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4. Problem der Kennzeichenanzeigen

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Als solche werden bezeichnet Anzeigen, bei denen zunächst lediglich das Fahrzeug mit dem dazugehörigen polizeilichen Kennzeichen festgestellt wird, der Fahrer also nicht bekannt ist. Die Polizei ermittelt sodann aufgrund des bekannten polizeilichen Kennzeichens den Fahrzeughalter und sendet diesem einen Anhörungsbogen zu.

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Aus der Haltereigenschaft alleine darf nicht ohne weiteres auf die Fahrer- bzw. Tätereigenschaft geschlossen werden.[11]

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Aus dem Schweigen des Halters darf nicht geschlossen werden, dass er der Fahrer war, sein Schweigerecht würde sonst ausgehöhlt werden.[12] Nicht einmal als Indiz für eine Schuld darf das Schweigen des Halters gewertet werden.[13] Dies gilt allerdings nur bei völligem Schweigen, teilweises Schweigen ist unter Umständen auslegungsfähig.[14] Die Zeugnisverweigerung eines Angehörigen darf ebenfalls nicht gegen den Halter verwertet werden.[15] Schweigt der Betroffene zunächst (anfängliches Schweigen), lässt er sich dagegen später ein, so kann dieses Verhalten nicht zu seinem Nachteil interpretiert werden.[16] Auch wenn er sich zunächst geäußert hat und danach schweigt, darf dies grundsätzlich nicht zu Nachteilen führen.[17] Das Verbot aus dem Schweigen nachteilige Schlüsse zu ziehen, gilt übrigens grundsätzlich für das gesamte Verfahren, nicht nur für Vernehmungen.[18]

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Muster: Anwaltsbestellung – Kennzeichenanzeige

An das Polizeipräsidium

Aktenzeichen: …

In dem Bußgeldverfahren

gegen Anton Anständig wegen des Verdachts …

zeige ich an, dass ich Herrn Anständig vertrete. Namens der Mandantschaft beantrage ich, das

Verfahren einzustellen.

Meine Mandantschaft ist Halter des Fahrzeugs mit dem Kennzeichen … . Sie macht von ihrem Schweigerecht nach den Vorschriften der §§ 136 Abs. 1 und 163a Abs. 4 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG Gebrauch. Angaben zur Sache erfolgen nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Rechtsanwalt

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Es gibt aber durchaus Möglichkeiten, von der Haltereigenschaft auf die Eigenschaft als Fahrer zu schließen, wenn sonstige Indizien vorliegen (z.B. Übung des Halters, zu einer bestimmten Zeit ins Büro zu fahren; alleinstehender Halter, der den Wagen grundsätzlich nicht ausleiht und wenn keine anderen konkret in Betracht kommenden Fahrer benannt werden können; Lichtbildervergleich; Abholen des abgeschleppten Pkw durch Halter unmittelbar danach). Es müssen aber stets gleichzeitig mehrere Indizien vorliegen und Hinweise auf andere mögliche Fahrer fehlen.[19] Derartige Feststellungen versucht die Polizei häufig durch Anhörung von Nachbarn, Berufskollegen etc. zu treffen. Wenn dies zu keinem Erfolg führt, werden von der Polizei oft auch bei einem vorhandenen Frontfoto Bilder beim Passamt zum Vergleich angefordert. Dies geschieht, obwohl die Datenweitergabe gesetzlich gem. § 22 Abs. 2 des Passgesetzes (PassG) und auch nach § 2b Abs. 2 des Personalausweisgesetzes (PAuswG) nur in Ausnahmefällen möglich ist. Die Aushändigung einer Personalausweiskopie durch das Passamt zum Vergleich des Lichtbildes mit dem Polizeifoto der Anzeige führt jedoch nach der überwiegenden Rechtsprechung nicht zu einem Verwertungsverbot[20]. Dennoch bestehen gegen diese Handhabung erhebliche Bedenken datenschutzrechtlicher Art. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbietet es, dass bei geringfügigen Verstößen Einsicht in die Ausweisregister genommen wird. Diese Vorgehensweise kann niemals ultima ratio gerechtfertigt sein.[21] Die Passämter dürfen nicht ohne Weiteres Einsicht in ihre Register gestatten, die Zustimmung des Behördenleiters ist erforderlich. Unverhältnismäßig kann es sein, wegen geringfügiger Verstöße bei Nachbarn oder Arbeitgebern bzw. Arbeitskollegen zu ermitteln. Dies ist die Auffassung der meisten Datenschutzbeauftragten der Länder.[22] Im Übrigen dürfen Lichtbilder von Beifahrern nicht unbeteiligten Dritten zur Kenntnis gegeben werden, es ist eine Schwärzung vorzunehmen.

