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Zum Wursten nach Nordlohne
ОглавлениеEin wogendes Getreidefeld auf einem 3000 Quadratmeter großen Privatgrundstück im Lingener Stadtgebiet, das kann sich heutzutage kaum jemand vorstellen. Damals, in den dreißiger Jahren, waren solche Grundstücksgrößen nicht ungewöhnlich. Die Eigentümer, überwiegend Beschäftigte vom Lingener Eisenbahn-Ausbesserungswerk, bewirtschafteten ihre Flächen nach Feierabend. Das traf auch auf Wilhelm und Auguste Groon in der Waldstraße 49 zu.
Wenn deren Enkelin, die heute 80-Jährige geborene Helga Groon, von ihrer frühen Kindheit bei den Großeltern erzählt, dann leuchten ihre Augen. Ganz wie auf einem Bauernhof mit gackernden Hühnern, schnatternden Gänsen und grunzenden Schweinen ging es bei Oma und Opa zu.
In den ersten Augusttagen begann die Getreideernte. Mit der Sense mähend, halfen sich die Nachbarn gegenseitig. Die Frauen sammelten die Halme und banden sie zu Kornpuppen, die sie auf die Felder zum Trocknen aufstellten. Tage später rumpelte ein geliehener Leiterwagen mit Arbeitspferd auf die Grundstücke. Die inzwischen getrockneten Garben wurden aufgeladen, um auf dem Böhmerhof gedroschen zu werden. Große Aufregung bemächtigte sich der Kinder. Hoch auf dem vollgeladenen Wagen sitzend, schaukelten sie über die damals noch nicht asphaltierte Waldstraße, im Hochgefühl einer abenteuerlichen Reise.
Auguste Groon, geb. Schmidt stammte aus einer alteingesessenen Lingener Familie. Eine kleine Frau mit viel Power, die in den Sommermonaten bereits um fünf Uhr in den Gemüsebeeten zu finden war, die danach das Frühstück für den Mann und die Kinder auf den Tisch brachte, um anschließend das Mittagessen für die Familie und für ihre Kostgänger, zumeist niederländische Grenzgänger, die in Lingen ihr Auskommen gefunden hatten, vorzubereiten.
Sie mästete jedes Jahr zwei Schweine. Eines für den Eigenbedarf und das andere zum Verkauf. Wegen ihres Wissens vom schmackhaften Würzen der Würste war sie in der Schlachtzeit eine gefragte Frau. Oft legte sie deswegen weite Wege, wie nach Nordlohne oder Holthausen-Biene zu Fuß zurück.
Ihr Mann, Wilhelm, eine gebürtiger Ostfriese, fand im Lingener Wagenwerk eine gut bezahlte Arbeit und in Auguste seine große Liebe. Deshalb blieb er in der Emsstadt hängen. Er war ein großer, stattlicher Mann, zu dem Auguste bewundernd aufschaute. Doch im Gegensatz zu deren Betriebsamkeit, ließ er es gern ruhiger angehen. Er liebte die Gemütlichkeit ebenso wie den Wacholder und er reagierte unlustig, wenn er in seiner „Blauen Stunde“ für die Angetraute tätig werden sollte. Auguste blinzelte dann listig: “Lat man gaut sein, Wilhelm ik mak di Lust“, versprach sie kichernd.
Bei aller Arbeit kam die Kommunikation nicht zu kurz. So traf sich die Nachbarschaft am Sonntagnachmittag oft unter den Linden des Gartenrestaurants Belt (Hummeldorf) in der Waldstraße, um Kaffee zu trinken und Alltäglichkeiten auszutauschen. Dazu wurde gesungen und musiziert und auch schon mal ein Tänzchen auf dem Rasen gewagt. Unter Nachbarschaft verstand man seinerzeit auch, für den anderen da zu sein, in guten wie in schlechten Tagen. Wurde ein Kind geboren, verunglückte ein Familienmitglied, trat ein Todesfall ein – die Nachbarn waren zur Stelle.
So auch an schönen Sommerabenden, in denen man sich zum Plauderstündchen am Gartenzaun einfand. Viel wurde gefachsimpelt über Gemüse, Obst und zu erwartende Ernten. Der Kreis des Jahres schloss sich allmählich in den Herbsttagen, wenn Rüben und Kartoffeln in den Mieten mit Stroh und Erde frostsicher abgedeckt waren und auf dem Acker die Furchen mit dem Handpflug für die Frühjahrsaussaat gezogen wurden. Wochen später ging man mit „den Hühnern schlafen“. Winterstürme rüttelten an den Fensterläden und Schnee und Frost ließen die Menschen zusammenrücken.
Hin und wieder aber klopfte am frühen Abend noch ein Besucher an die Haustür, mit dem man in der Küche beim prasselten Herdfeuer und unter dem milden Licht der Gaslampe noch einige Partien „Mensch ärgere dich nicht“ spielte.
Eine kleine Frau mit viel Power war Auguste Groon. Wilhelm Groon ließ es gern ruhiger angehen.