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Wir kommen auf Sie zu

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»Wir kommen auf Sie zu«, sagt oder schreibt der Vorgesetzte dem ihm Untergeordneten; das klingt warm- und offenherzig, sogar herzlich und familiär: »Wir kommen auf Sie zu.« Die Hand ist ausgestreckt, die Arme sind weit geöffnet, ein freundliches Lächeln heißt den Angesprochenen Willkommen. »Wir kommen auf Sie zu«, ist das nicht so richtig menschlich und dufte?

Nicht ganz. »Wir kommen auf Sie zu« heißt eben nicht, dass jemand kommen und etwas geben oder bringen wird, frohe Botschaft, Gemeinschaft oder vielleicht sogar Geld. »Wir kommen auf Sie zu« heißt vor allem eins: »Bitte belästigen Sie uns nicht. Falls – und wir betonen: falls – es zu einer weiteren Begegnung kommen sollte, dann bestimmen wir den Zeitpunkt. Sie machen bitte gar nichts, Sie verfallen in Schockstarre und warten gefälligst ab. Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an – möglicherweise, aber diese Entscheidung liegt, wie alles andere auch, ganz allein bei uns. Sie haben hier gar nichts zu melden, also bleiben Sie uns vom Hals und verhalten Sie sich ruhig. Und jetzt aber raus bitte.«

Rhetorisch lebt der deutsche Mensch im 21. Jahrhundert in der entgegenkommendsten aller Welten. Wenn er naiv wie Candide den Wörtern glaubt, kann er sich über die Freundlichkeit seiner Mitmenschen nicht nur wundern, er kann sich an ihr regelrecht begeistern. Niemand sagt etwas Böses oder Verletzendes, alle sind so respektvoll und höflich im Umgang; wie kommt es nur, dass er trotzdem mittellos auf der Straße liegt? Die Menschen sprachen doch so gut und geradezu ehrerbietig, an ihnen kann es also nicht liegen.

Es gibt keine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz mehr, und falls doch, kümmert sich eine Beschwerdestelle darum, die den Schurken – oder auch die Schurkin, schließlich herrscht Gleichberechtigung – maßregeln wird. Niemand darf wegen seiner Hautfarbe, seiner Herkunft, seiner Religionszugehörigkeit oder seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden; kommt das dennoch vor, so kann er sich auf dem Klageweg Recht verschaffen. Besser geht es nicht, oder?

Nur ist da eben dieses »Wir kommen auf Sie zu«, will sagen: Wir haben die Macht, und du hast sie aber nicht. Dieses so familial formulierte und großzügig klingende Diktum regelt die Verhältnisse sehr nüchtern und kühl: Du hältst dich zur Verfügung, und wir bestimmen, wie mit dir verfahren wird, und wenn du das nicht verstehst und von »Mitbestimmung« redest, dann erklären wir dir das sogar ganz geduldig: Du bestimmst ja mit, indem du unsere Entscheidung über dich mitträgst. Einer trage des anderen Last, also du unsere. Capito?

»Wir kommen auf Sie zu«: Böse Zungen könnten von blankem Hohn reden und von »einseifen«, aber diese Wörter sind viel zu klar und deutlich, also negativ, und negativ ist verboten. Man muss positiv denken; wo soll das Positive sonst herkommen? Wenn Sie es also wagen sollten, negativ zu denken, dann kommen wir auf Sie zu, aber so richtig.

Der Ohrfeige nach

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