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Eine Annonce stärkt das Selbstvertrauen
ОглавлениеDer Mai ist auch als Wonne- und Liebesmonat bekannt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor 40 Jahren mit einer kleinen Zeitungsanzeige testen wollte, wie hoch ich denn wohl noch „im Kurs“ stehe.
Die junge Frau von der Zeitung buchstabierte mein Inserat betont langsam. Dabei meinte ich ein spöttisches Lächeln über ihr hübsches Gesicht huschen zu sehen. „Mit 46 Jahren bin ich wohl bereits ein Grufti, und was meine bescheidene Körperlänge betrifft, stehe ich in der Reihe der zu kurz geratenen. Zwar belasten mich weder Bart noch Bauch, dafür die spärlichen Reste meiner einstigen schwarzbraunen Haarpracht. So betrachtet, bin ich eine nicht vorzeigbare Person oder anders ausgedrückt, der männliche Antityp weiblicher Idealvorstellungen. Verehrte Damen, schreiben Sie mir. Ihre Meinung interessiert mich“, stand da geschrieben.
Ich zahlte, doch kaum war ich draußen, ging der Krach in mir los. „Wie konntest du nur für solchen Quatsch unser Geld rauswerfen. Eitel bist du und ein Dummkopf obendrein“, keifte es in mir. Ich bereute mein Tun umgehend, doch was half’s. Es war nun mal geschehen.
Und schuld daran war meine Frau, die mir nach 23 Ehejahren eröffnete, dass ihr seit Tagen ein Kavalier den Hof mache, der ihr beim Einkauf höflich die Türen offen halte, mit freundlichen Bemerkungen den Tag verschönere und ihr unlängst gar eine rote Rose überreicht habe. So etwas fiele mir längst nicht mehr ein. Unsere Ehe sei eben abgenutzt wie altes Mobiliar, und ich gliche einem ausgedienten Stuhl, dessen Tragfähigkeit bezweifelt werden müsse.
Tagelang litt ich unter meinem zerknautschten Selbstvertrauen. Schmerzhaft bohrte der „ausgediente Stuhl“ in meinem Kopf. Eine Woche hielt ich durch, dann musste ich Gewissheit haben. Wie mich andere Frauen wohl sehen? Die hübsche Dame von der Zeitung händigte mir fünf Briefe aus, die ich zu Hause ungeduldig öffnete. Eines erfuhr ich aus den parfümierten und nicht parfümierten Schreiben: die erhoffte Wertschätzung!
Mit eitel bewegter Stimme las ich dem Foto von meiner Frau auf dem Schreibtisch vor, dass ich mit meiner Bescheidenheit die Sehnsucht einer romantischen Endvierzigerin erfülle, die von einem Rendezvous mit mir träume. Eine andere war von meiner negativen männlichen Selbsteinschätzung angetan, die sie bewundere und neugierig auf mich mache. Und mit einem schlaksigen „Hey, Alter, ich finde Dein Image klasse – und hätte nichts gegen ein Treffen mit dir“, machte eine junge Frau respektlos auf sich aufmerksam.
Erschrocken hielt ich inne. Das Foto meiner Frau auf meinem Schreibtisch schien mich auszulachen. Irritiert rechtfertigte ich mich. „Ich finde, das Angebot der jungen Dame ist sehr schmeichelhaft für mich.“ Ich war enttäuscht. Ein wenig Eifersucht hätte sie schon zeigen können, und wenn es nur das warnende Anheben ihrer Augenbrauen gewesen wäre.
Unzufrieden rückte ich die Brille zurecht. Ich würde ihr nicht weiter vorlesen. Es hätte sich auch nicht gelohnt. Die beiden anderen Briefe waren stark parfümiert und begannen mit: Sehr geehrter Herr, von dem besagte Damen Stellung und Vermögensverhältnisse für mögliche Gemeinsamkeiten zu erfahren wünschten. Danke, meine Damen, diesbezügliche Auskünfte gegenüber dem Finanzamt gehören zu meinen schmerzlichsten Lebenserfahrungen.
Zufrieden rieb ich mir die Hände. Ein weiterer Gang zur Redaktion erübrigte sich – dachte ich, und erhielt am anderen Tag noch eine Zuschrift. Sie war von meiner Frau, die den Zeitungsausschnitt mit dem Inserat und der Rechnung für die Anzeige auf meinem Schreibtisch liegen gesehen hatte. Ich las: „Lieber Grufti, ich muss ein Geständnis ablegen. Ich habe mein Faible für altes Mobiliar entdeckt. Kürzlich bot mir einer neue Möbel an. Wie alles Neue, bestachen sie durch viel Glanz – zu viel Glanz. Wie wohltuend schimmert dagegen der Schein des Altvertrauten, welches uns ein Leben lang begleitet, das mit uns atmet, liebt und leidet…“ Das war vor 40 Jahren. Vor zwei Jahren haben wir diamantene Hochzeit gefeiert.