Читать книгу Dem Schwaben sein Dativ - Wolf-Henning Petershagen - Страница 13
|20|Der schwäbische Teppich
ОглавлениеDer Schwabe zeigt wenig Neigung, auf dem Teppich zu bleiben: Gelegentlich kriecht er drunter, und die Schwäbin legt ihn gerne auf den Tisch oder wirft ihn sich um.
„Was håt denn dui für an Teppich umhänge?“ Mit dieser Frage kann frau der Trägerin eines teuren Paschmina-Schals den Triumph über ihr Luxus-Accessoire vermiesen, sofern die kein Schwäbisch kann. Denn unter Schwaben muss diese Frage nicht unbedingt eine Herabwürdigung jenes Edeltextils bedeuten. Schließlich hat schon die Urgroßmutter, wenn sie fror, ihren Teppich über die Schultern gezogen.
Das heißt aber nicht, dass sie unter den Perser kroch, den sie vermutlich ohnehin nicht besaß. Vielmehr ist der Begriff Teppich im Schwäbischen etwas weiter gefasst als im Schriftdeutschen, wo er auf dem Boden zu liegen hat oder allenfalls noch an der Wand hängen darf.
Der schwäbische Teppich muss nicht geknüpft, er kann auch gewoben, gestrickt oder gehäkelt sein, denn außer als Bodenbelag oder Wandbehang dient er als Decke und als Zudecke. Während man die Decke auch als Unterlage benutzen kann – etwa die Tischdecke oder die Badedecke, die ebenfalls als Teppich bezeichnet werden – ist der schwäbische Begriff „Zudecke“ ausschließlich Textilien vorbehalten, mit denen man etwas zudeckt, etwa das Bett. Deshalb wird das Oberbett ebenfalls Teppich genannt.
Wenn Fremdlinge sich darüber wundern, was die Schwaben alles als Teppich bezeichnen, kann man sie darauf hinweisen, dass auch im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm der Teppich erheblich weiter geknüpft ist als im heutigen Schriftdeutsch: „Eine Zierdecke (mit eingewebten oder eingestickten Bildern, Mustern und bunten |21|Farben) zum Behängen der Wände (Wandteppich), Bedecken des Fußbodens (Fußteppich), der Möbel, des Tisches u. s. w. (Stuhl-, Tischteppich)“, heißt es dort.
Das aber bedeutet, dass der Bodenteppich nur eine von vielen Teppich-Varianten war, die im Übrigen bei der großen Mehrheit der Bevölkerung die unwichtigste Rolle gespielt haben dürfte. Denn wer konnte sich schon ein solch teures Stück leisten? Auf diesen Aspekt weist übrigens Fischer in seinem Schwäbischen Wörterbuch hin mit der Bemerkung, dass der Fußteppich dem „gemeinen Mann“ fehle.
Verfolgt man die Wortgeschichte des Teppichs zurück, stößt man auf das altgriechische tapes und tapis, was schon damals neben Teppich auch „Decke“ bedeutete. Die Römer haben daraus tapete und tapetum gemacht, das war ein Teppich, um Wände, Tische, Sofas, Fußböden usw. zu bekleiden. Von tapete stammt natürlich auch die Tapete ab, die ursprünglich aus Stoff war.
Die Schwaben haben daran festgehalten und haben zudem mit dem Teppich nicht nur Gegenstände, sondern auch sich selber bedeckt. Das aber bietet sprachunkundigen Ignoranten immer wieder Anlass, auf den Schwaben und ihrem Teppich herumzutrampeln.