Soll der Fahrer anhand eines Beweisbildes identifiziert werden, so gelten für das Gericht bei der Urteilsbegründung strikte Anforderungen. Das Gericht muss in den Gründen darlegen, dass es gem. § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das sich in den Akten befindliche Lichtbild bezug nimmt. Dies ist ausreichend, sofern das Beweisbild zur Identifizierung generell tauglich ist.[23] Dagegen ist die bloße Darlegung, dass Aufzeichnungen und Bilder in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind nicht ausreichend.[24] Dabei gilt insbesondere je schlechter die Qualität des Bildes ist, umso höher sind die Anforderungen an die Begründung, warum dem Tatrichter die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint.[25] Die Beschreibung des Beweisbildes im Urteil ist auch dann lückenhaft, wenn lediglich mitgeteilt wird, dass dieses trotz „mäßiger Bildqualität“ die Prüfung verschiedene Kriterien „vom Stirnansatz bis zum Oberkörper“ ermöglicht habe. Aus den Urteilsgründen muss sich in diesem Fall stattdessen ergeben, welchen Kriterien konkret geprüft worden sind.[26]

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Oft kommt es zur Anzeige gegen den vermuteten Fahrer auch dann, wenn das Frontfoto nicht eindeutig ist. Wenn sich in dem anschließenden Verfahren auch das Gericht nicht klar darüber ist, ob der Betroffene der Fahrer war, wird immer häufiger ein so genanntes anthropologisches Sachverständigengutachten angefordert. Anhand von sichtbaren Körperpartien versuchen Sachverständige eine Identifizierung vorzunehmen. Diese Gutachten sind nicht nur teuer, sondern auch umstritten. Einheitliche nachprüfbare Kriterien liegen nicht vor, falsche Identifizierungen sind in einigen Fällen nachgewiesen worden.[27] Daran ändert auch nichts, dass im Auftrag der Gesellschaft für Anthropologie eine Arbeitsgruppe gebildet wurde, die versucht hat, Standards für die Identifizierung von Personen zu schaffen.[28] In diesen Standards ist ausdrücklich darauf hingewiesen, dass grundsätzlich auf diesem Gebiet tätige Gutachter ein Studium der Anthropologie und eine intensive Beschäftigung mit der menschlichen Gestalt (Morphologie) nachzuweisen haben, abgesehen von einer speziellen Ausbildung und Erfahrung auf dem Gebiet der anthropologisch-erbbiologischen Abstammungslehre. Daran fehlt es bei manchen Gutachtern. Es handelt sich bei diesen Persönlichkeitsgutachten auch nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode.[29] Das Gericht muss sich deshalb im Urteil mit den Grundlagen des Gutachtens auseinandersetzen.[30]

Hinweis

Nach einer neuen Entscheidung des OLG Bamberg[31] muss vom Tatrichter zunächst im Urteil dargelegt werden, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale sich der Sachverständige bei seiner Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmung ermittelt hat. Des Weiteren müssen die Ausführungen des Tatgerichts erkennen lassen, welche Häufigkeit hinsichtlich der jeweils übereinstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeitsrechnung zugrunde gelegt und wie sie ermittelt worden ist. Diesen Angaben kommt eine erhebliche Bedeutung bei der Beurteilung des Beweiswertes der Wahrscheinlichkeitsaussage zu. Pauschale und standardisierte Formulierungen im Urteil („aufgrund des in sich schlüssig und widerspruchsfrei erstatteten Gutachtens, dem sich das Gericht aufgrund zutreffender Anknüpfungstatsachen aus eigener Überzeugung anschließt“) in Verbindung mit der gutachterlichen Wahrscheinlichkeitseinstufung des Tatfotos sowie der Feststellung des Fehlens von Ausschlussmöglichkeiten des Betroffenen, werden zukünftig einer instanzgerichtlichen Überprüfung wohl nicht mehr standhalten und eröffnen daher den Weg und eine Chance für das Rechtsmittelverfahren.

