cafe`.

Es war ein Holzbau, den der rührige Besitzer mit viel Liebe und Enthusiasmus nach dem Krieg errichtet hatte. Beim Lingener Max Thiel, der eigentlich kein gebürtiger Lingener, sondern ein vertriebener Schlesier war, bekam man einen ganz besonders schmackhaften Mohnkuchen. Hergestellt nach einem Schlesischen Rezept. Bei Kaffee und Kuchen im heimeligen Ambiente, fühlte man sich gleich wie Zuhause.

Eigentlich konnten wir uns nicht vorstellen, dass uns jemals etwas trennen könne. Zudem wir kurz nacheinander in der Kreuzkirche getraut wurden und zwei Jahre später unsere Frauen uns die Kronprinzen auf die Welt brachten. Doch wie das Leben so spielt. Walter wurde von einem großen Unternehmen in Augsburg ein lukratives Angebot unterbreitet, das er nicht ausschlagen durfte. So verließ er mit seiner Familie die Stadt Lingen.

Unsere Freundschaft litt nicht darunter. Wir blieben in Kontakt und unterrichteten uns laufend über die großen und kleinen Geschehnisse in der Familie. Gegenseitige Besuche waren für beide Familien immer besondere Erlebnisse. Wenn ich heute auf mein kurzes – langes Leben zurück blicke, kommt es mir deshalb kurz vor, weil mir scheint, dass es wie im Zeitraffer ablief und lang, weil, in vier Epochen aufgeteilt, das Leben vom Kind zum Jugendlichen und vom Mann zum alten Mann mit unendlich vielen Vorgängen ausgefüllt war, die ich bei der Suche in alten Fotos wieder fand.

Viele Menschen begegneten mir, begleiteten mich eine Weile, um sich irgendwann leise, fast unbemerkt zu verabschieden. Andere schieden, Schock auslösend, gewaltsam aus dem Leben. Alle aber erfuhren zuvor die Gnade, diese wunderbare und wohl einmalige Erde sehend mit allen Sinnen erleben zu dürfen.


Mein Freund Walter (links) und ich bei einem Treffen 1970.

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