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Ein Butziwacki, ein Orkan, eine eigene Liga Über Horst Hotte Tomayer
ОглавлениеNachdem Ulrike Kowalsky Ende der Achtziger Jahre als Medienredakteurin der taz in den Sack gehauen hatte, organisierte sie ein mehrtägiges Lesefestival im Berliner Eiszeit-Kino, das sie »Maulaffen« nannte. Eingeladen war auch das Duo Ernst Kahl und Horst Tomayer, den Ulrike, die gebürtige Münchnerin, »Tomayerli« nannte oder auch zart einen »Süßi«, eine Auszeichnung, die sonst gerade mal dem schönen Schauspieler Victor Mature in seiner Rolle als Doc Holiday in John Fords »My Darling Clementine« zugestanden wurde, und als einen »Butziwacki« bezeichnete sie Tomayer auch. Denn der Mann, der auf der Bühne ein rhetorisch-stimmliches Fegefeuer entfachen konnte, war wesenszart, scheu und dezent.
Gitarristisch begleitet von Ernst Kahl sang Tomayer auf die Melodie der »Moorsoldaten« sein Lied zur Erkämpfung der 35-Stunden-Woche: »Dafür haben unsere Väter nicht gelitten noch gekämpft / Dass man unsere Forderungen wie die Pellkartoffeln dämpft / Ihr Bosse und ihr Kunden / 35 Stunden sind genug...«
Tomayer hinterließ bei denen, mit denen er arbeitete, Spuren. Für das »Kritische Tagebuch« (KT) beim WDR-Radio schrieb er Glossen, die Björn Blaschke, heute Radiokorrespondent aus dem Nahen Osten, als KT-Redakteur sammeln und als Buch oder Hörbuch veröffentlichen wollte. Tomayer sagte zögerlich zu, er sah sich nicht als Mann für die Ewigkeit, und ein Hörbuch oder Buch mit seinen Radiotexten ist dann auch nie erschienen; vergessen hat sie dennoch niemand, der sie hörte, vorgetragen in Tomayers bayerischer Mund-Art und mit einem einzigartigen Ingrimm.
Friedrich Küppersbusch schrieb, »Tomayer lieferte Glossen in WDR-Radiosendungen, das ist meine älteste Erinnerung an ihn. Weil sie funkelten in seinem Sprechen und seiner Sprache und oft mit größtem Furor scheinbar Nebensächliches behandelten. Eine rasende Aufzählung von Zivilisations- und Popkulturwichtigkeiten, erinnere ich mich am deutlichsten, handelte von der eben-nicht-Binse ›Nehmt Euch nicht so enorm wichtig‹.« Küppersbusch betont, dass Horst respektive Hotte Tomayer »seine eigene, inkorrupte Liga war«.
Rayk Wieland ehrt Tomayer als einen Mann, »der stets und entwaffnend paradox auf der Seite derer war, die nun gar keine Partei hatten, sei's der ›Lifta Treppenlift‹, sei’s ›Paul, der Pornofilmregisseur‹, sei’s die Amsel, die er, Tomayer, als ›Amselleibgardist‹ gegen die Hauskatze mit dem Gewehr seiner Reime im Anschlag in Schutz nahm.«
Klaus Bittermann schreibt in seinem Nachruf: »Zusammen mit Tomayer auf der Bühne zu sein war ein großes Vergnügen. ›Ihr habt das Zeug zu mehr als nur Publikum‹, sagte er am Schluss, fotografierte es und hatte sichtlich keine Lust aufzuhören. Die Zuhörer kamen sich häufig vor wie bei einem Orkan, der unerwartet über sie hereingebrochen war.«
Als Tomayer bei unserer letzten gemeinsamen Lesung in Leipzig sein großes Lamento »S.O.S. Fellatio« vortrug, klammerten sich in den ersten Reihen junge Studentinnen an ihre gleichfalls juvenilen Begleiter. Vor einem Mann, der in großzügig lebenserfahrenem Ton berichtete, das männliche Glied schmecke durchaus »nach Ellenbogen oder Lineal«, aber auch »Madame Ehüm« dufte eben auch nicht immer »wie ein hochsommerlicher Himbeerhain«, hatten die jungen MenschInnen Manschetten. Dabei war Tomayers Suada reiner Humanismus.
Tomayer war groß; er starb, wie Ulrike Kowalsky, an einem Gehirntumor. Und dabei habe ich so fest glauben wollen, dass vor Tomayers zärtlicher Sturmbögrandezza noch Tod und Teufel entweder den Hut gezogen hätten oder doch lieber ausgerissen wären.