In Anbetracht der hohen Kosten dieser Begutachtung in Höhe von bis zu 1.500 € muss das Gericht vor einer solchen den Betroffenen benachrichtigen. Geschieht dies nicht, ist von einer unrichtigen Sachbehandlung auszugehen. Es liegt ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Gerichts und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor, die Sachverständigenkosten können dann u.U. nicht erhoben werden (vgl. § 8 Gerichtskostengesetz)[32].

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Nur unter bestimmten engen Voraussetzungen hält die Rechtsprechung den Schluss vom Halter auf den Fahrer für möglich.[33] Nach einer Entscheidung des AG Lüdinghausen kann der Betroffene als Führer des LKW identifiziert werden, wenn er auf dem Fahrtenschreiberschaublatt namentlich eingetragen ist, sich das Fahrzeug in seinem Eigentum befindet und auf dem Foto ein Schild mit dem Vornamen des Betroffenen, welches sich hinter der Windschutzscheibe befindet, abgebildet ist.[34] Von der Haltereigenschaft auf die Eigenschaft als Fahrer kann allerdings nach der Rechtsprechung nicht geschlossen werden, wenn der Anhörungsbogen nur zur Person ausgefüllt wird,[35] wenn der Halter über persönliche Verhältnisse keine Angaben macht, die unter Umständen für die Tat von Bedeutung sind[36] oder wenn der Betroffene pauschal Verjährung einwendet.[37] Gleiches gilt, wenn der Betroffene sich auf Rechtsausführungen beschränkt ohne zur Sache auszusagen.[38]

Hinweis

Der Verteidiger sollte bei einer Kennzeichenanzeige für den Halter zunächst keine weiteren Erklärungen abgeben, bevor nicht Akteneinsicht genommen wurde. Wenn keine Beweise für die Täterschaft des Kfz-Halters vorhanden sind (z.B. Frontfoto, Anhalten durch die Polizei), ist die Anzeige oft dadurch zu Fall zu bringen, dass keine Angaben zur Sache gemacht werden. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Anhörungsbogen an eine Firma verschickt wird. Es besteht allerdings die Möglichkeit, dass ein Verfahren gegen unbekannt eingeleitet und der Halter bzw. der vermutliche Täter dort als Zeuge einvernommen wird. Hier kann er gegebenenfalls von seinem Auskunfts- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Wenn hierbei Fragen gestellt werden, die den Verdacht begründen, der Halter sei der Betroffene, dann ist er über sein Schweigerecht zu belehren.[39]

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Befindet sich in den Akten ein Beweisfoto, das an sich den Fahrer gut erkennen lässt, sind seine Personalien aber nicht bekannt, so wird durch die richterliche Vernehmung eines Zeugen zur Ermittlung der noch unbekannten Personalien des Fahrers eine Verjährungsunterbrechung nicht bewirkt.[40] Die Anordnung der Bußgeldstelle, dem anhand des Kennzeichens ermittelten Halter eines Fahrzeugs einen „Anhörungsbogen/Zeugenfragebogen“ zu übersenden, nach dessen Inhalt der Adressat nicht zweifelsfrei als der Betroffene erkennbar ist, unterbricht die Verjährung ebenfalls nicht.[41] Einem Anhörungsbogen kommt nur dann eine verjährungsunterbrechende Wirkung zu, wenn für den Adressaten klar erkennbar ist, dass gegen ihn als Verdächtigen Ermittlungen geführt werden.[42]

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Sind mit einem bestimmten Fahrzeug eines Halters in kürzerer Zeit zahlreiche Verstöße begangen worden, bei denen der Fahrer nicht festgestellt werden konnte, dann wird der Halter unter Umständen nach § 14 OWiG als Beteiligter und damit Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen,[43] von der Möglichkeit der Verwaltungsbehörde, eine Fahrtenbuchanordnung zu erlassen, abgesehen. Überlässt der Halter einem Freund den Wagen, von dem er weiß oder erfahren hat, dass dieser immer wieder Ordnungswidrigkeiten begeht, dann ist eine Bestrafung nach § 14 OWiG möglich.[44] Immer muss dem Halter jedoch vorsätzliches Verhalten, wobei dolus eventualis genügt, nachgewiesen werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn er als Halter und Beifahrer den Parkverstoß seines Fahrers duldet.[45]

Teil 1 OrdnungswidrigkeitengesetzIII. Täterschaft und Beteiligung › 5. Kostentragungspflicht des Halters

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