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Singen, Walser, Maggi, Arab und Barock
ОглавлениеDer InterCity von Zürich nach Stuttgart hielt in Singen, wo man am Bahnhof in riesigen Versalien lesen kann, was in Singen hauptsächlich sich vollzieht: Hier produziert die Firma MAGGI, deren Namen man italienisch weich aussprechen muss, Maddj(s)chi, denn der Firmengründer Julius Maggi war italienischstämmig, wie das so heißt, und wer bei italienischstämmig nicht an stämmige Italiener denkt, hat einen Hau und verzehrt also Produkte der imaginär deutsch ausgesprochenen Firma Maggi.
Kurz nach der Abfahrt aus Singen ging, nein wandelte dann Martin Walser durchs Abteil, er sah gut aus und schritt rüstig der Keramik zu, wobei die Keramik im IC aus Edelstahl geformt ist; bei Walsers Anblick fiel mir der schöne Satz von Raymond Chandler ein: »Er hisste ein Paar Augenbrauen, für die sich ein Bürstenfabrikant interessiert hätte.«
In Rottweil stiegen acht arabische Geschäftsmänner zu, die ihren »Arabladi, Arablada, Ach wach, Allah mach lach«-Krach ohrenbetäubend laut in die Gehörgänge aller anderen Reisenden hineinbrachialten, einander auf ihren im Brüllmodus laufenden Smartphones Zeichentrickfilme zeigten und sich darüber ausjachterten wie eine Bande Vierjähriger auf Crack. Es wäre ein adäquat Kinderleichtes gewesen, einen eher wenig arabischfreundlichen Text über diesen Herrenachter zu schreiben, doch nahm ich die allzu penetrant dargereichte Offerte, ja Offensive nicht an.
Ich erreichte Stuttgart mit Fremdgejaul und Brausen in den Ohren, doch ruhte ich bei meinem Gastgeber in einem stillen Herbstgarten aus, die Eichhörnlein sprangen durchs Geäst wie die Dullhermchen, es war ein Vergnügen, diesen schön beohrten und großzügig beschwanzten Wesen zuzuschauen. Später saßen mein Patron und ich zusammen im Küchenkabuff seines Restaurants, die heimeligen Geräusche und Düfte aus der Küche an Ohr und Nase, es gab den frischesten Zander und das köstlichste Weißkraut aller Zeiten, eine HmmmMetzelsuppe, Hasenpfeffer mit Spätzle und feinem Rosenkohl und zum Schluss ein Zitronensorbet direkt vom sizilianischen Baum, und dazu die schönsten Getränke mit Perlen, in weiß und in rot, alles war Duft und Geschmack und Freude und Sittundsattsein.
Nachts, im kuschelig geheizten Gästeholzhäusle hörte ich »New Eyes on Baroque« (ACT 2013), Bach, Purcell und Händel, gesungen von Jeannette Köhn wie Sopran geht auch schön, begleitet vom Swedish Radio Choir, der Kontrabassistin Eva Kruse, dem Posaunisten Nils Landgren, dem Gitarristen Johan Norberg und dem Saxophonisten Jonas Knutsson, und rauchte eine Cohiba Siglo III. Das Barocke war, wie immer, ganz meins, regte meine Seele an und klärte sie, und während ich hörte, fühlte, rauchte und noch ein Glas vom Saint Emilion trank, wusste ich, dass man sich manchmal von Menschen verab- oder verarabschieden oder sogar verarschabschieden muss, die man liebt. Ob das gut ist, weiß ich nicht, aber es geht dann besser; man überlebt, und irgendwann lebt man wieder.
Vor dem Schlafengehen stöberte ich noch ein wenig in der handverlesenen Bibliothek herum, die das moosbewachsene Neunquadratmeter-Huck-Finn-Häusle ja auch ist, und entdeckte zwischen den Werken all der großen Dichter auch einen Band von Martin Walser, den er meinem Freund Vincent Klink geschenkt und gewidmet hatte: »...von jetzt an werde ich Essen anders messen / Von jetzt an ahne ich beim Essen Geister / man ißt nicht ungestraft bei einem Meister«, hatte Walser Ende November 1981 in ein Exemplar seines Romans »Das Schwanenhaus« (Suhrkamp 1980) hineingeschrieben. Das ist eine persönliche, private Widmung; ich erlaube mir dennoch, sie zu zitieren, weil sie mir besser gefällt als alles mir bekannte öffentlich von Martin Walser Geäußerte.
Die Zigarre war geraucht, der Wein getrunken, ich entkleidete mich, auch ohne »k«, streckte mich im Bett aus und schlief, tief und erquickend bis zum Morgen.