Читать книгу Dem Schwaben sein Dativ - Wolf-Henning Petershagen - Страница 11
|16|Von der Bühne zur Etage
Оглавление„Die ganze Welt ist eine Bühne!“ Auch ein Schwabe wird diesem shakespeareschen Satz zustimmen – wenn auch aus anderen Gründen als der Rest der Welt.
Die meisten Deutschen verstehen unter Bühne die Bretter, die die Welt bedeuten. Sie wundern sich daher, wenn Schwaben über altes Gerümpel befinden: „Des kommt auf d’ Bühne!“ Sperrmüll zur Weiterverwertung ins Theater? So nahe dieser Gedanke in Zeiten versiegender Kulturhaushalte liegt: Es handelt sich um ein Missverständnis, das darin besteht, dass die Schwaben mit Bühne den Dachboden meinen, auf dem sich im Lauf der Jahrzehnte ihr alter Gruscht angesammelt hat.
Das so entstandene Durcheinander verleiht, wenn man das Wort Bühne im schwäbischen Sinne begreift, dem oben erwähnten Shakespeare-Zitat eine völlig neue Aussagekraft, die der originalen vielleicht sogar überlegen ist. Denn das Chaos auf dieser Welt kann einem mindestens ebenso den Nerv töten wie das vom Dichter besungene menschliche Rollenverhalten.
Nun hat der Autor in seinem englischen Originaltext natürlich nicht Bühne geschrieben, sondern „stage“. Doch das ändert nichts an der Frage, warum das deutsche Wort Bühne im einen Fall einen Ort im Rampenlicht und im anderen, schwäbischen Sinne eine schlecht beleuchtete Rumpelkammer bezeichnen kann.
Die gemeinsame Grundlage bilden Balken und Bretter, aus denen vor der Erfindung des Stahlbetons beide Arten von Bühnen gebaut wurden. Tatsächlich bedeutete Bühne ursprünglich „Brettergerüst, Decke“. Im Haus war es, wie das Schwäbische Wörterbuch erläutert, „die waagrechte Balken- und Bretterlage, welche den Boden eines oberen, die Decke eines unteren Stockwerks bildet“. Daraus |17|entwickelte sich die Bedeutung „Dachraum über der Wohnung oder oberer Raum in Scheuer und Stall, als Aufbewahrungsort gebraucht“. Bühne im Sinne der darstellenden Künste ist wiederum eine Kurzform des Wortes „Schaubühne“.
Die Schwaben haben ihrerseits Probleme mit dem Boden, der vielen Nichtschwaben die Bühne ersetzt. Denn im Schwäbischen ist der Boden nicht oben, sondern unten und wird geschätzt als elastischer Untergrund, in den man andere ung’schpitzt neischlage kann. Doch da der Boden auch aus Brettern gefügt sein kann, gilt für ihn eine ähnliche Bedeutungsvielfalt wie für die Bühne. Deshalb kann es auch im Schwäbischen einen Heu-, Frucht- oder Kornboden geben.
Man kann ebenso gut Korn- oder Heustock sagen, wobei Stock das Balkenwerk bezeichnet, das ein Stockwerk bildet. Doch fasst man sich im Schwäbischen lieber kurz und sagt einfach Stock, wo andere von „Stockwerk“, „Geschoss“ oder „Etage“ reden. Die hieß übrigens im Altfranzösischen noch „estage“, woher das englische „stage“ stammt. Damit wären wir – hoffentlich etwas klüger – wieder zu Shakespeare und auf die Bühne zurückgekehrt.