Читать книгу Der Ohrfeige nach - Wiglaf Droste - Страница 20
Aus bester Familie
ОглавлениеNach einem feinen Abendessen mit der schönen Nachbarin ging ich spät halbzwölf noch in meine Leipziger Lieblingsbar, wo ich den Logenfürsten Klaus und den Radiokollegen Remus traf. Bei ihnen am Tisch saßen auch zwei völlig betrunkene Endzwanziger, der Mann still besoffen, die Frau schwer aufgedreht: »Ich komme aus allerbester Familie«, heulbojte sie durchs Lokal, dann nannte sie einen Adelsnamen, der mir nichts sagte, aber das kann gut an mir liegen. »Wir sind die erste Familie in Heidelberg!«, krakeelte sie, eine Bohnenstange von zirka 1 Meter 85 ohne Busen und ohne Po, ein langer Strich mit kurzen Haaren und verzerrtem Gesicht, und dann schrie sie: »Mein Bruder ist drogenabhängig. Er lebt auf der Straße.«
Der Mann sagte die ganze Zeit kein Wort, sie jaulte: »Mein Mann kennt dich. Er war bei einer Lesung. Er hat deine Bücher. Er liebt dich. Unterhalte dich gefällige mit ihm!«, fuhr sie mich an, ihm war das entsetzlich peinlich, er vergrub sein Gesicht in den Händen, sie bestellte sich einen dreifachen Tequila, es musste ihr fünfter oder sechster sein, kippte ihn runter und schrie wieder: »Mein Bruder ist drogenabhängig.«
Ich, ruhig und nüchtern, sagte milde: »Das kommt in den besten Familien vor. Mein Bruder war auch drogenabhängig. Und wir sind keine beste Familie.« Sie schrie wieder: »Ich bin aus bester Familie!« Ich antwortete freundlich: »Ach deswegen benimmst du dich so seltsam.«
»Tanz mit mir!«, schrie sie mich an und riss an meinen Schultern. Ich blieb die Ruhe selbst und sagte lächelnd: »Nein, ich möchte mich mit meinen Freunden unterhalten.« Sie ballte die Fäuste und hieb auf mich ein, auf Oberarme und Rumpf, einige Schläge waren richtig hart, aber ich tat, als bemerke ich es gar nicht und fragte Remus: »Hast du mehr so nette Bekannte?« Er sagte: »Ich kenne die überhaupt nicht. Die haben sich einfach zu uns an den Tisch gesetzt.« Klaus, ein in sich ruhender süddeutscher Genießertyp, verdrehte die Augen. »Die nervt entsetzlich«, sagte er sachlich, aber mitgenommen. Sie prügelte weiter auf mich ein, »Tanz mit mir!« krakeelend, ich ignorierte sie und dachte: Das gibt blaue Flecken morgen.
Der Mann streckte sich zum Schlafen auf der Sitzbank aus. Da schritt endlich der Kellner ein, der schon länger Scheibenwischerbewegungen mit der Hand gemacht hatte. »Nicht schlafen«, sagte er und fasste den Mann sacht bei der Schulter, und eine Viertelstunde später war das Paar unter umständlichstem Herumeiern endlich weg, nicht ohne mich noch weiter geschlagen (sie) und zum Tafelspitz eingeladen zu haben (er). Sie sind nämlich Nachbarn und wohnen XY-Strasse neun, ich wohne in der elf.
Warum ich denn so duldsam gewesen sei, fragten mich Remus und Klaus, und ich sagte, dass man zu kleinen Kindern immer freundlich sein müsse, klar und deutlich, aber eben freundlich. Dann tranken wir endlich in Ruhe ein Glas Rouge, und ich zündete mir eine schöne Kubanische an, die ich mir hart verdient hatte. Später ging ich nicht nach Hause, sondern bewegte mich vielmehr schreitend heimwärts; schließlich war ich Mahatma Gandhi, in der etwas kräftiger gebauten Version.