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1. Bei Polizei und Verwaltungsbehörde (§ 47 Abs. 1 OWiG)

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Das Ordnungswidrigkeitenverfahren als Massenverfahren wird sowohl im polizeilichen Ermittlungs-, im Verwaltungs- als auch Gerichtsverfahren vom Opportunitätsprinzip geprägt.

Hinweis

Gerade für den versierten Verteidiger bietet das Opportunitätsprinzip bisweilen einen guten Argumentationseinstieg, quasi ein juristisches Werkzeug, das Anliegen seines Mandanten gegenüber der Verfolgungsbehörde elegant vorzubringen und zu begründen, warum gerade in diesem Einzelfall das eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren zur Einstellung gebracht werden kann. Gelegentlich erscheint es auch durchaus angebracht und einen Versuch wert, den/die Entscheidungsträger/in nochmals auf die rechtliche Möglichkeit des Ermessensgebrauchs hinzuweisen, selbstverständlich ohne dabei belehrend zu wirken. Dem obligatorischen Satz „Es wird angeregt, das Verfahren gegen den Betroffenen einzustellen.“ kann gerade im Hinblick auf das Opportunitätsprinzip oftmals mehr Substanz verliehen werden. Siehe Muster zum Einstellungsantrag (Rn. 291).

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Opportun handeln heißt, etwas zweckmäßig und nützlich tun. Das Opportunitätsprinzip ist in erster Linie ein Begriff aus dem Polizeiaufgabenrecht. Die Polizei schreitet nach pflichtgemäßem Ermessen ein. Das Opportunitätsprinzip (vgl. § 47 OWiG) gilt für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten. Es besteht keine Verpflichtung ein Bußgeldverfahren einzuleiten und durchzuführen, die Verfolgungsbehörde entscheidet hierüber nach pflichtgemäßem Ermessen. [1] Nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten hat die Abwägung zu erfolgen,[2] wobei zu entscheiden ist, ob das Ziel eine bestimmte Ordnung durchzusetzen besser mit einer Ahndung oder aber mit anderen Maßnahmen, wie z.B. Aufklärung oder Ermahnung, erreicht werden kann.[3] Solange das Verfahren bei der Verfolgungsbehörde anhängig ist, kann sie es einstellen, § 47 Abs. 1 OWiG. Damit unterscheidet sich § 47 OWiG wesentlich von § 152 Abs. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft grundsätzlich zur Verfolgung strafbarer Handlungen verpflichtet ist, sog. Legalitätsprinzip.

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Die Verwaltungsbehörde kann bei unklarer Sachlage von einer weiteren Verfolgung Abstand nehmen, z.B. wenn die Aufklärung erhebliche Schwierigkeiten macht oder wenn eine neue, materielle Vorschrift, die verletzt wurde, noch wenig bekannt ist. Sie kann gem. § 47 Abs. 1 OWiG auch nach pflichtgemäßem Ermessen einstellen, wenn eine Gefährdung bei der Ordnungswidrigkeit nicht vorliegt. Insbesondere wird dies bei reinen Formalverstößen möglich sein (z.B. Nichtanhalten vor Stoppschild nachts während völlig verkehrsarmer Zeit). Auch bei Ordnungswidrigkeiten von minderer Bedeutung kann so verfahren werden, z.B. bei geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitungen, bei folgenlosen Verstößen gegen das Rechtsfahrgebot oder gegen Parkbestimmungen. Bei unklarer Rechtslage muss der Opportunitätsgrundsatz ebenfalls Anwendung finden.

Hinweis

Dem Zweck des Ordnungswidrigkeitenrechts entspricht es nicht, jeden nur möglichen Fall auch rechtlich aufzuarbeiten.[4] Der Verteidiger sollte deshalb in geeigneten Fällen schon bei der Bußgeldbehörde eine Verfahrenseinstellung beantragen und diesen Antrag begründen. Hierbei kann von erheblicher Bedeutung sein, ob der Betroffene Registereintragungen hat. Es empfiehlt sich daher gegebenenfalls besonders darauf hinzuweisen, dass der Mandant bisher in verkehrsrechtlicher Hinsicht noch nicht in Erscheinung getreten ist. Wenn erhebliche Fahrpraxis besteht, kann auch dies mit Bedacht erwähnt und sollte zudem auf einen eventuellen besonders langen Führerscheinbesitz hingewiesen werden. Siehe Muster zum Einstellungsantrag (Rn. 291).

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Andererseits darf die Verwaltungsbehörde nicht willkürlich handeln. Der Grundsatz der Gleichheit muss beachtet werden.[5] Die Verwaltungsbehörde kann die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten aber nach Schwerpunkten ausrichten und sich auf erhebliche Verstöße konzentrieren, leichtere Ordnungswidrigkeiten dagegen einstellen.[6] Sie kann die Ahndung auf Verstöße beschränken, die eindeutig ermittelt und bewiesen sind. Richtlinien, die eine gleichmäßige Behandlung von Verkehrssündern regeln, müssen grundsätzlich eingehalten werden.[7] Deren Verletzung kann sich auf die Rechtsfolge eines Verstoßes auswirken.

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Das Opportunitätsprinzip gilt auch für den Umfang und den Einsatz von Verfolgungs- und Ahndungsmaßnahmen, es ist also nicht nur für die Beantwortung der Frage bestimmend, ob die Tat verfolgt werden soll, sondern auch dafür, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise dies geschehen soll. So kann zwischen zwei verschiedenen Rotlichtsündern durchaus ein Unterschied bestehen: Der eine, der voll bei Rotlicht in die Kreuzung einfährt, wird sicherlich mit dem Regelsatz des Bußgeldkatalogs bestraft werden müssen; ein anderer Kraftfahrer hingegen, der etwa 0,2 Sekunden nach dem Aufleuchten des Rotlichts in die Kreuzung einfährt, der also selbst das Rotlicht kaum mehr wahrgenommen haben dürfte, wird anders zu behandeln sein, unter Umständen wird man hier von einer Anzeige oder der Verhängung der Regelbuße Abstand nehmen können.

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Der Opportunitätsgrundsatz muss auch gelten, wenn die Verkehrsüberwachung in zulässiger Weise durch Kommunen erfolgt. Sie dürfen die Wahl und Zahl der Kontrollen nicht an fiskalischen Interessen ausrichten. Die Verkehrsüberwachung ist nämlich generell eine hoheitliche Aufgabe, sie ist so in allen Fällen nach pflichtgemäßem Ermessen durchzuführen.

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§ 47 OWiG ist auch anwendbar, wenn sich ein Verkehrsunfall ereignet hat. Dem wird Rechnung getragen durch die Neufassung der Länderrichtlinien für die polizeiliche Unfallaufnahme. Von einer Ahndung soll abgesehen werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts so erhebliche Untersuchungen erforderlich macht, dass ein Missverhältnis zur Bedeutung des Falls entsteht.

Hinweis

Der Verteidiger sollte auch hier frühzeitig einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens stellen, wenn die Vorwerfbarkeit nicht erheblich, die Schuld gering, der Betroffene geschädigt ist oder den Gegner ein Mitverschulden trifft. Ein Interesse an der zivilrechtlichen Aufklärung des Unfalls ist in diesem Zusammenhang unerheblich,[8] dies kann allenfalls ein Nebenprodukt sein.

Teil 1 OrdnungswidrigkeitengesetzII. Opportunitätsprinzip (§ 47 OWiG) › 2. Bei Gericht (§ 47 Abs. 2 OWiG)

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