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Was mit der Sprache passiert, wenn aus Leipzig »Hypezig« wird

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Leipzig heißt jetzt »Hypezig«. Das vermeldete zumindest die Gruner & Jahr-Illustrierte stern im Herbst 2013 und fand das, völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt, ganz toll.

»Hype Hype Hurra« lautet die Überschrift eines stern-Kommentars, der »Massenbegeisterung als Grund zur Freude« feiert und diese zweifelhafte Weltsicht auch der Stadt Leipzig an- und umhängen möchte. »Ist es nicht schön, dass Deutschland endlich auf eine Stadt im Osten guckt, die nicht Berlin ist – 24 Jahre nach der Wende? Auf ihre Geschichte, die Kunst, die Kneipenkultur, die Musik und Modeszene. Der Hype weist den Weg«, schreibt die stern-Autorin.

Abgesehen davon, dass die Formulierung »Wende« durchaus zum Arsenal des Propagandavokabulars gezählt und durch »das große Andersrum« oder durch »Annexion« ersetzt werden könnte, ist ein Satz wie »Der Hype weist den Weg« nicht nur peinlich wegweiserfixiert, sondern vor allem Ausdruck einer trostlosen Affirmation des Vorgefundenen. Was einem von der Werbung als großartig um die Sinne gehauen wird, muss großartig sein und ist also auch großartig, schließlich gibt es nichts anderes, da sind die Apologeten des Hype bei der angeblichen »Alternativlosigkeit« angelangt, jenem so aggressiv wie redundant eingesetzten Instrument der Denk- und Diskussionsbeendigung, Einschüchterung und Erpressung zur Unterwerfung.

Ein Hype, auf deutsch das organisierte Übertreiben und Aufbauschen zu Zwecken der Selbstausstellung, »lenkt« laut stern »den Blick auf etwas, das uns bisher entgangen ist«, drückt einem also penetrant und übergriffig etwas auf, das man hanskuckindieluftig glücklich oder mit Absicht ignoriert hat. Diese Aufdringlichkeit wird zumindest beim stern goutiert. »Ein guter Hype bedeutet Spaß, gerade weil er übertrieben ist und unvernünftig.« Wo Lebensfreude sich aus gesteuerter Hysterie generieren muss, hat die Depression längst das Regiment übernommen.

Deutlich wird das auch, wenn Leipzig beziehungsweise »Hypezig« als »The better Berlin« bezeichnet beziehungsweise eben »gehypet« wird: Leipzig ist besser als Berlin? Noch besser? Noch besser als die Hauptstadt des prekären Lebens, das sich als »kreativ« ausgibt, wenn es mit mindestens einem Bein in der existentiellen, künstlerischen und materiellen Prostitution steht? Wer das als Fortschritt feiert, hat nichts Gutes im Sinn – beziehungsweise »nischds Gudes«, wie man in Leipzig sagt, aber das ist selbstverständlich nicht »Hypezig«-tauglich.

Vom Dummen ins Dreiste rutscht der stern-Text, wenn auch noch Gustave Le Bons im Jahr 1895 veröffentlichtes Buch »Die Psychologie der Massen« in die Kronzeugenschaft für das gleichermaßen krude wie hilflos trend­anflanscherische »Hype«-Gerede gezwungen wird. »Um Menschenmassen zu begeistern, müssten ihre Emotionen angesprochen werden«, subsummiert die Autorin, »wichtig sei dabei auch, einfache Botschaften und Bilder stetig zu wiederholen.« Um dann fröhlich auszuposaunen: »Das ist in Zeiten von Twitter und Facebook einfacher als je zuvor.«

Nur dass Le Bon eben nicht schrieb, um die Massen in den Irrsinn zu peitschen, sondern um sie vor ihm zu bewahren. Aber Le Bon arbeitete ja auch nicht für eine »Hype Hype Hurra«-Illustrierte.

Der Ohrfeige nach

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